„Reservist sein ist kein Hobby. Wir üben für den Ernstfall“
„Reservist sein ist kein Hobby. Wir üben für den Ernstfall“
- Datum:
- Ort:
- Oldenburg
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- 5 MIN
Anfang 2020, die zivilen Aus- und Fortbildungen hat er abgeschlossen, sein Job war gut, er lebte in einer festen Partnerschaft und das Haus war fertig umgebaut. Doch eine Sache hatte er als ehemaliger Soldat der Luftwaffe stets im Hinterkopf: die Erinnerung an seinen Wehrdienst 2004. „Ich hatte zwar mal dran gedacht, mir die Reserve anzuschauen, schob das Projekt aber vor mir her“, erinnert sich Hauptgefreiter und Reservist Gregor Neefe*. Hier beschreibt er seinen Weg zur Reserve des Heeres.
Ein Arbeitskollege berichtet mir Ende 2019 von seinem Reserveposten bei den Fallschirmjägern des Heeres. Das hört sich gut an. Schnell erfahre ich mehr über die Reserve. Ich habe aber auch Bedenken, denn meinen Wehrdienst habe ich bei der Luftwaffe in einem technischen Bereich geleistet. Es wäre für eine künftige Reservedienstleistung im Heer sicher besser gewesen, ich hätte im Heer bereits gedient. Doch ab diesem Zeitpunkt soll es bis zum ersten persönlichen Kontakt nicht mehr lange dauern.
Mein Kollege ermutigt mich und schickt mir einen Artikel über eine Jäger-Einheit in Oldenburg. „Melde dich da mal. Die Jungs sind gut“, sind seine Worte. Um mich persönlich vorzubereiten, kontaktiere ich zunächst die ortsansässige Reservistenkameradschaft. Dann geht es sehr schnell. Endlich, ich bin als Reservist registriert und habe schon einen Satz Uniform. Ich fühle mich der Aufgabe gewachsen und der Kontakt mit dem Unterstützungsbataillon Einsatz 1 in Oldenburg ist wichtig für mein Ziel. Sie senden mir die Liste der geplanten Ausbildungen und Übungen. Inzwischen ist es April 2020 und die Corona-Pandemie bestimmt den Alltag. Ein persönliches Telefonat mit dem Bataillonskommandeur klärt schnell alle Fragen. Er will mir Bescheid geben, wenn es die Situation zulassen würde, um ich mich persönlich vorzustellen. „Den Rest klären wir vor Ort“, so der Kommandeur. Bereits im Juni 2020 leiste ich dann meinen ersten Reservedienst.
Corona – in Modulausbildung zum Infanteristen
Coronabedingt läuft diese Übung etwas anders. Aber dennoch spüre ich, dass dies das Richtige für mich ist. Nach der ersten Übung erfolgt eine weitere und das Resümee meiner Vorgesetzten ist wohl: Der Typ mit den Luftwaffenschwingen ist zu gebrauchen. Die Ausbildung unter Corona-Bedingungen verlangt viel Improvisation, aber ab April 2021 geht es dann los. Wir werden in Gruppen eingeteilt, die für den Rest des Jahres zusammenbleiben sollen. Da jeder von uns einen unterschiedlichen Ausbildungs- und Qualifikationsstand hat, fangen wir ganz von vorn an, im Prinzip wie bei der Grundausbildung, mit Marschformationen wie Schützenreihe und Schützenrudel, Umgang mit Funkgerät, Karte und Kompass, Waffenausbildung am Maschinengewehr, Einsatz von Panzerfaust und Handgranate, Marschieren, Biwak und Alarmposten, aber auch Höhepunkte wie der Häuserkampf gehören zur Ausbildung. Alles ist körperlich sehr fordernd. Doch wenn man es schafft und nicht aufgibt, erfüllt es einen mit Stolz. Und schon am Tag nach der letzten Übung denke ich, dass ich schon wieder loslegen könnte.
