WTDWehrtechnische Dienststelle 61 - Grenzen erweitern

Im Team ans Limit - sichere Hubschrauberlandungen auf Schiffen

Im Team ans Limit - sichere Hubschrauberlandungen auf Schiffen

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Wind und Seegang auf den Weltmeeren. Auch die neuen Mehrzweckhubschrauber der Marine, NHNATO-Helicopter-90 Naval Transport Helicoper (NTHNaval Transport Helicopter) Sea Lion, müssen bei schwierigem Wetter gefahrlos auf Schiffen starten und landen können. Dafür galt es die Grenzen durch die Experten der Wehrtechnischen Dienststelle für Luftfahrzeuge und Luftfahrtgerät der Bundeswehr (WTDWehrtechnische Dienststelle 61) und der Marineflieger des Marinefliegergeschwader 5 (MFGMarinefluggeschwader 5) auszutesten.

27 Personen haben sich vor einem Hubschrauber platziert.

Das 6-köpfige Testteam der WTDWehrtechnische Dienststelle 61 mit den Piloten des MFGMarinefluggeschwader 5 und Besatzungsmitgliedern des EGVEinsatzgruppenversorger „Bonn“

Bundeswehr/Dominique Schneider

Anfang März 2023 auf der Nordsee: Der Einsatzgruppenversorger (EGVEinsatzgruppenversorger) „Bonn“ pflügt durch die Wellen. Für die volle Einsatzbereitschaft eines EGVEinsatzgruppenversorger gehört auch ein einsatzbereiter Hubschrauber und das Wissen, bis zu welchen Wetterbedingungen noch Starts und Landungen auf offener See möglich sind.

Effizienter werden: Wie werden die Grenzen festgelegt?

Für den Sea Lion wollte man die Grenzwerte, die sogenannten Ship Helicopter Operating Limitations (SHOLsShip Helicopter Operating Limitations), schnellstmöglich bereitstellen. SHOLsShip Helicopter Operating Limitations sind Grenzwerte, die festlegen, bis zu welchen Windgeschwindigkeiten und -richtungen ein Hubschrauber sicher von einem Schiff abheben und landen kann“, erklärt der Auftragsverantwortliche der WTDWehrtechnische Dienststelle 61. Aber auch die „Subjective rating scale“, die Arbeitsbelastung der Piloten, fließt in die SHOLsShip Helicopter Operating Limitations mit ein: „Also das Niveau, bis wohin der standardausgebildete Pilot eine Landung noch schaffen kann“, erklärt einer der Testpiloten. 

Beim bisher verwendeten Test-Verfahren musste man sich mit kleinen Schritten an das vertretbare sichere Limit des Hubschraubers oder der Piloten oder andere Faktoren wie die Arbeitsbelastung der Crew herantasten. Bei sich immer ändernden Windverhältnissen wiederholte man die Versuche so lange, bis das entsprechende Limit erreicht wurde. „Limits sind hier die zur Verfügung stehende Leistung der Triebwerke, die gegebenen Limits der Steuerung, und auch das Gefühl des Testpiloten, wie sich das Verhalten des Hubschraubers auf die Steuerbarkeit auswirkt“, so der Auftragsverantwortliche. Mit dieser Methode ist eine hohe Anzahl an Starts und Landungen nötig.
Deshalb bekam die WTDWehrtechnische Dienststelle 61 bereits 2020 den Auftrag zur Ermittlung der SHOLsShip Helicopter Operating Limitations, noch bevor der erste Sea Lion offiziell an die Marine übergeben wurde. 
Das Test-Team war sich schnell einig, dass man auf die Erfahrungen des Niederländischen Luft- und Raumfahrtzentrums zurückgreifen wolle. Dort wurde zusammen mit der niederländischen Marine eine zeitsparende Methode zur Festlegung der SHOLsShip Helicopter Operating Limitations entwickelt. Entstanden aus einer Kombination von Daten aus Windkanaltests und Flugversuchen an Land, validiert durch Praxistests auf See.

