Sie kämpfen am Himmel über der Ukraine. Ob im Flugzeug oder im Hubschrauber – ukrainische Piloten und ihre Besatzungen verteidigen ihr Land täglich gegen den russischen Angreifer. Eine Gruppe findet sich diese Woche jedoch in einem Schwimmbecken der Marine wieder. Das Ziel: die Männer auf den Fall eines Abschusses über See vorzubereiten.
„Ditching, Ditching, Ditching!“ Angespannte Blicke treffen den deutschen Ausbilder, als er das Kommando zur Notlandung auf dem Wasser gibt. Die ukrainischen Soldaten gehen die Abläufe, die ihnen in den letzten Tagen gezeigt wurden, nochmal im Kopf durch. Ein letzter Atemzug. Dann prallt die Hubschrauberkabine mitsamt Insassen auf die Wasseroberfläche. Sie sinkt sofort und das Wasser bricht über die Lehrgangsteilnehmer herein. Schnell ist die Kabine geflutet und beginnt sich zu drehen. Wo eben noch unten war, ist jetzt oben. Hinzu kommt die Schwerelosigkeit im Wasser. Wer jetzt nicht das Beigebrachte anwendet, verliert die Orientierung.
Überwacht von Tauchern arbeiten sowohl die Piloten im Cockpit als auch die Kampfretter im Laderaum mit gezielten Handgriffen das erlernte Schema ab und bahnen sich ihren Weg aus dem sinkenden Wrack. Fliegerkombi, Schutzweste und Waffe machen den lebensrettenden Ablauf nicht leichter. Doch unter gegenseitiger Hilfe tauchen die Männer prustend an der Wasseroberfläche auf. Am Beckenrad erwarten sie bereits die Ausbilder der Marine mit der Auswertung des Trainingsdurchgangs. Einem von dutzenden.
„Ich fühle mich sicherer.“
„Es geht um das Erlernen von Notverfahren. Wichtig ist, sich Hand über Hand an festen Punkten Richtung Notausgang oder Notausstieg vorzuarbeiten, diesen zu öffnen und aufzutauchen“, erklärt der Ausbildungsleiter, Kapitänleutnant Sascha K.*, das Ausbildungsziel am Unterwasserausstiegstrainer. Dieser wird mithilfe eines Deckenkrans auf Knopfdruck ins Wasser gelassen und gedreht, um einen Absturz ins Wasser zu simulieren. „Wenn ich die Handgriffe nicht konsequent umsetze, treibe ich unter Wasser auf, verliere die Orientierung und schaffe es möglicherweise nicht, die Kabine schnell genug zu verlassen“, erläutert der erfahrene Marineoffizier.
Einer der ukrainischen Lehrgangsteilnehmer ist Denys**. Der Kampfretter ist häufig mit Luftfahrzeugen unterwegs, um verletzte oder isolierte Kameraden aus der Kampfzone zu evakuieren. „Ich konnte meine Barriere im Kopf abbauen, die mich daran gehindert hat, im und unter Wasser strukturiert zu arbeiten. Jetzt habe ich mich an dieses Element gewöhnt. Dadurch fühle ich mich sicherer“, berichtet Denys, der sein ziviles Leben mit dem Beginn des russischen Großangriffs im Februar 2022 aufgegeben hat.
Denys‘ Kamerad Maksym** ist selbst Ausbilder für Sicherheit in Luftfahrzeugen. Maksym wollte seit seiner Kindheit Soldat werden und trat 2013 in die Streitkräfte ein, wenige Monate vor der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim. Er freut sich darüber, an dem Lehrgang „Überleben See“ der Marine teilnehmen zu können. „Das ermöglicht mir, mein eigenes Ausbildungsprogramm in der Ukraine zu verbessern und das Erlernte weiterzugeben. In der Ukraine habe ich zwar auch Ausbildungsmöglichkeiten, aber nicht in diesem Umfang und durch die Feindsituation sind wir zusätzlich eingeschränkt“, berichtet er und fügt hinzu: „Ich bin sehr positiv angetan vom Kenntnisstand der deutschen Ausbilder. Sie gehen zudem auf jeden Einzelnen ein und üben die Verfahren so lange, bis alles klappt. Vorher wird nicht aufgegeben.“
In einer Woche wieder im Krieg
Die einwöchige Ausbildung „Überleben See“ für die ukrainischen Luftfahrzeugbesatzungen ist Teil der europäischen Ausbildungsmission EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine, mit der 24 europäische Nationen ukrainische Soldatinnen und Soldaten für die Verteidigung ihres Landes trainieren. Wer in was ausgebildet wird, orientiert sich strikt an den Bedarfen, die die ukrainischen Streitkräfte ihren europäischen Partnern melden. Zum Lehrgang „Überleben See“ der Marine kommen regelmäßig ukrainische Luftfahrzeugbesatzungen, um ihre Überlebenschance im Falle einer Notlandung im Wasser zu verbessern.
