Neue Kategorie im Kampf: Die Mittleren Kräfte
Neue Kategorie im Kampf: Die Mittleren Kräfte
- Datum:
- Ort:
- Strausberg
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- 4 MIN
Landstreitkräfte müssen in der Lage sein, den Feind glaubhaft abzuschrecken und im Ernstfall Gelände auch außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets zu verteidigen. Für diesen Auftrag werden flexible und hochmobile Kräfte gebraucht, die schnell im Operationsraum sein müssen, um zu kämpfen. Dazu klafft derzeit noch eine operative Lücke in den Fähigkeiten des Heeres. Die dringend nötige Veränderung hat bereits begonnen.
Es wird eine Umgestaltung des Heeres in drei neue Kräftekategorien angestrebt – die Leichten, die Mittleren und die Schweren Kräfte. Was soll damit erreicht werden? In der derzeitigen Struktur besteht eine Lücke zwischen den schnellen, aber wenig durchsetzungs- und durchhaltefähigen leichten Kräften und den schweren mechanisierten, aber vergleichsweise aufwendig zu verlegenden Kräften. Die radgestützten Mittleren Kräfte sollen künftig diese Lücke schließen. Sie werden zu einer operativ notwendigen Ergänzung, um im Zusammenwirken mit Leichten und Schweren Kräfte mehr Handlungsoptionen im gesamten Aufgabenfeld zu haben.
Das heißt, das Heer wird mit dem sogenannten Zielbild Einsatzkräfte Heer über einen Fähigkeitsmix leichter luftbeweglicher, mittlerer radbeweglicher und schwerer kettengestützter Kräfte verfügen. Dieser breite Mix wird das Heer kriegstauglich machen und dazu befähigen, bestmöglich die Aufgaben sowohl in der Landes- und Bündnisverteidigung als auch im Internationalen Krisen- und Konfliktmanagement wahrnehmen zu können.
Mehr Feuerkraft
Was zeichnet die Mittleren Kräfte auf Rad aus? Sie sind hochmobil auf eigener Achse und dennoch durchsetzungsstark, auch im hochintensiven Gefecht. So können bestimmte Einsatzräume zum Verstärken von Kräften schneller und eigenständig erreicht werden. Damit diese Fähigkeit im Heer künftig präsenter ist, werden gerade schrittweise Verbände im Heer umgegliedert und teilweise neu unterstellt. Dafür müssen die Verbände mit dem richtigen Material ausgestattet, insbesondere mit verschiedenen Radfahrzeugen ergänzt werden. So sollen die Mittleren Kräfte etwa die dringend erforderliche Feuerkraft auf Rädern erhalten, indem die Radfahrzeuge mit schweren Waffentürmen und Haubitzen ausgestattet und neu beschafft werden. In den Brigaden der Mittleren Kräfte werden zukünftig Radschützenpanzer, Radhaubitzen, radbasierte Mörsersysteme, Transportpanzer, radbewegliche Pionierfähigkeiten sowie weitere radbasierte Systeme in allen Truppengattungen vorhanden sein müssen. Denn nur wenn alle Fähigkeiten einer einsatzbereiten Brigade radbasiert vorhanden sind, können die Mittleren Kräfte schnell am richtigen Ort wirksam werden.
Die Renaissance des Rades
Warum ist und bleibt das Rad so wichtig? Mittlere Kräfte sind eine neue Kräftekategorie, die ausschließlich auf radbewegliche Gefechtsfahrzeuge baut. Radbewegliche Kräfte zeichnet besonders aus, dass sie entlang von Straßen und Wegen aus eigener Kraft schnell in ein Einsatzgebiet verlegen können. Sie bieten eine effektive, schlagkräftige Kombination aus Wirkungsmöglichkeiten, Mobilität und Schutz. Im Konfliktfall können sie als schnell verlegbarer und zugleich stärker durchsetzungs- und durchhaltefähiger „operativer Türkeil“ die notwendige Zeit zum Einsatz weiterer, vor allem Schwerer Kräfte, verschaffen. Damit wirken sie dem Abschneiden von Bündnispartnern und eigenen Kräften im Operationsraum entgegen. Die hohe Geschwindigkeit im Landmarsch ermöglicht es ihnen, Raum sehr schnell zu überwinden und zu gewinnen. Hohe Beweglichkeit ermöglicht schnelle Kräftezusammenfassung und das zügige Verlagern des Schwerpunktes. Aufgrund der beschriebenen Vielseitigkeit, ihrer Infanteriestärke und der Radplattformen eignen sich Mittlere Kräfte zudem für Einsätze für das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement. Mittlere Kräfte sind in ihrer Gesamtheit ein robustes Mittel zur schnellen Krisenreaktion, Abschreckung und Verteidigung. Sie können in kürzester Zeit in alle Ecken des Bündnisgebietes autark verlegt werden. Neben dem Fähigkeitsaufbau im Bereich der Fahrzeuge und Waffensysteme bedarf es eines weiteren kontinuierlichen Ausbaus der Führungsfähigkeit durch digitale Führungssysteme.
