Herr Dr. Biehl, Herr Dr. Steinbrecher: Sie haben die politischen Anschauungen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erstmals umfassend aufgearbeitet. Was sind Ihre zentralen Befunde?

Die Unterstützung für rechtsextremistische Positionen ist bei Soldatinnen und Soldaten deutlich geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt. Zudem fanden wir heraus, dass Soldatinnen und Soldaten sich stärker für Politik interessieren, ein größeres Vertrauen in staatliche Institutionen haben, mit der Demokratie in Deutschland zufriedener sind und die freiheitliche demokratische Grundordnung stärker befürworten als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

Alle diese Ergebnisse zeigen sich übrigens auch für das Zivilpersonal der Bundeswehr. Man könnte daher so weit gehen zu sagen, dass die Angehörigen der Bundeswehr interessiertere, zufriedenere, aktivere und damit vielleicht aus einer demokratietheoretischen Perspektive ‚bessere‘ Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind als der Bevölkerungsdurchschnitt.
Die Streitkräfte verfolgen eine klare Null-Toleranz-Linie im Hinblick auf politischen Extremismus in den eigenen Reihen. Glauben Sie, dass die Soldatinnen und Soldaten ehrlich zu Ihnen waren?

Selbstverständlich gehen wir von einem gewissen Maß an sozial erwünschten Antworten der Soldatinnen und Soldaten aus. Aber wir haben alles unternommen, Effekte sozialer Erwünschtheit zu kontrollieren und zu verringern. Insgesamt gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Zustimmung zu einzelnen rechtsextremen Positionen in der Bundeswehr so hoch ist wie in der Bevölkerung oder gar höher als in der Bevölkerung. Und genau dasselbe gilt für den Anteil der Befragten mit konsistenten rechtsextremen Überzeugungen.
Warum haben Sie sich auf den Rechtsextremismus beschränkt?

Der Großteil der extremistischen Verdachtsfälle in der Bundeswehr stammt aus dem Phänomenbereich des Rechtsextremismus. Deshalb konzentriert sich die Studie auf diesen Bereich sowie auf die angrenzenden Phänomene der Neuen Rechten, der Verschwörungstheorien und Reichsbürger.

Laut Verfassungsschutz sind Reichsbürgerpositionen und Verschwörungstheorien neue, eigenständige Phänomenbereiche, die nicht zwangsläufig mit Rechtsextremismus gleichzusetzen sind. Sie überlappen sich mit diesem aber teilweise. Unsere Ergebnisse offenbaren, dass der Anteil an Personen, die Positionen der Reichsbürger und Verschwörungstheorien unterstützen, in der Bundeswehr nur etwa halb so hoch ist wie in der Bevölkerung.
Was macht eine rechtsextremistische Weltanschauung aus?

Rechtsextremismus ist kein einheitliches Phänomen. Was die verschiedenen Gruppen und Strömungen aus diesem Bereich gemeinsam haben, sind folgende Punkte: Sie gehen alle davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder zu einer Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheidet. Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind zentrale Bestandteile. Hinzu kommt, dass viele Rechtsextremisten den Nationalsozialismus verharmlosen oder verherrlichen. All diese Aspekte stehen in fundamentalem Widerspruch zu zentralen Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und dem Grundgesetz.
Und wie haben Sie diese rechtsextremistischen Einstellungen gemessen?

Wir nutzen sowohl in der bundeswehrinternen Befragung als auch in der Bevölkerungsumfrage dieselbe Skala, die seit mehr als zwei Jahrzehnten zum Beispiel in den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Einsatz kommt. Durch die vergleichsweise hohe Zahl von 18 Items in sechs Dimensionen erfasst die Skala rechtsextremistische Haltungen in ihrer gesamten Breite. Die Zustimmung zu einzelnen Aussagen deutet dabei noch nicht auf ein geschlossenes Meinungsbild hin. Für ein geschlossenes rechtsextremes Meinungsbild muss ein Befragter oder eine Befragte mindestens auf die Hälfte der 18 abgefragten Aussagen mit mindestens „stimme eher zu“ geantwortet haben. Und bei der anderen Hälfte muss mindestens mit „teils, teils“ geantwortet werden.
Sie haben auch nach den Ursachen für die Unterstützung rechtsextremistische Einstellungen unter Soldatinnen und Soldaten gesucht. Was haben Sie herausgefunden?

Unsere Analysen zeigen, dass rechtsextreme Einstellungen mit zwei Faktoren einhergehen: Zum einen mit einer Enttäuschung über die Politik und einer Distanzierung vom politischen System. Zum anderen können ein elitäres soldatisches Selbstbild und eine positive Haltung zur Wehrmacht zu rechtsextremen Positionen führen.
Lassen sich Ihre Schlüsse denn für die gesamte Bundeswehr verallgemeinern?

Die Ergebnisse der Studie sind belastbar und aussagekräftig und in dem Sinne repräsentativ, dass alle relevanten Gruppen annähernd gemäß ihres Anteils in der gesamten Bundeswehr in unserer Stichprobe vertreten sind.
Funktionieren die Schutzmechanismen der Bundeswehr gegen Extremistinnen und Extremisten, oder müssen sie nachgeschärft werden?

Die Bundeswehr hat umfassende Schutzmechanismen gegen Extremisten, die in einer eigenen Dienstvorschrift geregelt sind. Die Maßnahmen beziehen sich dabei nicht nur auf die aktive Dienstzeit, sondern greifen schon vor der Einstellung von Bewerberinnen und Bewerbern, aber auch nach der aktiven Dienstzeit. Blickt man auf die Ergebnisse unserer Studie, sehen wir, dass eine stärkere Unterstützung rechtsextremer Positionen mit einem erhöhten Interesse an einem Dienst in der Bundeswehr einhergeht. Umso wichtiger ist es, diese Personen von der Bundeswehr fernzuhalten.

Soweit dazu Zahlen öffentlich vorliegen, zeigen diese, dass die Maßnahmen funktionieren. Um beim Beispiel von Herrn Biehl zu bleiben: 2022 wurden 97 Personen aus dem Bewerbungsprozess ausgeschlossen, weil es eindeutige Zweifel an ihrer Treue zur Verfassung gab. Auch die Entfernung erkannter Extremisten aus dem Dienst funktioniert. Wenn man etwas verbessern könnte, dann die Geschwindigkeit der Verfahren.
Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!