Heer
Simulationstechnik

Das künstliche Gefecht

Das künstliche Gefecht

Datum:
Ort:
Gardelegen
Lesedauer:
4 MIN

Um auf den Einsatz vorbereitet zu sein, müssen die Soldaten taktische Grundsätze der eigenen Truppe beherrschen und die Raffinessen des Gegners kennen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist keine andere Ausbildung so gut, wie die grüne Schule auf dem Gefechtsfeld. Das Gefechtsübungszentrum Heer (GÜZ) ist das künstliche Gefechtsfeld für den Einsatz von morgen.

Ein getarnter Panzer fährt durchs Gelände, Staub wirbelt auf.

Der Leopard 2 wird im Gefechtsübungszentrum Heer in der Version 2 A5 mit kürzerer Kanone eingesetzt, optimal für die Simulation urbaner Operationen

Bundeswehr/Carl Schulze

Mit ihren Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 bewegen sich die Soldatinnen und Soldaten des Panzerbataillons 414 über die weite Fläche. Mit fast 50 Kilometern pro Stunde greifen sie in breiter Formation an. Durch die stabilisierte Kanone und elektronische Optiken gelingt es ihnen, Ziele auch während der Fahrt zu bekämpfen. Das Ziel im Fadenkreuz löst der Schütze die massive Kanone aus. Die Besonderheit heute: Durch das 120-Millimeter-Rohr des Waffensystems wird kein Geschoss, sondern ein Lichtstrahl aus einem Laser der Klasse I getrieben. Warum wird im Gefechtsübungszentrum mit Licht geschossen?

Das Laserschwert des Panzers

Ein Soldat richtet an einer Panzerkanone den lasergestützten Duellsimumlator ein...

Für die Übung wird auch der Kampfpanzer Leopard mit dem AGDUS-System ausgestattet. Die Kanone erhält eine optische Messeinheit.

Bundeswehr/Carl Schulze

Wie alle Waffensysteme im GÜZ ist auch der Leopard 2 zu Übungszwecken mit dem Ausbildungsgerät Duellsimulator (AGDUS) in der zweiten, verbesserten Generation ausgestattet. Die scharfen Waffenanlagen verschießen damit eingerüstet lediglich Übungsmunition, um das Auslösen der Waffe zu simulieren. Bekämpft wird der Gegner nicht mit letaler (tödlicher) Munition, sondern mit einem codierten Lichtsignal. Jedes Fahrzeug und jedes Gewehr verfügt über einen solchen Zwei-Wege-Laser, also Sender und Empfänger. Egal, ob ganzer Kampfpanzer, Panzerfaust oder einzelner Soldat: Sie sind allesamt mit dem hochmodernen Lasersystem ausgestattet. Nirgendwo sonst spielt das Thema Künstlichkeit eine so große Rolle wie auf dem Übungsgelände des Gefechtssimulationszentrums Heer und das hat auch einen Grund. Zwar sind die Waffensysteme des hauseigenen Ausbildungsverbandes und der Übungstruppe allesamt scharf und einsatzbereit. Kein Schiedsrichter der Welt könnte jedoch auf einer so hohen Distanz innerhalb von Sekunden in einem komplexen Übungsgeschehen erkennen und bewerten, welches Fahrzeug und welcher Einzelschütze tatsächlich bekämpft wurde.

Digitalisierung verbindet

Zwei Soldaten im Kampfanzug sitzen in ihrem getarnten Geländefahrzeug.

Das deutsche AGDUS-System ist in der neuesten Version mit den Systemen anderer Nationen kombinierbar

Bundeswehr/Carl Schulze

Das digitale System greift den Ausbildern und der Truppe unter die Arme, ohne den taktischen Ablauf zu stören. Der größte Vorteil: Durch die nichtletale Wirkung kann die Truppe in einer realistischen Kampfsituation gegeneinander antreten, verschiedenartige Treffer und Verwundungen inklusive. Die Verbände, die im GÜZ üben, treffen dabei stets auf den Ausbildungsverband, der aus erfahrenen Soldaten besteht. Sie sollen die übende Truppe an ihre Grenzen bringen. Technisch ist dank des neuen, kompakteren AGDUS-Systems einiges möglich. Zum Beispiel kann die Truppe mit den neuen Akkus bis zu 72 Stunden ohne Unterbrechung üben. Außerdem gibt es jetzt auch die Möglichkeit, multinational zu üben und die Live-Simulationssysteme anderer Nationen zu integrieren.

Die Systeme sind alle miteinander digital verknüpft und erlauben eine detaillierte Auswertung des Gefechts. Die Truppe erhält durch das digitale Üben verlässliche Erkenntnisse, auf deren Ergebnis weiter aufgebaut werden kann. Alles ist reproduzierbar, vom Feuer des Schützen bis hin zur taktischen Führung des Kommandeurs.