2014 begonnen, durch den Ukrainekrieg verstärkt
Mit der Umsetzung der Verpflichtungen ab 2025, welche die Bundesregierung gegenüber der NATONorth Atlantic Treaty Organization eingegangen ist, und mit der bereits 2014 begonnenen Refokussierung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung wurde der Anpassungsprozess der Landstreitkräfte offenbar. Zu beobachten ist, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 dabei wie ein Katalysator auf den Erneuerungsprozess eines bislang auf Einsätze spezialisierten Heeres wirkt.
Die Dringlichkeit der Entscheidungen ist durch die aktuellen Erfahrungen des Ukrainekrieges bestätigt worden. So wurden bereits in den Wochen vor dem 24. Februar 2022, dem Tag des Angriffs der Russischen Föderation auf die Ukraine, Truppen der Allianz in Richtung östlicher Bündnisgrenze in Marsch gesetzt. Unter anderem verlegten die USUnited States-Streitkräfte Teile in Deutschland stationierter Truppen nach Polen und Rumänien, um so schnell einen sichtbaren, flexiblen und reaktionsfähigen Beitrag zur Abschreckung an der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke zu leisten. Deutschland hätte mit seiner bisherigen Struktur eine solch schnelle und in der Größenordnung vergleichbare erforderliche Verstärkung nicht leisten können. Denn für eine schnelle, lageangepasste wirksame Reaktion über größere Entfernungen stehen dem Heer bislang keine geeigneten Großverbände zur Verfügung. Dabei wird durch diesen Krieg deutlich, dass den Landstreitkräften unverändert eine entscheidende Rolle zukommen wird.
Das sind die konkreten Unterstellungswechsel
Ab dem 1. April 2023 werden die zwingend nötigen Unterstellungswechsel schrittweise und unter Berücksichtigung laufender Einsätze und Verpflichtungen umgesetzt. So werden die Schweren Kampftruppenbataillone auf die zukünftigen Schweren Brigaden, sprich die Panzerbrigade 12, die Panzerlehrbrigade 9 sowie die Panzergrenadierbrigade 37, aufgeteilt. Zugleich werden die Jägerkräfte der 1. Panzerdivision in der Panzerbrigade 21 zum Kern einer ersten künftigen Mittleren Brigade zusammengefasst und die 10. Panzerdivision von ihren Leichten Kräften entlastet.
Konkret heißt das: Die Gebirgsjägerbrigade 23 der 10. Panzerdivision wird künftig der Division Schnelle Kräfte unterstellt, das Panzerbataillon 363 der Panzergrenadierbrigade 37 wechselt in die Panzerbrigade 12. Die Panzergrenadierbrigade 37 erhält hingegen das Augustdorfer Panzergrenadierbataillon 212 der Panzerbrigade 21. Die Panzerbrigade 21 erhält das Jägerbataillon 91 von der Panzerlehrbrigade 9 sowie das Jägerbataillon 413 der Panzergrenadierbrigade 41.
Künftig soll das Heer über insgesamt drei kaltstartfähige Divisionen verfügen. Diese sollen in der Gänze aus zwei Leichten, drei Mittleren und drei Schweren Kampftruppenbrigaden bestehen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es in der Folge weitere strukturelle Maßnahmen im Heer geben.