Das goldene Eichenlaub, der Lohn aller Mühen
Das Jahr vergeht, die finale Übung steht an. Unser Auftrag: Spähtrupp zu Fuß, gespickt mit weiteren Aufgaben. Dazu gehören Erkunden der Straße, Sperren errichten, Sprengfallen aufspüren, Orientierung im Gelände, Verwundetentransport, Feuerkampf und vielem mehr. In der Dunkelheit erreichen alle Spähtrupps endlich eine Wiese, die vom Feuerschein hell erleuchtet ist. Das Bataillon ist im Fackelschein angetreten. Die Soldaten, die alle Module absolviert haben, werden einzeln aufgerufen. Ein Offizier überreicht mir mein Barettabzeichen – das goldene Eichenlaub der Jägertruppe. „Hauptgefreiter, geradeaus diese Richtung, die ich zeige, beim Kompaniechef melden!“, wird mir befohlen. Auf dem Weg zum Kompaniechef beglückwünschen mich meine Kameraden mit einem Schulterschlag, am Ende nehme ich Haltung vor meinem Kompaniechef ein und melde mich lautstark. Geschafft. Ich bin endgültig Teil des Bataillons. Ab jetzt darf ich das grüne Barett und die grünen Litzen tragen.
Ich werde dem Alphazug zugeordnet. Hier wird die Ausbildung, die man zuvor erhalten hat, vertieft, gefestigt und erweitert. Meine Bedenken, ob die alten Hasen uns überhaupt akzeptieren, sind unberechtigt. Sie nehmen uns auf, als wären wir schon immer in ihrem Zug gewesen, schnell lernen wir Neues. Mit jeder Übung werden wir besser und machen neue Erfahrungen.
Der Alphazug – die neue militärische Heimat
So wie es Raum, Zeit, Mittel und Kräfte zulassen, bietet uns das Bataillon immer neue Ausbildungen und erhöht so die Anforderungen an uns Soldaten. Wann immer es geht, richten wir uns in verlassenen Gebäuden zur Verteidigung ein, fahren mit Sturmbooten, schießen Panzerfaust, kämpfen im urbanen Gelände, bezwingen die Ortskampfbahn in Hammelburg, schlafen draußen, in Häusern, in alten Bunkern oder Containern, erhalten Fremdwaffenausbildungen, üben den Waldkampf und sogar ein Hubschrauberflug gehört dazu.
Und eine ganz besondere Überraschung wartet auf mich und sechs weitere Kameraden im Herbst dieses Jahres. Während einer Waldkampfübung auf dem Truppenübungsplatz in der Oberlausitz erfahren wir am letzten Abend, dass wir in der engeren Auswahl für eine Übung bei unseren Truppenpartnern in Großbritannien, beim Royal Anglian Regiment, sind. Allein in die Auswahl dafür zu kommen, ist schon eine Ehre. Zur Vorbereitung absolvieren wir den von der britischen Armee geforderten Weapons Handling Test am britischen Sturmgewehr SA80 auf dem Übungsplatz Senne in Nordrhein-Westfalen.
Eine Übung in England
Im Oktober ist es dann so weit: Mit sieben Kameraden fahren wir mit zwei Kleinbussen ins Herz von England nach Upper Hulme. Das Wetter ist uns nicht wohlgesonnen. Starkregen, Überschwemmungen und Sturm erwarten uns, aber die Landschaft ist dafür unbeschreiblich beeindruckend. Die Übung mit den britischen Kameraden in diesem Gelände ist eine tolle Erfahrung, bei der, denke ich, beide Seiten viel voneinander gelernt haben.
Was als Nächstes kommt, weiß ich natürlich nicht. Aber ich weiß, dass ich dabei sein werde, wann immer es geht. Durch die frühzeitige Planung, rund ein Jahr im Voraus, können wir als Reservisten die Termine gut mit dem Job und dem Privatleben vereinbaren. Auch ist eine Absage möglich, wenn es dann doch mal gar nicht passt. Was man jedoch auf jeden Fall haben sollte, ist ein starker Wille, Grundfitness und Motivation. Den Rest macht die Ausbildung. Die Reserve ist kein Hobby wie Fußballspielen – wir üben für den Ernstfall.
*Name von der Redaktion geändert