Gute Vorbereitung ist alles: Einsatzprüfung vorab

Die Absprachen mit allen Beteiligten benötigten viel Organisationsgeschick und einige Vorlaufzeit. „Einer der kritischsten Punkte war, eines der raren Zeitfenster auf einem EGVEinsatzgruppenversorger zu ergattern, auf dem die Erprobung durchgeführt werden sollte“, erinnert sich ein Testflugingenieur der WTDWehrtechnische Dienststelle 61. „Zunächst war der EGVEinsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ eingeplant – für September 2022. Das hat sich zerschlagen, und alles musste umgeplant werden“, ergänzt sein Kollege, ebenfalls Testflugingenieur der WTDWehrtechnische Dienststelle 61. Nun wurden zwei Wochen auf dem EGVEinsatzgruppenversorger „Bonn“ Anfang 2023 zugeteilt.

Ein Hubschrauber wird durch einen Lotsen im Landeanflug eingewiesen.

Nicht nur in der Luft ist volle Aufmerksamkeit gefragt

Bundeswehr/Dominique Schneider

Im Vorfeld führte das MFGMarinefluggeschwader 5 eine vierwöchige Einsatzprüfung zur operationellen Reife des Systems durch: Zunächst eine Woche im sicheren Hafen, dann eine Woche an Deck des EGVEinsatzgruppenversorger und zwei Wochen im Flugbetrieb. Die beiden Testpiloten der WTDWehrtechnische Dienststelle 61 unterstützten dabei für eineinhalb Wochen die Marine für den gemeinsamen Erfahrungsaufbau.

Dummies als Ersatz 

Ein Container voll Equipment wurde vom bayrischen Manching, dem Standort der WTDWehrtechnische Dienststelle 61, an die Nordseeküste gebracht. Denn für Flugversuche wird ein reales Einsatzszenario nachgestellt. „Das Gewicht des Hubschraubers bei den Testflügen muss dem vollen Einsatzgewicht entsprechen“, erklärt einer der Testpiloten. Dieses liegt zwischen zehn und elf Tonnen und wurde unter anderem durch Crashtest-Dummies und 1,2 Tonnen Blei erreicht. 

5 Dummies sitzen angeschnallt im Laderaum eines Hubschraubers.

Auch Dummies wurden zur Sicherheit angeschnallt

Bundeswehr/Dominique Schneider

Gemeinsam an die SHOLsShip Helicopter Operating Limitations

Übernachtung an Bord eines Schiffs – kein Alltag für das Team der WTDWehrtechnische Dienststelle. Sie gehören für die Dauer der Erprobung zur Schiffsbesatzung des EGVEinsatzgruppenversorger „Bonn“.
Nach der täglichen Einweisung der Schiffsbesatzung folgten das Briefing für die Hubschrauberbesatzung und die Besprechung für die Testflüge. „Die wichtigste Frage für uns am Morgen war immer, ob das Wetter für uns den Wind hergibt, den wir für unsere Tests benötigen“, erinnert sich einer der Testpiloten. In den nur fünf verfügbaren Erprobungstagen blies der Wind in allen erforderlichen Stärken. „Je nachdem, welcher Wind wo vorausgesagt war, mussten wir das entsprechende Seegebiet anfahren“. 
Alle Erprobungsflüge erfolgten in enger Zusammenarbeit als „Viererteams“, immer ein Pilot und ein Testflugingenieur der WTDWehrtechnische Dienststelle an Bord – zusammen mit einem Piloten und einem Bordmechaniker der Marine. 

Ein Hubschrauber befindet sich über dem Landeplatz eines großen Schiffes in der Luft.

