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„Dekontamination als einzige wirksame Lösung“ – eine Erfinderin bei der Bundeswehr

Als Kind wollte Maria H. Schauspielerin werden. Heute arbeitet sie als Chemikerin in einem wehrwissenschaftlichen Institut an Innovationen im Bereich ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutz, die dafür sorgen, dass die Truppe ihren Auftrag sicher ausführen kann. Ein bedeutsamer Job mit vielen Facetten.

Zwei Frauen stehen in einem Labor gegenüber.

Eine unsichtbare Gefahr: ABCAtomar, Biologisch, Chemisch oder CBRNchemical, biological, radiological, nuclear – beide Abkürzungen beschreiben die gleichen Gefahren. Es geht um Kampf- und Gefahrstoffe, vor denen sowohl die Truppe als auch die Bevölkerung geschützt werden müssen. Eine wirksame Möglichkeit: Dekontamination.

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  • Eine Frau mit Brille und langen braunen Haaren sitzt an einem Schreibtisch und arbeitet an einem PC.
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    Chemie statt Theater

    Dass Maria H. einmal einen naturwissenschaftlichen Beruf ergreifen würde, damit hatte ihre Mutter nie gerechnet. „Sie dachte immer, ich werde irgendwas Kreatives“, erzählt die 35-Jährige und lacht. In der Schule spielt sie Theater, begeistert sich sehr für Sprachen und andere Kulturen. Trotzdem macht sie nach dem Abitur eine Ausbildung als Chemielaborantin in einem Kernkraftwerk, entscheidet sich danach für ein Studium: Chemie an der Uni Hamburg. Über das Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung an ihrer Universität geht es gemeinsam mit einer Projektgruppe für zehn Tage nach Genf zu einer Konferenz zum „Biowaffenübereinkommen“. „Das war so spannend, dass ich anfing, mich über das Thema Chemiewaffen zu informieren“, berichtet H., „ich wollte schon immer sinnvolle Arbeit leisten und – überspitzt gesagt – nicht das 200. Shampoo entwickeln.“ Sie macht ein Auslandssemester bei einer internationalen Organisation in den Niederlanden und schreibt dort anschließend bei einem Institut für militärische Forschung im Bereich ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutz auch ihre Masterarbeit. Hier hört sie zum ersten Mal vom deutschen Pendant, dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien – ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutz, kurz WISWehrwissenschaftliches Institut für Schutztechnologien - ABC-Schutz, im niedersächsischen Munster.

  • Eine Frau mit Brille trägt einen weißen Laborkittel und hält lächelnd fünf kleine Metallscheiben in die Kamera.
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    Vom Kaffeepad zur Erfindung

    „Ich wollte mittlerweile unbedingt etwas mit ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutz machen“, sagt sie rückblickend. Also bewirbt sie sich initiativ beim WISWehrwissenschaftliches Institut für Schutztechnologien - ABC-Schutz. Und wird prompt eingestellt – als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich C-Detektion. Hier bringt die Kaffeepad-Maschine eines Kollegen Maria H. auf eine verrückte Idee: Sie entwickelt ein verbessertes Probenahmesystem zum Nachweis von chemischen Gefahrstoffen in der Luft. Ganz konkret geht es dabei um ein Spezialfilterplättchen für ein bereits bestehendes Messgerät. Dank seines Aufbaus ist es in der Lage, gefährliche Substanzen, die sich auf dem Probenahmepad – optisch einem gewöhnlichen Kaffeepad ähnelnd – gesammelt haben, unter hohen Temperaturen wieder freizusetzen. So können diese anschließend nachgewiesen werden. Besonders relevant sind solche Analysen für die Bundeswehr im Zusammenhang mit chemischen Kampfstoffen oder giftigen Industriechemikalien, die sich in der Luft ausbreiten können. Die Diensterfindung der Chemikerin ist mittlerweile sogar zum Patent angemeldet. „Denkbar ist zum Beispiel eine Überwachung durch das passive Sammeln von Proben, also beispielsweise mittels einer Drohne, an Menschen oder Geräten. So können wir im Nachhinein eine Verbreitung von gefährlichen Stoffen in Gefahrenzonen prüfen oder bestätigen“, erklärt Maria H.

