Am Seil mit den Gebirgsjägern
Am Seil mit den Gebirgsjägern
- Datum:
- Ort:
- Bad Reichenhall
- Lesedauer:
- 4 MIN
Nur noch zwei Meter bis zum Ziel, zum letzten Haken. Auch mit Handschuhen sind die Finger vor Kälte kaum noch spürbar. Trotzdem umklammern sie den Eispickel. Christina Aicher, Redakteurin der Passauer Neuen Presse, hat die Anwärter zum Heeresbergführer begleitet und klettert mit den Soldatinnen und Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 231. Hier ihr Bericht.
Es wird immer schwerer, einen Spalt oder Riss in der Wand zu finden, auf den ich meine Füße stellen kann. Die Kraft in den Armen schwindet mehr und mehr. „Nicht mit dem Finger in den Haken rein“, ruft Hauptfeldwebel Lars Rehfeld, der das Seil am Boden sichert. „Wenn du abrutschen solltest und mit dem Finger hängenbleibst, kann es sein, dass er ab ist.“
Vier Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 231 in Bad Reichenhall bereiten sich an einer Felswand, dem sogenannten Katastrophenfels, in Schneizlreuth auf ihre Ausbildung zum Heeresbergführer vor – eine der anspruchsvollsten bei der Bundeswehr. Angeleitet werden sie von Stabsfeldwebel Jörg Rauschenberger. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind zu diesem Zeitpunkt nicht spürbar –Ausgangsbeschränkungen sind noch nicht verhängt.
Klettern mit Steigeisen
An diesem Tag Mitte März herrscht frühlingshaftes Wetter. Trotzdem nutzen die Soldaten zum Klettern Steigeisen. „Sie sollen den Umgang mit Eisgeräten lernen, damit wir das dann im Winter am vereisten Felsen umsetzen können“, erklärt Rauschenberger, als er am Fuße der rund 20 Meter hohen Felswand steht. Denn das sind die Bedingungen, denen Heeresbergführer oftmals ausgesetzt sind – beispielsweise in den Dolomiten. Ihre Aufgabe ist es, Operationen im Gebirge durchzuführen. Unter anderem beraten sie Kommandeure und beurteilen die Gegebenheiten. Während sich Freizeitsportler in sicherem Gelände bewegen, müssen Heeresbergführer ein Terrain durchqueren, das noch nicht vorbereitet ist. Dabei müssen sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Einheit sicher ans Ziel bringen. „Die Heeresbergführer brauchen ein Verständnis fürs Gelände“, erklärt der Stabsfeldwebel.
Gefährliche Eispickel
Um sich als noch kletterunerfahrene Redakteurin einmal – zumindest ein bisschen – in die Lage eines Gebirgsjägers beziehungsweise Heeresbergführers reinzuversetzen, bietet der Katastrophenfels eine gute Gelegenheit. Normalerweise hängen Journalisten am Telefon und nicht am Seil. Jedoch sollte das als Sportbegeisterte, die auch einen 18-Kilometer-Hindernislauf bewältigt, kein Problem sein. Oder doch?
Also rein in den Klettergurt und Helm auf den Kopf. Erspart bleibt mir die Bundeswehrkleidung. Die vier Anwärter hingegen klettern in voller Montur mit dicker Jacke und klobigen Schuhen. Erschwerte Bedingungen haben die Gebirgsjäger zudem durch Waffe und Rucksack. Der Umgang mit den Eispickeln ist nicht ungefährlich. Sie fühlen sich wie unhandliche Verlängerungen der Arme an. Dieses Gefühl ändert sich auch nach den ersten Metern nicht. Eine kurze unbedachte Bewegung, schon schlägt man sich mit dem Eispickel schmerzhaft auf die Nase. Blauer Fleck programmiert. Trotzdem geht der Blick weiter nach oben. Wo ist der nächste Spalt am relativ flachen Felsen, in den man mit dem Eispickel greifen kann?
Eine Frau unter den Anwärtern
„Dort rechts oben“, ruft Rehfeld, der das Geschehen von unten genau beobachtet. Der 32-Jährige ist einer von deutschlandweit zehn Soldaten, die die Heeresausbildung in diesem Jahr machen wollen. Darunter eine Frau. Bevor sie allerdings zugelassen werden, müssen sie sich erst in einem Auswahlverfahren dafür qualifizieren. Es soll im Mai im österreichischen Saalfeld stattfinden. Auch dabei Soldaten aus europäischen Nachbarländern. Die eigentliche Ausbildung zum Heeresbergführer dauert ein Jahr – von Mai bis April.
Auch Feldwebel Bernhard Syha möchte sich dem Verfahren stellen. Der 27-Jährige hat nach seinem Schulabschluss zunächst einen handwerklichen Beruf ausgeübt. Später machte er eine Umschulung zum Programmierer. „Das hat mir aber nicht den Kick gegeben, den ich gebraucht habe.“ Zur Bundeswehr kam er durch seinen Vater, der ebenfalls Berufssoldat ist und den Heeresbergführerlehrgang erfolgreich absolviert hat. Neben dem Klettern gehören unter anderem Skifahren, Hochtouren, Lawinensprengungen und Flugrettung zur umfangreichen Ausbildung. „Dabei sollte man schon gewisse Grundvoraussetzungen mitbringen“, sagt Rauschenberger.
70 aktive Heeresbergführer
Etwa zehn Prozent der Anwärter schaffen sie nicht. Die körperliche Fitness wird bei einer Aufnahmeprüfung getestet. So müssen die Anwärter beispielsweise in kompletter Ausrüstung und mit zwölf Kilogramm Gepäck auf dem Rücken innerhalb einer Stunde circa sieben Kilometer und etwa 800 Höhenmeter im Laufschritt bewältigen.
Der Stabsfeldwebel war selbst zehn Jahre als Ausbilder aktiv. Nun ist der 47-Jährige wieder in der Gebirgsjägerbrigade in Bad Reichenhall eingesetzt, um die Anwärter auf das Auswahlverfahren vorzubereiten. Seit 1997 ist er Heeresbergführer. Derzeit arbeiten rund 70 Soldaten als Heeresbergführer. Im April 2012 haben auch zwei Frauen die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen – Beatrice Soyter und Christin Spindler. Im aktiven Dienst ist allerdings nur noch Beatrice Soyter – als derzeit einzige Frau.
Respekt vor der Leistung
Die Stimmen der Personen am Fuße des Felsens werden immer leiser. Ein Blick macht deutlich: Höhenangst wäre hier fehl am Platz. Nicht jeder Soldat sei für die Ausbildung geeignet, meint Rauschenberger. „Die Tätigkeit als Heeresbergführer ist auch mit einer enormen psychischen Belastung verbunden.“ Schließlich würden Heeresbergführer auch eine große Verantwortung gegenüber der Truppe übernehmen.
An diesem milden und sonnigen Tag im März ist eine solche Situation schwer vorzustellen. Der Gedanke, die Tour abzubrechen, kommt immer wieder hoch. Doch der Ehrgeiz treibt einen stets weiter. Lars Rehfeld hilft mit, in dem er das Seil auf Spannung hält. Langsam, Zentimeter für Zentimeter. Bis das Ziel nach etwas mehr als 15 Minuten endlich erreicht ist. Ein Heeresbergführer schafft die gleiche Strecke in drei Minuten. Dennoch ist die Freude über das Erreichte groß, auch wenn meine Arme vor Anstrengung vibrieren, die Hände schmerzen und die ersten blauen Flecken an den Beinen bereits spürbar sind. Aber noch größer ist der Respekt vor der Leistung der vier Anwärter.