Heer
Ein Blick zurück

Wechselvolle Geschichte: 69 Jahre Deutsches Heer

Wechselvolle Geschichte: 69 Jahre Deutsches Heer

Datum:
Ort:
Strausberg
Lesedauer:
8 MIN

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Seit 69 Jahren ist das Heer die größte Teilstreitkraft der Bundeswehr. Seine rund 60.000 Soldatinnen und Soldaten führen militärische Landoperationen durch, nutzen aber auch die dritte Dimension. Die sicherheitspolitische Lage änderte sich stetig und mit ihr das Heer. Doch der Kernauftrag, verteidigungsbereit zu sein, bleibt.

Schwarzweißfoto: Soldaten sitzen in einer Berghütte um einen Weihnachtsbaum herum.

Das kommende Weihnachten wird für das Heer und seine Soldaten das 68. sein. Vom Anfang bis heute war und ist das Heer einem steten Wandel unterlegen.

Bundeswehr/Adolf Blumenthal

Wer auf Geschichte schaut, schaut zwangsläufig auf Veränderungen: Am 12. November 1955, nur gut zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wird die Bundeswehr gegründet – und mit ihr ihre größte Teilstreitkraft, das Heer. Theodor Blank ist der erste deutsche Verteidigungsminister. Die Abteilung V im damaligen Bundesministerium für Verteidigung plant die Aufstellung des Heeres, erarbeitet eine völlig neue Heeresstruktur. Am 12. November 1955 treten die ersten Heeressoldaten dann ihren Dienst an. Die ersten Wehrpflichtigen für das Heer werden ab April 1957 einberufen.

Der Anfang ist gemacht 

Ein Soldat kniet mit seiner Waffe an einem Panzer.

Anfangs nutzt das Heer fremde Technik. Dieser Panzergrenadier sucht Schutz hinter einem Kampfpanzer M47 aus USUnited States-amerikanischer Fertigung.

Bundeswehr/Hans H. Siwik

Sieben Lehrkompanien in Andernach und die Gründung von zunächst zwölf Truppenschulen stehen am Anfang des Aufbaus der ersten Heeresstrukturen. Das Gesetz über die zwölfmonatige Wehrpflicht ebnet zugleich den Weg für die ersten 10.000 Wehrpflichtigen in das Heer. Der erste Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans Röttiger, ist somit maßgeblich an dessen Aufbau beteiligt. Er wirkt an der Ausarbeitung der Himmeroder Denkschrift mit, einem Grundsatzdokument zum Aufbau der Bundeswehr und zur Wiederbewaffnung Deutschlands.

Die ersten Planungen für die Heeresstruktur 1 fallen sehr großzügig aus. Der für die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Unterstellung vorgesehene Teil allein des Heeres soll nach amerikanischem Vorbild 320.000 Soldaten umfassen. Doch dazu kommt es, ursprünglich geplant von 1956 bis 1958, aus politischen Gründen nie. Der neue Verteidigungsminister Franz Josef Strauß reduziert die Zielmarke für den Friedensumfang des Feldheeres Ende 1956 auf 195.000 Soldaten. 1958 beträgt die Stärke des Heeres dann etwa 100.000 Soldaten. Bei der Ausrüstung greift man zunächst auf amerikanisches Material wie beispielsweise den Kampfpanzer M47 zurück.

Brigaden sind beweglicher

Doch auch diese Struktur muss wegen sich ändernder sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen schnell überdacht werden. Die sowjetischen Streitkräfte führen taktisch-nukleare Gefechtsfeldwaffen ein. Das Heer muss auf diese neue Bedrohung reagieren. Die mit bis zu 28.000 Mann sehr großen Divisionen der Heeresstruktur 1 erscheinen für den Einsatz unter atomaren Bedingungen als zu schwerfällig. Die Heeresstruktur 2 hat kleinere, schnell bewegliche Kräfte zum Ziel. 

In den Mittelpunkt der Überlegungen rückt der Gedanke einer beweglich geführten Verteidigung mit der Fähigkeit zu reaktionsschnellen Gegenangriffen. Unterhalb der Division werden die Brigaden eingeführt, 1959 werden 27 Brigaden mit insgesamt 148.000 Mann aufgestellt.

