Handgranaten, Kanaldeckel und eine Leiter
Handgranaten, Kanaldeckel und eine Leiter
- Datum:
- Ort:
- Lehnin
- Lesedauer:
- 4 MIN
Drei Soldaten, mit dem Gewehr G 36 schussbereit im Anschlag, gehen vorn. Ein vierter Soldat folgt mit einer Leiter. Zielstrebig und unter Deckung der restlichen Gruppe wird schnell das „Flughafengebäude“ erreicht. Dann fliegt eine Handgranate in den ersten Stock, detoniert und über die Leiter gelangen die Soldaten nacheinander ins Haus.
Die Soldatinnen und Soldaten gehören zur 2. Kompanie des Panzergrenadierlehrbataillons 92 aus Munster. Für zwei Wochen ist die Kompanie auf dem Truppenübungsplatz Lehnin, der circa 35 Kilometer südwestlich von Potsdam liegt und vor allem für den Orts- und Häuserkampf genutzt wird.
Für die Kompanie stehen damit die „Grundlagen Urbane Operationen“ auf dem Dienstplan. Dazu gehören „Türaufstellung“, „Raum – Raum“, „Stockwerk – Stockwerk“ oder „Vorgehen in Straßenzügen“. Vor allem die Ortschaft Rauhberg, besser bekannt als Ortskampfanlage Rauhberg, bietet mit ihren Straßenzügen und Gebäuden optimale Voraussetzungen, um den Kampf im urbanen Gelände zu üben. Denn Bahnhof, Supermarkt, Schule, Gericht, Uhrmacher oder Imbiss ermöglichen sowohl Übungsszenarien für Spezialisten als auch für eine Erst- oder Wiederholungsausbildung. Diese Ortskampfbahn 1 (OKA 1), wie sie offiziell genannt wird, hält mit ihren Möglichkeiten viele und besondere Optionen bereit, wozu die Kanalisation oder auch das Abseilen an Gebäuden gehören. Aber dazu an anderer Stelle mehr.
Am Anfang steht das Lehrgespräch
Die 2. Kompanie beginnt in der ersten Woche mit den Grundlagen für den Orts- und Häuserkampf. Dazu gehören selbstverständlich auch Unterrichtseinheiten und erste, kleine praktische Übungen, militärisch: das Stellen von Bildern. Anschließend werden alle Details zu einem Gesamtbild zusammengeführt und in der OKA 1 geübt. Schritt für Schritt vertiefen und festigen die Soldaten in Trupp- oder Gruppengröße ihr Wissen. Das Ziel dabei ist einfach und klar: Jeder muss wissen, was er beispielsweise beim Überqueren einer Straße oder bei der Erstürmung eines Hauses zu machen hat. Nur dann ist am Ende der Erfolg gesichert. Und Erfolg heißt dabei, den Auftrag ohne Verluste von Personal und Material auszuführen. Daher ist es folgerichtig, dass die Zugführer die einzelnen Abschnitte als Stationsausbildung angelegt haben. Jeder durchläuft mehrmals einen Ausbildungsabschnitt, mittags wird dann gewechselt.
Eine Hauswand hinablaufen
Deshalb begibt sich der Stoßtrupp, der gerade mit der Leiter das erste Stockwerk eines Hauses erfolgreich genommen hat, wieder in die Ausgangsstellung. Dort bereitet der Gruppenführer seinen Trupp erneut auf den bevorstehenden Gefechtsauftrag vor und spricht Details an, die beim vorherigen Durchgang gut waren oder nun verbessert werden sollten. Nach einem „Noch Fragen?“ sind alle Vorbereitungen getroffen und der Ausbildungsabschnitt beginnt erneut: Drei Soldaten mit dem Gewehr G 36 schussbereit im Anschlag gehen vorn. Ein vierter Soldat folgt mit einer Leiter
Manchmal muss man auch einfach etwas Glück haben. In der OKA 1 werden zeitgleich Feldjäger der Bundeswehr zum Thema Abseilen weitergebildet. Da auch dies für die Panzergrenadiere relevant sein kann, erhalten zehn Soldaten der 2. Kompanie die Möglichkeit, an der Ausbildung „Wie komme ich von oben in ein Haus hinein?“ teilzunehmen. Während dieser Erstausbildung legen alle unter Anleitung eines sehr erfahrenen Ausbilders das notwendige Gurtzeug an. Doppelt an Seilen gesichert geht es dann an der Außenwand des zwölf Meter hohen Postgebäudes zurück zum Boden. Die Herausforderung dabei? Den Schritt über die Dachkante zu machen, sich (gut gesichert) erstmal waagerecht in die Seile zu hängen und dann die Wand herunterzugehen. Alle schaffen es.
Von ganz unten auf die andere Straßenseite
Beim urbanen Kampf wird normalerweise oberirdisch gekämpft. In jedem Gefecht gibt es aber Situationen, in denen man mit einer ungewöhnlichen Maßnahme den Durchbruch schaffen kann und so einen Vorteil gegenüber dem Gegner hat. In der OKA 1 wird daher ebenfalls geübt, ein Gebäude „aus dem Untergrund“ zu stürmen.
Vor Ort gibt es eine Kanalisation, die den Angriff auf die gegenüberliegende Straßenseite ermöglicht. Das ist anspruchsvoll. Denn der Durchmesser des Röhrensystems bietet jeweils nur einer Person Platz. Die Soldaten des Stoßtrupps müssen daher hintereinander kriechend, mit einem Seil verbunden den Weg zum Zielobjekt zurücklegen. Das setzt eine entsprechende Fitness voraus. Knapp 200 Meter sind stark gebückt oder auf den Knien, mit der Waffe in einer Hand zu bewältigen. Die Waffe wirkt dabei sicher eher störend, aber nur so kann später schnellstmöglich mit ihr auch geschossen werden. Die Geschwindigkeit des Vormarsches bestimmt der erste Soldat und sie ist an die Feindlage anzupassen. Der Trupp muss zugleich am Ende des Tunnels noch kampffähig sein. Denn der eigentliche Kampf fängt prinzipiell erst nach dem Verlassen der Kanalisation an, da ein einstöckiges Haus genommen werden muss.
Immer schön leise
Die Bedingungen sind fordernd, alle müssen diszipliniert sein. Enge, Dunkelheit, Schmutz und Stress dürfen nicht dazu führen, dass sich der Trupp zu laut in der Kanalisation bewegt. Denn eine Kanalisation wirkt wie ein Lautsprecher; bin ich zu laut darin unterwegs, wissen die Gegner bereits vor meinem Eintreffen, dass ein Angriff auf die Stellung im Gange ist – damit hat er einen wesentlichen Vorteil und kann sich entsprechend vorbereiten.
Bei dieser Station versetzt der Gruppenführer, der gleichzeitig auch der Ausbilder ist, seine Gruppe in die notwendige Ausgangslage und legt fest, wer wo seinen Platz hat und wie das Vorgehen beim Einstieg sowie bei der Durchquerung der Kanalisation ist. Und er legt fest, wie nach dem Verlassen der Röhre das Haus zu nehmen ist – soweit dies von außen ersichtlich ist. Spätestens an dieser Stelle merken die Soldaten, dass „am Ende des Tunnels“ viele unbekannte Details auf sie warten. Auch diese Station wird mehrmals durchlaufen und alle erarbeiten sich auch für dieses Ausbildungsthema die notwendige Handlungssicherheit.