Bundeswehr beschafft Loitering Munition
Die Verträge sind unterzeichnet: Die Bundeswehr hat zwei Unternehmen mit der Lieferung einer größeren Anzahl an neuen Waffen der Kategorie Loitering Munition beauftragt. Sie werden schnellstmöglich durch die Truppe erprobt. Doch was genau ist Loitering Munition, zu Deutsch „herumlungernde Munition“, eigentlich? Was kann sie leisten – und was nicht?

Mit der Beschaffung von Loitering Munition beginnt für die Bundeswehr eine neue Ära. Das Neue: Es ist keine langwierige Prüfung von Kleinstserien geplant. Die Soldatinnen und Soldaten der kämpfenden Truppe sollen frühzeitig eine große Anzahl erhalten, die Systeme erproben, in ihre Taktiken einbauen und dann Rückmeldung geben. Anhand der Ergebnisse entscheidet die Bundeswehrführung, ob eine größere Menge der Lenkwaffen beschafft wird oder möglicherweise weitere Hersteller beziehungsweise alternative Systeme in Erwägung gezogen werden. Die umfangreichen Erprobungen sollen noch in diesem Jahr beginnen.
Drohnen und Loitering Munition seien in der modernen Kriegsführung nicht weniger als ein Gamechanger, sagte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, bei der Vorstellung der Beschaffungspläne am 3. April 2025. Diese Technologie habe sowohl für das Verteidigungsministerium als auch für die Streitkräfte höchste Priorität.

„Drohnen stellen eine Schlüsselfähigkeit dar, die zwingend berücksichtigt werden muss, um die Effektivität und Durchsetzungsfähigkeit moderner Streitkräfte zu erhöhen.“
Bei Loitering Munition handelt es sich um Flugkörper, die mithilfe eines eigenen Antriebs in einen Einsatzraum fliegen und dort eine gewisse Zeit in der Luft kreisen können. Mithilfe der bordeigenen Sensoren und einer intelligenten Software können die Systeme selbstständig Ziele, beispielsweise einen feindlichen Kampfpanzer oder Gefechtsstand erkennen und dem Bediener anzeigen. Dieser hat dann die Möglichkeit, das Flugobjekt samt Sprengladung gegen das erkannte Ziel einzusetzen. Der Vorteil: eine schnelle Reaktionsfähigkeit sowie eine präzise Bekämpfung. Zudem verfügt Loitering Munition häufig über eine höhere Reichweite als eine Artilleriegranate einer Haubitze.
Loitering Munition sind keine Drohnen
Umgangssprachlich wird Loitering Munition oft auch als Kamikazedrohnen bezeichnet. Auf den ersten Blick ist das verständlich, weil sie ähnlich wie Drohnen aussehen und sich selbstzerstörerisch in ihr Ziel stürzen. Im Gegensatz zu Drohnen ist Loitering Munition aber zum einmaligen Gebrauch ausgelegt. Sie wird wie andere Munitionsarten verschossen. Deswegen handelt es sich bei den Flugkörpern offiziell nicht um Luftfahrzeuge wie Drohnen, sondern um Munition.
Diese Kategorisierung ist wichtig, da an ein unbemanntes Luftfahrzeug, welches gegebenfalls auch in anderen Flughöhen oder Lufträumen operiert, mit Blick auf die Flugsicherheit und Zertifizierung des Personals deutlich höhere technische Anforderungen gestellt werden als bei Munition. Durch die Klassifizierung als Munition kann Loitering Munition kostengünstiger, einfacher sowie unter weniger Auflagen hergestellt und eingesetzt werden als unbemannte Luftfahrzeuge.
Debatte über Chancen und Grenzen
Die Entscheidung zur Beschaffung von Loitering Munition wurde begleitet von einer breiten öffentlichen Debatte über Chancen und Grenzen von Drohnensystemen. Man könne, so ein Vorschlag, die 3.000 Kilometer lange NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke durch ein engmaschiges Netz von Loitering Munition und Drohnen schützen. Zehntausende halbautonome Waffensysteme würden eine ständige, weitreichende Aufklärung ermöglichen und potenzielle Aggressoren von einem Angriff auf NATONorth Atlantic Treaty Organization-Territorium abschrecken. Ein solcher „Drohnenwall“ könne binnen eines Jahres errichtet werden, so seine Befürworter.