Am 13. August 1961 baut die DDR die Berliner Mauer. Auch das hat Auswirkungen auf das Heer der Bundeswehr: Wegen der verschärften Bedrohungslage wird der Grundwehrdienst zunächst vorübergehend auf 18 Monate verlängert.

HOT, MILAN und Leopard

Zwei Soldaten liegen auf einer Wiese hinter einer großen Panzerabwehrwaffe.

Die Panzerabwehrwaffe MILAN ist eine in deutsch-französischer Zusammenarbeit entwickelte leichte Boden-Boden-Panzerabwehrlenkwaffe. Sie dient der Bekämpfung von Panzern, gepanzerten Fahrzeugen, aber auch befestigte Stellungen.

Bundeswehr/Günther Oed

Auch die Siebzigerjahre, das Heer ist inzwischen in seiner dritten Struktur, sind gekennzeichnet von den Spannungen zwischen den Großmächten USA und Sowjetunion. Auf die sich veränderte Bedrohungssituation reagiert der Führungsstab des Heeres mit der Anschaffung bedeutender Waffensysteme. Neues Wehrmaterial wie die Panzerabwehrlenkraketen HOT (Haut subsonique Optiquement Téléguidé) und MILAN (Missile d'Infanterie Léger Antichar) oder der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard werden eingeführt. 

Zudem werden neue Waffensysteme, insbesondere der Kampfpanzer Leopard 2, der Flugabwehrpanzer Roland und ein Panzerabwehrhubschrauber, entwickelt. Aber auch strukturell wird auf die Veränderungen reagiert. Die neue NATONorth Atlantic Treaty Organization-Strategie der flexiblen Erwiderung, Flexible Response, entsteht: Die Antwort der NATONorth Atlantic Treaty Organization auf eine mögliche sowjetische Aggression soll für den Angreifer nicht vorhersehbar sein.

Mit der Heeresstruktur 4 zwischen 1980 und 1992 stehen im Heer 38 aktive Brigaden bereit: 17 Panzer-, 15 Panzergrenadier-, drei Luftlande- und eine Gebirgsjägerbrigade sowie die ab 1982 der NATONorth Atlantic Treaty Organization zugewiesenen aktiven Heimatschutzbrigaden 51 in Eutin und 56 in Neuburg an der Donau. Die Bundeswehr insgesamt hat zu diesem Zeitpunkt ungefähr 495.000 Soldaten und Soldatinnen.

Und wieder gibt es Veränderungen, dieses Mal aber positive: Michael Gorbatschow, seit 1985 zunächst Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, läutet mit seiner Glasnost-Politik eine Ära der Entspannung ein. Der Kalte Krieg endet. Die Berliner Mauer fällt am 9. November 1989.

Nun wird eine Heeresstruktur 5 notwendig, denn die Bundeswehr soll verkleinert und gleichzeitig umgebaut werden. Das Heer nimmt die Struktur der Wiedervereinigung ein.

Das Heer übernimmt Teile der Nationalen Volksarmee

Am Rand eines Marktplatzes stehen Soldaten angetreten in Formationen umrahmt von Zivilisten.

Im Oktober 1990 findet in Bad Salzungen in Thüringen das erste feierliche Gelöbnis der Armee der Einheit statt

Bundeswehr/Matthias Zins

Im Kaukasus treffen sich im Juli 1990 Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident Gorbatschow. Erfolgreich legen die Staatsmänner die Modalitäten zur deutschen Wiedervereinigung fest. Am 3. Oktober 1990 endet mit dem Tag der Einheit die Geschichte der Nationalen Volksarmee. Nach bereits massiv erfolgtem Personalabbau verbleiben rund 89.000 NVANationale Volksarmee-Soldaten, die ab diesem Tag die Uniformen der Bundeswehr tragen. Dazu kommen noch mal rund 48.000 Zivilbeschäftigte, die übernommen werden.