„Normalerweise ist der Lehrgang an das Luftfahrzeug angepasst, das die Teilnehmer fliegen – also Jet, Hubschrauber oder Propellermaschine“, erklärt Kapitänleutnant Sascha K. Die ukrainischen Ausbildungsgruppen seien allerdings immer durchmischt, sodass sie eine etwas längere „Alles-Was-Geht-Ausbildung“ erhielten, erläutert der deutsche Ausbilder. So werde versucht, mit einem umfangreichen Ausbildungsangebot allen Teilnehmern das Passende an die Hand zu geben.
„Zu Beginn vermitteln wir die theoretischen Grundlagen und machen die Teilnehmer mit den Rettungsmitteln vertraut. Dann folgen die Wassergewöhnung und die Praxisphase in der Halle,“ beschreibt Sascha den Ausbildungsablauf. „Kernstück ist der Unterwasserausstiegstrainer, aber auch das Üben des WinschensBeim Winschverfahren wird eine zu rettende Person mithilfe der Seilwinde eines Hubschraubers aus dem Wasser in das Luftfahrzeug gezogen. Auch das Ablassen von Personen aus dem Hubschrauber auf ein Schiff oder in unwegsames Gelände ist so möglich. , das Befreien aus dem Fallschirm-Gurtzeug bei den Jet-Piloten oder der Umgang mit der eigenen Rettungsweste sind wichtige Bestandteile der Ausbildung“, führt er weiter aus. „Der letzte Tag ist dann reserviert für das Open Sea Survival Training auf der Nordsee“, so der Ausbilder.
Besonders angetan ist Kapitänleutnant Sascha K. von der Motivation der Ukrainer: „Regelmäßig haben wir Nichtschwimmer und die leisten trotzdem alles ab. Da wird dann die Aufgabe, sich im Wasser die Fliegerkombi auszuziehen, eben auf drei Metern Tiefe ausgeführt.“ Der Anspruch und Wille, sich außerhalb der eigenen Komfortzone zu bewegen, seien enorm, so der Ausbilder. Das mache die Arbeit mit den Ukrainern auch maximal erfüllend. „Hinzu kommt, dass wir wissen, dass diese Menschen in einer Woche wieder an der Front kämpfen und alles gebrauchen können, was wir ihnen an die Hand geben“, erzählt Sascha K.
Rettung aus der Nordsee
„Bail out, bail out, bail out!” Dieses Mal folgt auf den Befehl des Ausbilders zum Verlassen des Luftfahrzeugs kein Fall in das klare, warme Wasser der Schwimmhalle, sondern ein Sprung in die trübe, sieben Grad kalte Nordsee. Eine Gruppe Ukrainer springt in orangefarbenen Überlebensanzügen samt Rettungsinsel vom fahrenden Ausbildungsboot. Schnell wird der Abstand zwischen Boot und Ukrainern größer, wobei aber noch gut zu erkennen ist, wie sich die signalfarbenen Rettungswesten sowie die überlebenssichernde Insel aufblasen. Sich gegenseitig unterstützend verschwinden alle in ihrem Innern. „Zu Beginn hat es Überwindung gekostet, aber ab dem Moment, wo ich im Wasser war, konnte ich das Gelernte anwenden und dann war es ganz einfach“, berichtet Maksym später.
