Das Szenar von ORION 23 drehte sich um die Abwehr einer Invasion. Die Beteiligten: Arnland war früher mit Mercure und Botnia in einer Staatenunion konföderiert. Nach dem Auseinanderbrechen des Staatenbundes wurden die Länder unabhängig. Während das neutrale und blockfreie Arnland nach Westen strebt, will Mercure die alte Union wiederherstellen und unterstützt Separatisten in Arnland. Dieser Anteil von ORION 23 wurde seit Ende Februar mit Manövern in Südfrankreich abgebildet. Nach vergeblichen Verhandlungen marschierten Mercures Truppen dann im April in Arnland ein. Frankreich und seine NATONorth Atlantic Treaty Organization-Verbündeten stellten sich gemeinsam mit Arnlands Truppen der Aggression entgegen.
Die beteiligten Angehörigen der Deutsch-Französischen Brigade (DF-Brigade) stellten die „Kräfte Rot“ dar. Am 19. April begannen etwa 1.200 Soldatinnen und Soldaten, von der Gemeinde Chaumont aus nach Norden vorzurücken. Eine der beteiligten deutschen Einheiten war die 2. Kompanie des Jägerbataillons 292. Ihr Auftrag: Vormarsch nach Nordwesten und den Aisne-Kanal forcieren.
Bald nach Überschreiten der Ablauflinie lagen hinter Major Thomas Bschorr und seiner Kompanie aufreibende Tage in der Hochphase der Großübung. „Viel marschieren und aufklären, dazwischen immer wieder Gefechte mit gegnerischen Kräften“, fasst Bschorr zusammen. Bei den Ortschaften Mailly-le-Camp und Mourmelon lieferten sich die Gegner in den ersten Tagen der Konfrontation größere Gefechte.
Dabei schlugen sich die Soldatinnen und Soldaten von Bschorrs Kompanie gut. „Ganz ohne Übungskünstlichkeit ging es nicht. Das hatte vor allem mit den verfügbaren Kräften zu tun.“ Mit seiner Kompanie musste der Major nämlich je nach Lage mitunter ein Bataillon abbilden. Die bei ORION 23 als „Kräfte Rot“ eingesetzten Teile der Deutsch-Französischen Brigade spielten einmal sogar eine Division. „Als Angreifer hätten wir dem Feind zahlenmäßig überlegen sein müssen. Davon waren wir aber weit entfernt.“ Immerhin: Nach Gefechten und Scharmützeln durften die Opposing Forces ausgefallene eigene Kräfte „wiederbeleben“. Dieses Privileg hatten die Verteidiger nicht.
Hoch intensive Gefechte wechseln mit Alltagsstrapazen
Die Gefechtsarten Angriff und Verzögerung waren wichtige, aber nicht die einzigen Herausforderungen, auf die sich die Übungstruppe auf beiden Seiten einstellen musste. „Hoch intensive Gefechte mit gepanzerten Einheiten, Infanterie und allen Aspekten der modernen Aufklärungsmittel spielten eine wichtige Rolle. Ebenso taktische Luftnahunterstützung.“
Daneben seien aber auch vermeintlich selbstverständliche Routinejobs zu erledigen gewesen. „Märsche über viele Kilometer durch feindbesetztes Gebiet sind so eine Sache. Da ist Aufklärung wichtig, weil man sonst plötzlich im Hinterhalt aufwacht.“ Auf häufig frequentierten Truppenübungsplätzen seien die Einheitsführer meist mit dem Gelände vertraut. „Die kennen die besten Spots auf dem Platz. Aber dieser Vorteil entfällt bei einer freilaufenden Übung im Nachbarland.“ Dort durften zur Orientierung erst einmal Karten zusammengeklebt werden.
Außerdem habe permanent die Logistik berücksichtigt werden müssen. Sprit und Verpflegung, Munition und Ersatzteile waren nachzuführen. Auch die Frage der Unterkunft wirkte sich aus, weil es keine festen Truppenlager gab. „Wo ziehen wir unter? Haben die Männer und Frauen heute Abend eine Dusche oder nicht? Solche Fragen mussten wir neben den taktischen Aufträgen auch klären.“
Der Spieß der 2. Kompanie sei all die Tage der Truppe voraus gewesen, um Quartiere zu finden. „Und er war sehr erfolgreich dabei“, sagt Bschorr. Zum Glück seien sowohl die französischen Gemeindevertreter als auch die Bevölkerung gastfreundlich gegenüber den Deutschen aufgetreten. Turnhallen oder andere kommunale Einrichtungen wurden unbürokratisch aufgeschlossen. „Ich war positiv überrascht über die Freundlichkeit“, so Bschorr.
Schulterschluss mit französischen Kameraden
Nach zehn Tagen hatten die Angreifer am 28. April mit dem Forcieren des Aisne-Kanals bei Villeneuve-sur-Aisne beinahe ihren weitesten Vorstoß erreicht. Hier richteten sie einen Brückenkopf ein und rückten noch einige Kilometer weiter nördlich bis zur Ortschaft Sissonne vor. Dann war „Blau“ am Drücker und die „Kräfte Rot“ gingen zur Verteidigung über. So wollte es das Szenar. „Nach den Kämpfen bei Sissonne mussten wir nach Süden ausweichen, während der Gegner nachstieß“, erläutert Bschorr später.
Art und Umfang der Übung lobt der Kompaniechef im Nachhinein. „Unsere Soldatinnen und Soldaten haben neben fordernden taktischen Aufträgen auch ganz alltägliche Strapazen erlebt. Ständig unterwegs, wenig Schlaf und dennoch höchste Aufmerksamkeit. Das gehört zum Soldatenleben dazu“, sagt Bschorr. Selten sei es möglich, dies so realitätsnah und komprimiert abzubilden.
Auch die Zusammenarbeit mit den französischen Kameraden der DF-Brigade habe gut geklappt. „Beim Angriff auf Mailly hatten wir zum Beispiel Flankensicherung durch die Radspähpanzer AMX-10 RC der 3. Husaren und haben dann den Schulterschluss mit der 2. Kompanie des Infanterieregimentes 1 gesucht.“ Deutsche und Franzosen hätten ihre Gefechtsaufträge zwar nicht „in gemischten Einheiten“ wahrgenommen, so Bschorr. „Aber die binationale Kooperation hat gut funktioniert. Und das ist ein gutes Gefühl.“