Das Kommando über die „neuen“ Truppenteile liegt zunächst allein beim Bundeswehrkommando Ost mit Sitz in Strausberg. Der Befehlshaber des Kommandos ist der spätere brandenburgische Innenminister, Generalleutnant Jörg Schönbohm. 1995 dienen bereits rund 60.000 Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr in den neuen Bundesländern. Unter den Augen der Bevölkerung besteht die Armee der Einheit während der Oderflut 1997 ihre erste Bewährungsprobe.

Das Heer bewährt sich in multinationalen Einsätzen

Schwere Lkws fahren einen schmalen Bergpfad hinauf.

Im April 2000 bahnen sich Heeressoldaten den Weg durch das Kosovo. Einige Einheiten sind auf dem Berg Civiljen nach der Stadt Prizren untergezogen.

Bundeswehr/Detmar Modes

In den Neunzigerjahren wird das Heer mit seinen Soldaten auf weltweite Einsätze und das internationale Konfliktmanagement vorbereitet und bereits eingesetzt wie in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo. Es gilt, den Wandel zu einer Armee im Einsatz strukturell abzubilden. Der offizielle Startschuss für die Reform des Heeres fällt am 21. Juli 2000 mit der Weisung zur Ausplanung der Streitkräfte der Zukunft.

Es geht darum, Bündnispartner außerhalb Deutschlands mit Kräften in der Größenordnung einer verstärkten Mechanisierten Division zu unterstützen. Alternativ dazu sollen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung bis zu 10.000 Soldaten und Soldatinnen in zwei gleichzeitigen Einsätzen für einen langen Zeitraum bereitstehen. Für die nationale Vorsorge, etwa Evakuierungsoperationen deutscher Staatsbürger oder zum Zweck der humanitären Hilfe und Katastrophenhilfe, sind darüber hinaus Kräfte in der Größenordnung von etwa 1.000 Mann vorzuhalten.

Das Heer profitiert nun von der Nachsteuerung der 5. Heeresstruktur. Schon damals werden die Korps zu Trägern der Multinationalität. Das II. Korps wird im April 1993 in das II. Deutsch-Amerikanische Korps umgewandelt. Das I. Korps wird im August 1995 aufgelöst und an seiner Stelle das I. Deutsch-Niederländische Korps aufgestellt. Dies alles sind gute Voraussetzungen für das „Neue Heer“. Das Einsatzspektrum der Heeressoldaten ändert sich grundlegend.

Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung wie in Afghanistan ab 2001 stehen jetzt im Vordergrund. Die am 1. März 2004 erlassene Weisung zur Weiterentwicklung der Streitkräfte setzt das Ziel: eine einsatzorientierte, differenzierte Ausrichtung der Streitkräfte, um streitkräftegemeinsam im multinationalen Umfeld zu operieren. Im Vergleich zum „Heer der Zukunft“ ist das „Neue Heer“ noch konsequenter auf Auslandseinsätze ausgerichtet und optimiert, 2010 umfasst das Neue Heer rund 83.000 Soldaten und Soldatinnen.

Wendepunkt Annexion der Krim

Zwei Schützenpanzer feuern, sie stehen dabei auf einer Wiese. Rauch steigt auf.

Auf dem Truppenübungsplatz Bergen steht der Schützenpanzer Puma 2014 bei seiner taktischen Einsatzprüfung im Feuer

Bundeswehr/Jane Hannemann

Das kleine Strausberg bei Berlin erlangt wieder Bedeutung in der Geschichte des Heeres. Ab 2013 wird das Heer statt aus Koblenz nun aus dem Kommando Heer in Strausberg geführt. Hier haben der Stab des Inspekteurs des Heeres und die einzige höhere Kommandobehörde im Organisationsbereich Heer bis heute ihren Sitz. Es ist das Planungs-, Führungs-, Lenkungs- und Kontrollinstrument des Inspekteurs. Und wieder verändert Politik das Heer: Mit der Annexion der Krim 2014 durch Russland und nach dem NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gipfel in Wales wird die Landes- und Bündnisverteidigung wieder wichtiger.

