Personnel Recovery – Wenn jede Minute zählt
Personnel Recovery – Wenn jede Minute zählt
- Datum:
- Ort:
- Spanien
- Lesedauer:
- 4 MIN
Auf der spanischen Los Llanos Air Base steht bei über 35 Grad die Hitze flimmernd über dem Flugfeld. Angespannte Gesichter bei den Piloten und den anderen Soldaten: Ein verbündetes Luftfahrzeug wurde über feindlich besetztem Gebiet abgeschossen. Bei der Planung und Ausführung der Rettung zählt jede Minute.
Zwar konnte sich die Besatzung retten, sie ist aber verschollen und vermutlich verwundet. Nun beginnt ein Wettlauf gegen die Uhr und gegen schwindende Treibstoffvorräte, aber auch gegen feindliche Kräfte. Abgeschossene Besatzungen aus Luftfahrzeugen sind hochqualifizierte Soldaten. Sie werden meist als potenzielle Informationsquelle angesehen. Ein Hubschrauber oder ein Kampfflugzeug kann ersetzt werden, nicht aber die Expertise und die Erfahrung, die ein routinierter Pilot durch Hunderte oder Tausende von Flugstunden aufweisen kann. Entsprechend groß ist das Interesse an der Gefangennahme feindlicher oder an der Rettung eigener Kräfte. Denn ein Pilot in Kriegsgefangenschaft ist auch immer ein Pilot weniger, der für oder gegen eine Konfliktpartei mit seinem Waffensystem eingreifen kann. In asymmetrischen Konflikten droht den abgeschossenen Besatzungen noch Schlimmeres, denn paramilitärische Gruppen oder Terroristen versuchen, ihrer habhaft zu werden und diese als Geiseln oder für Propaganda einzusetzen.
Niemand wird zurückgelassen
Um dies zu verhindern, wird das Personnel Recovery (PRPublic Relations), deutsch: Personenrückführung, regelmäßig in verschiedenen Übungsszenarien trainiert. Hinter der Bezeichnung PRPublic Relations versteckt sich in diesem Fall keine Werbemaßnahme, sondern die Evakuierung von verbündeten, isolierten Kräften oder auch sensiblen Daten und Ausrüstung, bevor sie in Feindeshand geraten. Auch wenn hier „nur“ geübt wird: Die Übungsszenarien werden niemals zur Routine, denn jeder Übungsteilnehmer weiß, dass aus dem Training jederzeit Ernst werden kann, bei dem schnelles Handeln über das Leben von Kameraden in Notsituationen entscheidet.
Multinationale Zusammenarbeit
Aus diesem Grund trainieren deutsche Heeresflieger zusammen mit Soldatinnen und Soldaten anderer Nationen die APROC (Air Centric Personnel Recovery Operatives Course). Das ist eine multinationale NATONorth Atlantic Treaty Organization-Übung, in der dieses und weitere Szenarien zur Rettung verbündeter Kräfte aus der Luft geübt und perfektioniert werden. Das EPRC (European Personnel Recovery Centre) ist eine in Italien stationierte Planungszelle, die ausschließlich für den Rettungsprozess aufgestellt wurde. Alle Beteiligten – egal, ob am Boden oder in der Luft – sind Experten. Damit verfügt das EPRC über ein hohes Maß an Fachwissen, um realistische Szenarien umsetzen zu können. An jährlich wechselnden Schauplätzen treffen sich verschiedene Nationen, um gemeinsam für den Ernstfall zu trainieren. Die sieben an dem Verbund beteiligten Nationen, alle mit unterschiedlichen Luftfahrzeugen und Herangehensweisen, profitieren von der gegenseitigen Fachexpertise.