Beim Landeanflug ist Präzision gefordert

Bundeswehr/Jan Kleu

Aber was macht diese Landungen bei Wind so komplex und eben auch gefährlich? Die Piloten erklären: „Das Flugdeck liegt auch beim EGVEinsatzgruppenversorger ganz hinten – hinter den großen Schiffsaufbauten. Um diese strömt der Wind und verwirbelt dann dahinter. Dort wo der Hubschrauber anfliegen und landen muss.“ Kursänderungen des Schiffes sind zwar grundsätzlich möglich, um dadurch die Windverhältnisse durch eine andere Landerichtung zu vereinfachen. „Das geht aus vielerlei Gründen nicht uneingeschränkt, könnte man sicherlich im Friedensbetrieb und bei viel Zeit zumindest anstreben“, wissen die erfahrenen Piloten. „Aber wir müssen vom Einsatzbetrieb ausgehen. Und da kann es sein, dass man aus unterschiedlichsten Gründen gar nicht manövrieren kann. Sei es, dass man im Verband unterwegs ist, oder dass dadurch die Operation gefährdet würde.“

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Die starken Windverhältnisse sind deutlich zu erkennen beim Anflug des NHNATO-Helicopter-90 auf den EGVEinsatzgruppenversorger „Bonn“
Transkription des Videos

Welche Anflugverfahren sollten getestet werden? 

„Anhand der Daten des Niederländischen Luft- und Raumfahrtzentrums wussten wir, ab welchem Bereich wir ansetzten mussten – ab wann es kritisch werden könnte. Und das ist das, was uns herausfordert, wozu wir ausgebildet sind“, so einer der beiden Testpiloten.
Relevant waren drei Anflugverfahren, jeweils angeflogen von Steuerbord und Backbord: Anflug parallel zum Schiff – und dann in Höhe Landeplatz mit der Nase voraus quer aufs Schiff. Anflug und Landung schräg von hinten kommend. Oder von Beginn an Anflug quer zum Schiff „Insgesamt waren wir knapp 30 Stunden für die Erprobung in der Luft. Davon achteinhalb Stunden in der Nacht. Nachtlandungen sind“, ist sich die Besatzung einig, „die größte Herausforderung“. „Draußen ist es schwarz. Pechschwarz. Wir haben unsere Nachtsichtbrille auf und mit dem verstärkten Restlicht müssen wir uns orientieren“, berichtet ein Testpilot. „Ziemlich anstrengend, aber das gehört dazu. So sind wir insgesamt 73-mal bei Nacht gelandet“. 

Ein beleuchteter Hubschrauber steht auf dem Landeplatz im Dunkeln.

Höchste Konzentration steht während der anspruchsvollen Nachtflüge an erster Stelle

Bundeswehr/Dominique Schneider

Nach jedem Start und jeder Landung werden Abläufe, Messdaten und Landebedingungen genau dokumentiert.

Positiver Input für die Zukunft 

Während der Kampagne konnten mit über 300 Landungen auf dem Flugdeck alle erforderlichen SHOLsShip Helicopter Operating Limitations erflogen und somit festgehalten werden, in welchen die Grenzen sich die Marineflieger für einen sicheren Bordbetrieb bewegen können. Die gesammelten Ergebnisse werden in entsprechende Vorschiften für den Flugbetrieb des NHNATO-Helicopter-90 umgewandelt und dienen auch als Grundlage für die spätere Ausbildung im NHNATO-Helicopter-90. Ein weiteres Resultat der Versuche: die Testpiloten und Marineflieger ergänzten die vorhandenen Orientierungsmarken auf dem Flugdeck des EGVEinsatzgruppenversorger.

Ein Hubschrauber steht auf dem Landeplatz mit Landemarkierungen eines großen Schiffes.

Die bereits vorhandenen Orientierungsmarkierungen auf dem Flugdeck des EGVEinsatzgruppenversorger

Bundeswehr/Josef Rauchecker
Ein Hubschrauber steht auf dem Landeplatz mit Landemarkierungen eines großen Schiffes.

Mit den Erweiterungen der Orientierungsmarkierungen soll zukünftig jeder EGVEinsatzgruppenversorger markiert werden

Bundeswehr/Josef Rauchecker
von Petra Klinker, WTD 61

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