Das Heer stellt eine multinationale Battlegroup unter deutscher Führung in Litauen zusammen. Und dass, obwohl sich zeitgleich knapp ein Fünftel der gesamten Heeresangehörigen in Auslandseinsätzen, einsatzgleichen Verpflichtungen und anerkannten Missionen befindet. Mit der Bereitstellung von Streitkräften und Technik für die Mission enhanced Forward Presence an der Ostflanke der NATONorth Atlantic Treaty Organization in Litauen und für die Schnelle Eingreiftruppe der NATONorth Atlantic Treaty Organization, die Very High Readiness Joint Task Force, setzt das Heer alles daran, das Bündnis zu stärken und die europaweite Kooperation voranzutreiben. 

Eines ist dabei aber auch klar: Für die Landes- und Bündnisverteidigung im 21. Jahrhundert kann es nicht einfach ein Zurück in alte Strukturen geben.

Neues Zielbild

Mehrere Panzer fahren eine Kasernenstraße entlang.

2021 erhält das Panzerbataillon 393 im thüringischen Bad Frankenhausen als erster Verband die neueste Version des Kampfpanzers, den Leopard 2 A7V.

Bundeswehr/Marco Dorow

Mit dem Weißbuch aus dem Jahr 2016 passt sich Deutschland der veränderten sicherheitspolitischen Lage an. Die Soldaten des Heeres leisten künftig einen entscheidenden Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bündnis. Deutschland ist Drehscheibe alliierter Truppenbewegungen, Stationierungsort großer Militärverbände der Partner, rückwärtiger Operationsraum und Truppensteller für die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Kontingente an der Ostgrenze der NATONorth Atlantic Treaty Organization.

Spätestens mit dem Großangriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ist klar, dass dieser eingeschlagene Weg richtig ist. Der aktuell amtierende Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, kündigt 2022 mit dem Zielbild Heer strukturelle Veränderungen an, um das Heer konsequenter als bislang auf die Landes- und Bündnisverteidigung auszurichten. Das Zielbild dient dabei als Kompass und gibt eine Richtung vor, ohne sich an einen Weg zu binden. 

Dazu kommt ein erhöhter Verteidigungshaushalt mit einem zusätzlichen Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, die beide hohe Investitionen in modernstes Gerät und Ausrüstung ermöglichen. Das Heer schließt damit nicht nur die Fähigkeitslücken der Vergangenheit, sondern gestaltet seine Zukunftsfähigkeit. Der 1. April 2023 markiert den Einstieg in die neuen Kategorien Leichte, Mittlere und Schwere Kräfte.

Abschreckung bestimmt das Handeln

Ein Kampfpanzer bei der Schussabgabe. An der Mündung des Rohres entsteht ein großer Feuerball.

Abschreckung und Bündnisverteidigung stehen auch im Jahr 2024, also 69 Jahre nach Gründung des Heeres, im Mittelpunkt des Auftrages

Bundeswehr/Marco Dorow

Die Bedrohung durch Russland erfordert kaltstartfähige, kohäsive und kriegstaugliche Großverbände“, so Mais. Die Division 2025, die neu aufzustellende Panzerbrigade 45 in Litauen und die Übungsserie Quadriga 24 sind drei große Aufgaben, welche die Heeressoldatinnen und -soldaten mit Bravour stemmen. Quadriga 2024 ist die größte Übung deutscher Landstreitkräfte seit dem russischen Angriffskrieg. Mehr als 12.000 Soldaten trainieren die Alarmierung und Verlegung von nationalen und multinationalen Landstreitkräften. Bei dem Großvorhaben Quadriga 2024 steht die Bundesrepublik Deutschland als Drehscheibe für die erforderlichen Truppenaufmärsche im Mittelpunkt.

In diesem Jahr hat Verteidigungsminister Boris Pistorius auch die ersten 21 Soldaten für die Brigade Litauen entsandt. Rund 4.800 Soldatinnen und Soldaten sollen bis Ende 2027 in Litauen die volle Einsatzbereitschaft erreichen. In Deutschland stellt das Heer zudem die Heeresflugabwehrtruppe neu auf. In einer Erstbefähigung ist zunächst die Ausstattung mit dem Flugabwehrsystem Skyranger 30 geplant.

All diese Maßnahmen zeigen: Das Heer leistet auch 69 Jahre nach seiner Gründung einen wesentlichen Beitrag zu Frieden und Freiheit in Deutschland und Europa.

von René Hinz

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