Die Vorauskräfte der Fallschirmjäger
Die Vorauskräfte der Fallschirmjäger
- Datum:
- Ort:
- Mittenwald
- Lesedauer:
- 5 MIN
Vorsichtig bewegen sich die Fallschirmjäger vom Fallschirmspezialzug aus Seedorf auf einem tief verschneiten Waldweg Richtung Tal. Die Idylle trügt. Sie müssen jetzt hoch konzentriert sein. Jedes Geräusch und jede Bewegung werden registriert, denn das Gelände ist ideal für einen Hinterhalt. Von den Höhen aus könnte der Feind auf sie schießen, hohe Verluste wären die Folge.
Man kann den Hinterhalt förmlich spüren: Die Frage ist nicht wie, sondern wann der Feind angreift. Normalerweise sind die Fallschirmjäger in der Luft in ihrem Element. Sie sind Profis für die vertikale Verbringung, wie man das Absetzen und gelenkte Gleiten mit dem speziellen Schirm, dem Flächenfallschirm, bezeichnet. Aber der eigentliche Auftrag beginnt auch für sie erst nach der Landung am Boden. Die Infanteristen aus dem Fallschirmjägerregiment 31 sind die sogenannten Vorauskräfte. Ihr Auftrag ist es, mithilfe einer Luftlandeoperation mögliche Landezonen für die Hauptkräfte des Regiments in feindlichem Gebiet zu erkunden, Informationen zu sammeln und die Landezone zu betreiben, bis Verstärkung eintrifft. Sie sind auch in der Lage, mit Spezialkräften zu agieren. Deshalb müssen sie in jedem erdenklichen Gelände, in jeder Klimazone weltweit einsetzbar sein, um ihren Auftrag ausführen zu können. Wie kämpft man in diesem schroffen, unübersichtlichen Gelände, trotz klirrender Kälte – eine besondere Fähigkeit, die auch einsatzerfahrene Infanteristen erst lernen und regelmäßig üben müssen. Diesmal werden sie von erfahrenen Gebirgsjägern ausgebildet. Die Gebirgsprofis der Gebirgs- und Winterkampfschule in Mittenwald zeigen, wie man im Winterkampf besteht.
Mulmiges Gefühl: Wo lauert der Feind?
Nur ein paar Funksprüche vom Zugführer sind jetzt noch zu hören. Infanteristen bewegen sich immer fließend und unauffällig. Geräuschdisziplin zählt auch im Gebirge. Nicht gerade leicht, wenn man sich mit Schneetrittlingen auf festgefrorenem Schnee bewegt. Die Gehhilfen werden an den Sohlen der Stiefel befestigt und verhindern das Einsinken in den Tiefschnee. Dank Nägel und Klingen aus Stahl beißen sich die Trittlinge beim Laufen regelrecht in das rutschige Eis. Das richtige Anlegen und Bewegen mit den Zusatzsohlen ist dennoch Übungssache.
Immer wieder stoppt die Formation für einen sogenannten Horchhalt. Es ist wichtig, permanent auf die Abstände zueinander zu achten, sonst ergeben die gestauten Soldaten ein leichtes Ziel für Angreifer. Der Erste in der Marschformation blickt durch sein fernrohrartiges Wärmebildgerät, um den Feind im Schnee leichter aufzuklären. Von vorn erhält der Zugführer außerdem regelmäßig eine Geländebeschreibung, sodass dieser sich auf schwierige Stellen vorbereiten kann, bevor die gesamte Marschgruppe sie durchquert. Plötzlich eröffnet ein Schütze das Feuer auf die Soldaten. Was jetzt?
Aufstellung in drei flexiblen Gruppen
Sofort gehen die kurzen Sturmgewehre des Typs G36K A4 hoch in den Anschlag. Der erste Blick durch die Optik soll sagen: Woher? Wie viele Angreifer? Jetzt muss der Zugführer sich ein Lagebild verschaffen und entscheiden, sonst drohen hohe Verluste. Was der Gegner nicht weiß: Die Fallschirmjäger haben ein Ass im Ärmel. Sie haben sich in diesem Geländeabschnitt in drei flexible Elemente aufgeteilt. Neben der Marschgruppe unten auf dem Weg bewegt sich gerade oben parallel eine höhenbegleitende Sicherung aus mehreren Soldaten. Eine weitere Gruppe kann bei Bedarf unten am Hinterhang eingesetzt werden, etwa in Kurven, wo der Hinterhang gleich wieder zum Vorderhang wird. Sie alle halten permanent Verbindung. Im Gebirge zählt der Grundsatz: „Wer die Höhen beherrscht, beherrscht auch die Täler“, erklärt Ausbilder Oberstabsfeldwebel Martin E.* die Situation. Allein von unten sei der Feind kaum zu bekämpfen. Das eigene Feuer würde durch den steilen Winkel kaum Wirkung im Ziel entfalten. Mit der Aufteilung sieht das anders aus. Wird die Taktik zum Erfolg führen?
