Scharfschützen: Unsichtbar, präzise, gefährlich (Teil 2)
Scharfschützen: Unsichtbar, präzise, gefährlich (Teil 2)
- Datum:
- Ort:
- Klietz
- Lesedauer:
- 4 MIN
Oft liegen die Scharfschützen über viele Stunden, manchmal auch über Tage, in den Stellungen. Sie dürfen sich kaum bewegen und sind mit der Natur verschmolzen, um nicht entdeckt zu werden. Bis sie die Feuerstellung erreicht haben, bedarf es einer anstrengenden und mühsamen Annäherung.
Um einen hohen Einsatzwert zu generieren, sind die Teams sehr gut ausgerüstet. Neben Waffen, Munition, Optiken und Funkgeräten führen die Soldaten auch Ausrüstungsgegenstände wie beispielsweise ein Spektiv, einen Windmesser, ein Barometer und einen Laserentfernungsmesser mit. Alles in allem kommen die Soldaten dann auf eine Ausrüstung von 40 bis 50 Kilogramm Gewicht, mit der sie sich durchschlagen müssen. „Wenn man bedenkt, dass wir dann noch Wasser, Verpflegung und private Ausrüstung mitführen müssen, wird man schnell zum Minimalisten“, sagt der Oberstabsgefreite André L.* schmunzelnd. Er dient seit fast 15 Jahren als Scharfschütze beim Heer.
Unsichtbar sein
Das oberste Ziel der Scharfschützen ist es, unentdeckt zu bleiben. Über die Zeit lernen sie, unerkannt, fast unsichtbar, mit ihrem Umfeld zu verschmelzen. Dazu greifen die Soldaten auf ein bestimmtes Hilfsmittel zurück: den Ghillie Suit. Der Ghillie Suit ist ein Tarnanzug, ähnlich wie ein Umhang, der aus grünen und braunen Leinenflicken besteht. Sind die Scharfschützen im Einsatz, ergänzen sie den Tarnanzug mit natürlichen Materialien wie Gras, Zweigen oder Blättern. „Die Soldaten müssen sich an ihr Umfeld und das Gelände anpassen. Je nach Jahreszeit oder Terrain variieren die Materialien. Das Vorbereiten des Ghillie ist sehr zeitintensiv. Die Tarnung muss so natürlich wie möglich aussehen.„ Der Tarnanzug hilft den Scharfschützen unsichtbar zu werden – er ist ihre Lebensversicherung.
Den ungewöhnlichen Namen verdankt der Ghillie Suit einem Wesen der schottischen Mythologie, dem Ghillie Dhu. Glaubt man einer Sage, war er ein in Blätter und Moos gekleideter, friedlicher Berggeist.
Sicherung der eigenen Truppe
Scharfschützen kämpfen unerkannt aus der Defensive und können die Kampfmoral des Feindes mindern. Diese Charakteristik verbreitete bereits in den Kriegen der letzten Jahrhunderte Angst und Furcht. In Zeiten der modernen Kriegsführung werden Scharfschützen grundsätzlich für Hochwertaufträge durch den Bataillonskommandeur oder den Kompaniechef eingesetzt. „Wir können beispielsweise als Vorkräfte in einem feindbesetzten Gebiet agieren, um wichtige Raumkenntnisse zu erlangen oder Hochwertziele zu bekämpfen. Ein weiterer Kernauftrag ist das Überwachen des Feindes – quasi petzen und melden“, sagt André L. Damit liefern die Scharfschützen aus ihren versteckten Stellungen nicht nur ein situationsnahes Lagebild, sondern können bei Schussabgaben auch die Feindbewegung lähmen.
Die Königsdisziplin der Scharfschützen ist der Kampf im urbanen Gelände. Die Natur ist das Element des Scharfschützen, daher muss er sich im bebauten Gebiet nun entsprechend der Lage tarnen und verhalten. Sie werden in diesem Umfeld oft als Sicherungselement der eigenen Kräfte eingesetzt. Beim Orts- und Häuserkampf bieten sie ihren Kameraden Feuerschutz. Ein besonderes Fähigkeitsmerkmal ist, dass die Scharfschützen im Zwei-Grad-Winkel aneinander vorbeischießen können. Im Vergleich: Die Spezialisierten Kräfte besitzen die Fünf-Grad-Befähigung und für die reguläre Kampftruppe gilt ein Winkel von 30 Grad.
Kampf und Moral
Mit ihren Präzisionswaffen, dem Scharfschützengewehr G22 A2 und dem Scharfschützengewehr G82, sind die Soldaten in der Lage, bei einer Kampfentfernung von weit über 1.000 Meter punktgenau zu treffen. Die Erweiterung des Sturmgewehrs, das G28, setzen die Scharfschützen meist im urbanen Kampf ein. Das G22 zählt als Standard-Scharfschützengewehr zu den Repetiergewehren. Das bedeutet, dass nach der Schussabgabe jede Patrone manuell aus dem Magazin geladen wird. Damit ist die Waffe präziser als ein Selbstlader, bei dem die Verschlussbewegung die Treffgenauigkeit beeinträchtigt. Mithilfe des Zielfernrohres bringt der Schütze schließlich seinen Schuss ins Ziel. Der Oberstabsgefreite erklärt, dass man sich spätestens an diesem Punkt über seine Berufswahl im Klaren sein muss. „Im Vergleich zu anderen Soldaten sehen wir genau, was unser Schuss im Ziel anrichtet. Am Ende muss jeder Soldat den Abschuss vor sich selbst rechtfertigen können. Die harte Ausbildung, das regelmäßige Training, die hochwertige Ausrüstung und die besonderen Aufträge machen uns nicht zu besseren Soldaten aber zu anderen“, sagt André L.
Die Scharfschützen der Bundeswehr gehören zu einem elitären Kreis von Soldaten, die einen langen und harten Weg gegangen sind. Sie sind körperlich voll belastbar, willensstark und teamfähig – arbeiten am Limit. Bei jedem Einsatz nehmen sie Entbehrungen und Strapazen in Kauf und kämpfen versteckt und unsichtbar. Dies ist ein besonderer Kampf, ohne Zuschauer und Applaus, immer unerkannt. Die Scharfschützen und ihre Fähigkeiten umgibt seit jeher ein Mythos, der sich wohl nie ganz zerstreuen lässt.
*Name redaktionell geändert