  • Eine Zivilisten hockt am Boden und arbeitet dabei an einer Flugdrohne
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    Dekontamination: Teamwork

    Heute arbeitet sie als Beamtin im WISWehrwissenschaftliches Institut für Schutztechnologien - ABC-Schutz. Ihr Geschäftsfeld ist quasi für alles zuständig, was die chemische Dekontamination, also das Entfernen gefährlicher Verunreinigungen von Geräten und Materialien, in der Bundeswehr betrifft – ein wichtiger Teil des ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutzes. Einerseits muss für neu in die Bundeswehr eingeführte Geräte, Fahrzeuge, Waffen und vieles mehr geprüft werden, ob sie im Falle eines Angriffs von chemischen Kampfstoffen befreit beziehungsweise gereinigt werden können. Andererseits müssen diese Gegenstände und Oberflächen auch den dafür vorgesehenen Dekontaminationsmitteln und -verfahren standhalten – dürfen dadurch beispielsweise nicht porös oder gar zerstört werden. „Das ist alles notwendig, um bei möglichen Angriffen mit gefährlichen Substanzen das Fortsetzen der Missionen zu gewährleisten, ohne dass Equipment und Gerät sowie Fahrzeuge ausfallen. Das Risiko einer Kontamination soll durch diese Maßnahmen stark verringert oder möglichst gänzlich ausgeschlossen werden“ erklärt H., die das Kampfstofflabor leitet. Und ergänzt: „Kein Tag ist wie der andere.“ Gemeinsam mit ihrem Team testet sie die Materialien und Geräte. Der Ablauf sieht folgendermaßen aus, erzählt sie: „Ein Fahrzeug wird zum Beispiel zu uns gebracht, wir sprühen es mit zu diesem Zweck genutzten Übungsdekontaminationsmitteln ein. Diese machen gut sichtbar, an welche Stellen des Fahrzeugs das Mittel herankommt und wirkt – und welche Stellen eher schwierig zu reinigen sind. Wir überprüfen außerdem, ob es am Fahrzeug oder Gerät Materialien gibt, bei denen eine Dekontamination schlicht nicht sichergestellt werden kann und die deswegen möglicherweise sogar entfernt werden müssen.“

  • Eine Person im Schutzanzug steht vor einem Fahrzeug und spritzt es mit einem Hochdruckreiniger ab.
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    Enge Zusammenarbeit mit der Truppe

    Aktuell arbeiten Maria H. und ihr Team daran, ein Dekontaminationsmittel einzufärben. Die Idee: So ist besser sichtbar, welche Bereiche des zu dekontaminierenden Fahrzeugs bereits mit der Lösung benetzt wurden. Der Wunsch danach kam direkt aus der Truppe, mit der das Institut in seinen Forschungsprojekten eng zusammenarbeitet. „Aktuell führen wir auch Versuche mit Fluoreszein durch, das im Dunkeln unter UV-Licht sichtbar ist. Nachtsichtgeräte können die Farbe aber nicht sehen – das haben wir natürlich ebenfalls getestet.“ Aus Sicherheitsgründen. Vielleicht, so sagt Maria H., findet das Endprodukt der Versuche bald seinen Weg in die Truppe. 

    Die Arbeit des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Schutztechnologien und ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutz empfindet sie als enorm wichtig, die Gefahren chemischer Kampfstoffe seien groß. Und leider, in der heutigen Zeit, der Einsatz nicht mehr auszuschließen. „Es ist essenziell, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen. Ich hoffe immer, dass meine Arbeit nicht benötigt wird – denn dann hätten wir ein wirkliches Problem. Aber da es für manche chemischen Kampfstoffe kein Gegenmittel gibt, ist die Dekontamination in diesem Fall unsere einzige wirksame Lösung.“

    von Sarah Stein

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