Gegenangriff durch meterdicken Schnee
Der Entschluss lautet: Sie wollen den Feind werfen, wie Infanteristen in der Taktiksprache sagen, wenn sie den Feind überraschen und ihn im Gegenstoß bekämpfen. Dazu müssen sie sich beeilen. Dies ist nicht leicht, denn das Bewegen durch den meterdicken Schnee kostet nicht nur Zeit, sondern auch jede Menge Kraft. Sind die Trittlinge nicht richtig angelegt oder tritt man zu schräg, fallen die Gehhilfen gern mal vom Fuß – nervenraubend und im Gefecht gefährlich. Kräfte und Munition müssen zudem gespart werden. Im Gebirgskampf geht daher alles ein wenig langsamer. Jede Patrone zählt und muss getragen werden. Daher wird wie folgt vorgegangen: Sie nutzen das Überwachen mit Feuerüberlegenheit. Das heißt, der Schütze schießt erst, wenn er einen Feind wirklich erkannt hat. Dazu müssen die Soldaten aber immer die sogenannte Fühlung zum Feind behalten, also permanent in Sichtkontakt zum Angreifer stehen. Die sportlichen Fallschirmjäger geben Vollgas, durchqueren zügig das zerklüftete Gelände und überrumpeln den Angreifer. Es ertönt der Funkspruch: „Feind vernichtet!“
Gebirgs- und Winterkampfausbildung: Basis für den Ernstfall
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Die Fallschirmjäger durchlaufen nicht nur die realistische Gefechtsausbildung. Während ihres zweiwöchigen Aufenthaltes in der Luttensee-Kaserne müssen sie an weiteren Stationen zeigen, wie sie mit den Naturgewalten im alpinen Gelände zurechtkommen und bestehen. An einem Seil befestigt schießen sie von Klippen aus schwindelerregender Höhe hinab in die Tiefe. Sie durchqueren meterhohen Schnee, zu Fuß oder aufgesessen auf dem All-Terrain Vehicle (ATV). Sie übernachten im selbstgebauten Iglu, lernen im Schnee Verschüttete zu retten und zeigen bei mehreren Märschen, wie zum Beispiel zum Gipfel des 1.780 Meter hohen Wank, wie ausdauernd und robust sie sind.
„Als Fallschirmspezialzug sind wir immer autark unterwegs. In einer Operation haben wir keinen, auf den wir uns abstützen können, der uns rausholt. Wir müssen den Kampf immer selbstständig führen können, egal wo. Deshalb wollen wir hier wertvolle Erfahrungen sammeln und vorhandene festigen. Wie bewege ich mich in dieser Region? Welche Ausrüstung ist zweckmäßig und welche nicht? Wie kann ich meinen Zug am besten einsetzen?“, erklärt Hauptfeldwebel Christoph N.*. Er vertritt den Zugführer des Spezialzuges.
Werde Teil des Teams
Grundsätzlich können sich alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beim Spezialzug bewerben, vom Mannschaftsdienstgrad aufwärts. Für die Mannschaften gilt eine Restverpflichtungszeit von mindestens vier, besser acht Jahren. Zudem müssen alle Interessenten vorher das EGBErweiterte Grundbefähigung-Auswahlverfahren, also für Fallschirmjäger mit erweiterter Grundbefähigung, bestehen. Was genau macht der Fallschirmspezialzug und wie arbeitet das starke Team zusammen? Erste Einblicke erhalten die Anwärter bei ihrem Praktikum. Hauptfeldwebel Tom S.* hat auch so begonnen. Der erfahrene Fallschirmjäger erinnert sich an seine Anfangszeit: „Für mich war es damals das familiäre Arbeitsklima, das Arbeiten im Team und die Professionalität, die mich beeindruckt haben„, sagt er. Seit sechs Jahren dient er im Zug. Jetzt ist er der Spezialist für den Lufttransport und den Bereich Medizin: „Ich habe damals im Zivilleben Rettungsassistent gelernt und wollte diese Fähigkeit gern weiter einbringen.“
Nach der Aufnahme beginnt für die Soldaten eine sehr umfangreiche, spannende, aber auch herausfordernde Ausbildungszeit – sie lernen zu schießen, sprengen und funken, bis hin zum Freifallspringen und das alles weltweit. Grundfitness, starker Leistungswille und Leidensfähigkeit sind gute Voraussetzungen, um im anspruchsvollen Dienstalltag im Fallschirmspezialzug zu bestehen.
*Name zum Schutz des Soldaten geändert