Auf vielen Ebenen fordernd: Die vier Planungselemente
Erstmals verlegt ein Verbund aus beiden Transporthubschrauberregimentern 10 und 30 zur Los Llanos Airbase, um ihre Erfahrung aus Mali und Afghanistan in den gesamten PRPublic Relations-Prozess einfließen zu lassen. Die zwanzig Männer und Frauen sind allesamt Experten auf ihren Fachgebieten. Drei Wochen lang übernehmen sie vor Ort die logistischen Aufgaben, die Wartung der Hubschrauber und die Planung der einzelnen Missionen.
Grundlage für das Planen der einzelnen Einsätze (Mission planning) ist das sogenannte 4-T-Planning. Es beinhaltet Task (Aufgabe), Target (Ziel), Threat (Bedrohung) und Tactics (Taktik). Die Besatzungen müssen innerhalb weniger Stunden eine gemeinsame Strategie entwickeln, um alle involvierten Kräfte möglichst sicher an das Ziel heranzuführen, das Ziel zu sichern, zu evakuieren und schließlich alle Beteiligten möglichst ohne eigene Verluste zurück zur Basis zu führen.
Doppelte Absicherung aus der Luft
Der beste Plan steht und fällt mit seiner Umsetzung. Die beiden NHNATO-Helicopter-90 der Heeresflieger sind inzwischen mit spanischer Begleitung durch einen Eurocopter AS332 Super Puma am Zielort eingetroffen. Unterstützung erhalten die drei Hubschrauber durch zwei F/A 18 Hornet Kampfflugzeuge der spanischen Luftwaffe. Diese sichern den Luftraum über dem Absturzort, schalten mit ihren Bordwaffen eventuelle feindliche Bedrohungen aus und sorgen dafür, dass sich die Hubschraubercrews mit ihren Maschinen ganz auf den sicheren Anflug konzentrieren können.
Am Boden ist Maßarbeit gefragt
Kurz vor der Landung in der Rettungszone ist die Anspannung der PRPublic Relations-Teams im Hubschrauber spürbar. Die spezialisierten Soldaten warten nur auf das Signal des Bordtechnikers, um dann möglichst schnell ausschwärmen zu können. Als das Signal gegeben wird, geht alles ganz schnell: Die Männer sind perfekt aufeinander eingespielt und jeder von ihnen weiß, wann er was zu tun hat. In diesem Fall sind es spanische Spezialkräfte, die das PRPublic Relations-Team stellen. In Deutschland stünden für solche Operationen die spezialisierten Kräfte der Division Schnelle Kräfte bereit, um gemeinsam mit den Heeresfliegern solche Einsätze absolvieren zu können. Dazu zählen zum Bespiel die Soldaten des KSKKommando Spezialkräfte oder die Soldaten mit erweiterter Grundbefähigung. Während die Soldaten am Boden ausschwärmen, gehen die drei Hubschrauber wieder in die Luft, um von dort aus die Truppen am Boden sichern zu können. Über ihnen dröhnen die Triebwerke der beiden Kampfflugzeuge, die wiederum die Sicherung für die Hubschrauber fliegen.
Das Zusammenspiel klappt
Ohne eine exakte Zeitplanung und die konsequente Umsetzung der Planung geht gar nichts. Da die Hubschrauber über der vermuteten Absturzzone während der Suche in Bewegung sind, ist die Zeit, die das am Boden befindliche Team hat, begrenzt. Denn wenn nicht genug Treibstoff mehr vorhanden ist, um mit der geretteten Person oder Ausrüstung zurückzukommen, ist der Erfolg der Mission gefährdet. In diesem Fall klappt aber alles. Die Ausbilder, die zusammen mit dem PRPublic Relations-Team vom Hubschrauber abgesetzt haben, sind zufrieden. An diesem Tage haben alle gemeinsam gute Arbeit geleistet: die Planer auf der Los Llanos Air Base, die Techniker und die Unterstützer am Boden, die Crews auf den Hubschraubern, die PRPublic Relations-Teams am Boden und auch die beiden Piloten der F/A-18-Kampfflugzeuge. Ein gutes Gefühl, denn im Ernstfall bleibt weder Raum noch Zeit für Fehler.