Oldenburger Reservisten üben in England
Oldenburger Reservisten üben in England
- Datum:
- Ort:
- England
- Lesedauer:
- 4 MIN
„Risk to life“ nennt der britische Wetterdienst das, was gerade passiert. Wir, sieben Reservisten des Unterstützungsbataillons Einsatz 1 aus Oldenburg, sind im Fährhafen von Harwich auf dem Weg zu einem Übungswochenende des 3rd Battalion Royal Anglian Regiment. Es schüttet aus Kübeln und wird nicht richtig hell. Vier Stunden Fahrt nach Staffordshire im Peak District National Park bei Manchester liegen noch vor uns. Wir fragen uns, was für eine Übung das wohl werden wird.
Die Partnerschaft zwischen dem Unterstützungsbataillon Einsatz 1 und 3 Royal Anglian, zwei englischen Reservistenbataillonen der leichten Infanterie, ist einmalig in der Reserve der Bundeswehr. Sie begann 2021. Die Briten waren schon bei uns bei einer Übung in Bergen, jetzt sind wir mit einem Gegenbesuch dran. Eigentlich ist es eine Ehre, dafür ausgewählt worden zu sein. Eigentlich. Wäre da nicht diese krasse Wetterlage – in der Tat auch zu krass für die Briten. Während der Fahrt zum Truppenübungsplatz Leek & Upper Hulme schlagen die Lagemeldungen ein: Wegen der Unwetterwarnung reisen die Briten heute nicht mehr an. Wir fahren. Bäche überfluten Straßen. Kurz bevor es ins Hochland zum Truppenübungsplatz geht, versperrt uns ein kleiner Flusslauf, der die Straße kreuzt, den Weg. Wir kommen mit unseren Fahrzeugen noch durch. Ein Kleinwagen, der uns entgegenkommt, hat nicht so viel Glück und bleibt liegen. Auf der Höhe sind wir dann vorerst die einzigen, die anreisen. Und so kommt es, dass das Unterstützungsbataillon Einsatz 1 die historische Farm übernimmt, die die Basis für die Übung sein soll. Schnell ist die deutsche Flagge gehisst, bevor das kleine Vier-Mann-Vorkommando der Briten eintrifft. Die nehmen es mit typisch britischem Humor und sind froh, dass wir es geschafft haben.
Orkansturm – findet die Übung überhaupt statt?
Die Nacht verbringen wir auf dem Dachboden eines Stalls, wenigstens etwas geschützt vor dem Wetter. Der Sturm pfeift hier oben noch heftiger und der Regen klatscht laut gegen die kleinen Fenster. Noch in der Nacht werden Pläne B, C, D und E durchgespielt, stündlich die Wettervorhersage geprüft. Wir schließen Wetten ab, ob die Übung überhaupt noch stattfindet. Der Großteil sagt „keine Chance“. Aber wir täuschen uns. Über Nacht lassen Sturm und Regen tatsächlich nach. Die britischen Kameraden, die in ihren Heimatstandorten in Norwich, Bury St. Edmund’s, Leicester und anderswo ausgeharrt haben (3 Royal Anglian besteht aus fünf Kompanien verteilt auf fünf Städte in Ostengland), machen sich auf den Weg und treffen bis elf Uhr auf der Farm ein. Bleiben also noch knapp sieben Stunden für eine Stationsausbildung in der Hügellandschaft.
Alles in verkürzter Form
Waffenausgabe. Die Handhabung des britischen Sturmgewehrs SA80 haben wir schon in Sennelager erlernt, damit wir es hier gleich nutzen dürfen. Schnell noch eine Einweisung in die Übungshandgranaten und Nebeltöpfe und los geht’s. Wir werden zu zweit in die britischen Gruppen eingegliedert und durchlaufen die Stationen: Contact Drills – hier sind die Kommandos identisch, aber die Prozedere teilweise viel komplizierter, unnötigerweise, wie wir alle meinen. Überwinden von Hindernissen: auch relativ kompliziert, aber effektiv. Gefangennahme: hochinteressant und geleitet von einem Mitglied der Royal Military Police mit jahrelanger Einsatzerfahrung in Afghanistan, Irak und anderswo. Artillerieunterstützung anfordern, Patrouille laufen. Interessant ist, wo unsere Herangehensweisen sich ähneln oder gleich sind und wo sie sich unterscheiden. Natürlich sind die Briten sehr höflich, zuvorkommend und hilfreich. Schnell sind wir eingegliedert und auch unser Kompaniechef ist sich nicht zu schade, als Trooper (einfacher Soldat) mitzulaufen.
Mit Sonnenuntergang ziehen wir bei der Farm unter. Um die 60 Männer und Frauen zwängen sich in die zwei kleinen Steinhäuser, ohne Duschen und mit einfachsten Toiletten. Wir schlafen auf dem Dachboden, in Lkws, Kleinbussen, Zelten. Das Wetter hat sich beruhigt. Kein Sturm mehr und kaum Regen. Dafür ist es empfindlich kalt. Abends zeigt sich sogar einmal die tief stehende Sonne unter dunkelgrauen Wolkenbändern. Es gibt Curry, Hot Dogs, viele Gespräche und Rugby. England verliert das Halbfinale der WM gegen Südafrika in den letzten Sekunden. Die Briten fragen uns, wie sie einmal zu uns zum Üben kommen können und wann wir wiederkommen.
Überraschende Beförderung
Nachts sternklarer Himmel. Morgens Porridge, English breakfast und ein schöner Sonnenaufgang über dem Bergrücken als Hintergrund für eine „Care-Under-Fire“- Vorführung und Lehrstunde. Die ersten Sonnenstrahlen färben den Nebel, den die Briten beim Ausweichen werfen, tieforange. Diesen Moment nutzen wir für die erste Auslandsbeförderung der Kompanie. Unser Chef der 2. Kompanie und ein Kompaniechef der Briten befördern einen Stabsgefreiten auf einer Almwiese bei Sonnenaufgang. Der Stabsgefreite weiß von nichts und hat feuchte Augen danach: „Mit so einer Feldbeförderung habe ich nicht gerechnet. Ich fühle mich geehrt, so befördert zu werden. Es wird eine Erinnerung fürs Leben bleiben.“ Überraschungsmoment gelungen.
So geht das erlebnisreiche Übungswochenende in England zu Ende. Während der Rückfahrt resümiert Kompaniechef Major G.: „Wir haben unter schwierigen Bedingungen im Regen begonnen, die Feldküche überlebt und sind im Sonnenschein als Waffenbrüder gegangen. Der Aufwand hat sich gelohnt und wir haben viel gelernt. We’ll be back.“ Colour Sergeant W. der Organisator der Übung, schließt mit „Thank you for being here and making this a special exercise for us. We look forward to working with you again.”