Kreativität ist gefragt

Vier Panzer fahren zwischen unbewohnten Häusern aus hellem Beton durch.

Die künstliche Stadt Schnöggersburg ist beispielhaft für die kreative und konsequente Gestaltung der Übungseinrichtung

Bundeswehr/Denny Mechelke

Auffällig: Die Gestalter des Gefechtsübungszentrums setzen die Duellsimulationstechnik sowie viele weitere Simulationslösungen beeindruckend kreativ ein. So wird die blickdichte Nebelwand nicht etwa durch die Geschützrohre der Artillerie, sondern durch einen umgerüsteten Pickup mit Nebeltöpfen verschossen. Bis auf die Waffen ist alles künstlich. Sogar die tellerartigen explosiven Verlegeminen einer Minensperre, die auf dem 24.000 Fußballfelder großen Areal verlegt werden, sind nicht echt, sondern lediglich Attrappen, die mit AGDUS reagieren, sobald ein Fahrzeug sich ihnen nähert.

So realitätsnah wie möglich

Besonders beeindruckend ist das Übungsgelände für den urbanen Kampf. Um der Truppe die Besonderheiten urbaner Operationen realistisch zu vermitteln, entsteht aktuell inmitten des weiten Geländes eine riesige Übungsstadt namens Schnöggersburg. An diesem ungewöhnlichen Ort sieht alles real aus. Es gibt einen Bahnhof mit Waggons, Einkaufspassagen, breite asphaltierte Straßen, ein Kanalisationssystem, ein U-Bahntunnel und vieles mehr. Das Einzige, was offensichtlich fehlt, ist das Stadtleben. Deshalb wirkt Schnöggersburg auf den ersten Blick wie eine Geisterstadt. Um das Stadtleben trotzdem so realitätsnah wie möglich zu gestalten, sollen sich während der Übung Rollenspieler durch die Stadt bewegen. Warum ist es nötig, eine Stadt wie Schnöggersburg so echt zu gestalten? Wenn die Ausbildung realitätsnah ist, können Soldaten auf ähnliche Situationen im Einsatz also der Realität optimal und professionell reagieren. Das wiederum erhöht ihre eigene Sicherheit. Die Nachfrage ist groß: „In 21 Übungsdurchgängen an bis zu 240 Ausbildungstagen im Jahr werden in der Altmark Verbände aus ganz Deutschland ausgebildet“, beschreibt Hauptmann Alexander Helle vom Gefechtsübungszentrum Heer die Auslastung der Einrichtung.

Mit voller Fahrt Richtung Einsatz

Ein Panzer fährt mit hoher Geschwindigkeit über eine Sandfläche, Staub wirbelt auf.

Im GÜZ muss die Truppe beweisen, dass sie im Gefecht bestehen kann. An dieses Ziel werden die Soldaten Schritt für Schritt herangeführt.

Bundeswehr/Carl Schulze

Eine Übung im GÜZ wird auch als Übungsdurchgang bezeichnet. Jeder Durchgang besteht aus festgelegten Abschnitten: Bereits sechs Monate vor der Übung trifft die Truppe mit dem GÜZ die wesentlichen Absprachen. Wie lautet das Übungsziel und welche Inhalte werden ausgebildet? Diese und weitere Punkte müssen genau festgelegt werden. Sie richten sich in erster Linie nach den Anforderungen des jeweiligen künftigen Einsatzes. Dann, zwei Monate vor dem Durchgang, wird das Gelände durch die übende Truppe taktisch und logistisch erkundet. Wo werden Mensch und Material untergebracht, wie werden sie versorgt? Nicht selten reisen 900 Soldaten an, wie im Fall des Panzerbataillons 414, um die Ausbildung zu durchlaufen. Dann beginnt die Gefechts- und Einsatzübung. Nach dem Prinzip „vom Einfachen zum Schweren“ üben die Soldaten zunächst auf Ebene Einheit, dann auf dem Level des gesamten verstärkten Verbandes. Auch das Panzerbataillon 414 hat den Übungsdurchgang gemeistert. Niederländer und Deutsche haben gemeinsam ihre Professionalität im Staub der Letzlinger Heide unter Beweis gestellt. Als multinationaler Gefechtsverband geht es für die Truppe aus Loheide wenige Monate nach dem GÜZ-Durchgang in den Einsatz. Hier werden die Soldaten bei der Mission enhanced Forward Presence der NATO in Litauen ab August in der 10. Rotation eingesetzt.

von Peter Müller

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