Nun heißt es auf Rettung warten. Bis dahin sorgen allerdings die Speedboote der Ausbilder für ordentlichen Wellengang, um die Seefestigkeit der Rettungsmittel unter Beweis zu stellen. Dann ist das Dröhnen von Rotorblättern zu hören. Ein Transporthubschrauber der Bundespolizei setzt sich über die orangen Flecken auf dem Wasser. „Als der Hubschrauber kam, wurde es durch den Abwind der Rotoren sehr windig. Unter diesen Bedingungen alle Handgriffe durchzuführen, war nicht so einfach wie ich dachte. Aber mit der Unterstützung meiner Kameraden hat es geklappt“, erzählt Maksym.
Nur wenige Meter über dem Ausbildungsboot schwebend, lassen die Bundespolizisten die erfolgreichen Lehrgangsteilnehmer mit ihrer Seilwinde wieder ab. „Ich bin sehr froh, diese Ausbildung bekommen zu haben. In die Ukraine fahre ich jetzt sehr glücklich zurück, mit der Sicherheit, das Gelernte im Notfall anwenden zu können“, berichtet Denys erleichtert, die festen Planken des Bootes wieder unter den Füßen. Auch Ausbilder Maksym will das Erlernte nun schnell selbst an seine Auszubildenden in der Ukraine weitergeben. „Meine Motivation, nach elf Jahren Krieg weiter zu machen, ist, dass meine Familie und meine Freunde in der Ukraine leben. Und wenn wir es nicht schaffen die Angreifer aufzuhalten, dann befürchte ich auch, dass sich der Krieg auf ganz Europa ausbreitet. Mehr Motivation brauche ich nicht.“
Vier Fragen an Ausbilder Sascha K.
Wofür braucht man den Lehrgang „Überleben See“?
Am besten zeigt das eine Anekdote. In den 90er Jahren ist ein Kamerad von mir, mit dem ich diese Ausbildung damals gemacht habe, mit einem Hubschrauber der Marine verunglückt. Durch den Aufprall auf das Wasser wurde er schwer verletzt. Schnell sank er im Wrack in die Tiefe. Auf 20 Metern Tiefe, nachts im Mittelmeer, konnte er einen Notausstieg durchführen und sich das Leben retten. Er erzählte mir später, dass sich in seinem Kopf ein Film abgespielt hat und der hieß „Überleben See“. Er habe die Stimmen seiner Ausbilder gehört, den Chlorgeruch der Halle in der Nase gehabt. Die Ausbildung hatte sich so tief verankert, dass er handeln konnte und das Notverfahren abgespult hat. Das wollen wir mit diesem Training erreichen.
Warum werden Ukrainer für das Überleben auf See ausgebildet?
Wenn man sich die geografische Lage der Ukraine anschaut, gibt es gerade nahe der Stadt Odessa große Wasserflächen – das Schwarze Meer. Und auch aus der Perspektive eines Jet-Piloten ist die Ukraine nicht so riesig, sodass man in einer Notsituation die Entscheidung treffen könnte, lieber aufs Meer auszuweichen, als hinter feindlichen Linien notlanden zu müssen.
Gibt es besondere Herausforderungen bei ukrainischen Lehrgangsteilnehmern?
Gar keine. Bei meinem ersten Lehrgang hatte ich mich noch gefragt: Was kommen da jetzt für Menschen und vor allem, mit welchen Eindrücken. Aber nach kürzester Zeit konnte ich sagen, das sind Menschen wie du und ich, sehr sehr herzlich zudem. Und sie kommen mit der Einstellung, dass das, was wir ihnen hier vermitteln, ihr Leben retten könnte. Die haben gar kein Problem, sich aus der Komfortzone zu bewegen.
Wie ist es für Sie, Männer auszubilden, die eine Woche später wieder im Krieg sind?
Ich hatte mal zwei Jet-Piloten im Lehrgang, die waren jünger als meine eigenen Kinder. Und du weißt, wenn die nach Hause fahren, fliegen und kämpfen sie eine Woche später an der Front. Alle hier sind sich bewusst, dass diese Menschen in ihrer Heimat eine große Gefahr erwartet. Die Arbeit ist aber auch maximal erfüllend, weil die Kameraden aus der Ukraine einfach dankbar sind, weil die beißen und weil man direkt merkt: Du gibst denen was an die Hand, was sie gebrauchen können.
* Name zum Schutz des Soldaten abgekürzt.
** Name zum Schutz des Soldaten geändert.
von
Ole Henckel