Was hat die Bundeswehr mit ihrer künftigen Loitering Munition vor? Soll sie flächendeckend zur Landes- und Bündnisverteidigung eingesetzt werden? Welche Vorteile bringt sie den Soldatinnen und Soldaten und wo findet der Einsatz der Technologie seine Grenzen? Hier gibt es Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Die Bundeswehr arbeitet derzeit an Verfahren und Konzepten für den Einsatz von Drohnen, in die auch Überlegungen zur weiträumigen Verteidigung bestimmter Grenzabschnitte oder Regionen einfließen. Die Sehnsucht nach einem einfachen, günstigen Schutz der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke ohne den Einsatz militärischer Großverbände ist zwar verständlich, aber Drohnen sind kein Allheilmittel. Die technologische Entwicklung schreitet auch bei der Drohnenabwehr rasant voran, zudem haben Drohnen und Loitering Munition potenzielle Nachteile in den Bereichen Geschwindigkeit, Panzerung und Wetteranfälligkeit. Sie sind ein Baustein für eine erfolgreiche Verteidigung im Gefecht der verbundenen Waffen. Für eine glaubhafte Abschreckung sind aber auch weiterhin moderne und leistungsstarke Großwaffensysteme – Panzer, Artillerie, Kampfflugzeuge und Schiffe – notwendig.
Der Schutz der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke ist eine ganzheitliche Aufgabe des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bündnisses. Alle Verbündeten leisten einen jeweils eigenen, aber untereinander im Bündnis abgestimmten Beitrag. Deutschland zum Beispiel unterstützt mit der Brigade Litauen die Bündnisverteidigung im Baltikum signifikant. Ein weiterer Baustein sind die Air-Policing-Missionen der NATONorth Atlantic Treaty Organization, um den Luftraum in Mitgliedstaaten entlang der Ostflanke zu sichern. Hier beteiligt sich auch die Deutsche Luftwaffe regelmäßig. Mit der Einführung von Loitering Munition in die Bundeswehr erhält die Truppe nun ein weiteres Einsatzmittel, das die Kampfkraft stärkt und somit die Verteidigungsfähigkeit erhöht.
Loitering Munition bietet flexible Einsatzmöglichkeiten, die der Truppe bis jetzt noch nicht zur Verfügung standen. Durch ihre Reichweite kann ein potenzieller Gegner früher und auf größere Distanzen bekämpft werden. Das reduziert die Gefahr für die eigenen Truppen. Loitering Munition erweitert also das bereits vorhandene Waffenpotenzial der Streitkräfte. Durch ihre Einbindung in das Gefecht verbundener Waffen erhöht sich der Einsatzwert der Streitkräfte insgesamt.
Loitering Munition und Drohnen sind nicht bei jedem Wetter einsetzbar. Zudem sind sie gegenüber moderner Luftverteidigung verletzlich und haben Nachteile bei Geschwindigkeit, Panzerung und technischer Härtung. Sie können gefechtsentscheidend sein, sind aber nicht kriegsentscheidend: Eigene Kräfte am Boden können Loitering Munition und Drohnen nicht ersetzen. Zudem sind die Innovationszyklen extrem schnell, weshalb eine Beschaffung von großen Stückzahlen, um sie dann ins Lager zu legen, nicht zielführend ist. Um die unbemannten Systeme ständig auf dem neuesten Stand zu halten, müssen auch in der Bundeswehr neue Wege beschritten werden. Derzeit werden Möglichkeiten geprüft, wie diese Wege in enger Abstimmung mit der Industrie etabliert werden können. Ziel ist, technische Weiterentwicklungen schnell in der Truppe verfügbar zu machen – also immer up to date zu sein. Auf der anderen Seite braucht es eine flexible Beschaffung, die es ermöglicht, bei Bedarf schnell große Stückzahlen abrufen zu können.
Drohnen und Künstliche Intelligenz müssen zusammengedacht werden. Die auflaufenden Datenmengen sind gewaltig, zum Beispiel bei der Überwachung großer Flächen. Diese Informationen in Echtzeit zu sortieren und in Handlungsempfehlungen zu übersetzen, überfordert jeden Menschen. Loitering Munition mit KIkünstliche Intelligenz-Unterstützung bietet da den Vorteil, dass sie bis zu einem bestimmten Punkt nach vorgegebenen Mustern selbstständig fliegen, mit ihren Sensoren ein Lagebild generieren sowie mögliche militärische Ziele erfassen und vorsortieren kann. Auch im Anflug auf das Ziel kann die KIkünstliche Intelligenz die Störanfälligkeit der Waffe wesentlich verringern. Unverrückbar ist aber: Bei der Bundeswehr wird es keine autonome Bekämpfung geben. Der Waffeneinsatz wird durch einen Systembediener entschieden. Somit wird sichergestellt, dass der Mensch auch weiterhin die Verantwortung behält.
Für die Brigade in Litauen ist ein umfassender Aufklärungs- und Wirkverbund vorgesehen. Damit soll der Verband bei der Bündnisverteidigung in die Lage versetzt werden, mit Unterstützung von Drohnensystemen und Loitering Munition einen definierten Einsatzraum an der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke zu überwachen und effektiv zu verteidigen.
Drohnen und Loitering Munition sind im modernen Kriegsbild das, was vor 100 Jahren der Panzer war: ein Gamechanger. Aufgrund ihrer Wirkung auf dem Gefechtsfeld werden sie bald ein integraler Bestandteil der Streitkräfte sein, genauso wie der Schutz der Soldatinnen und Soldaten vor solchen Waffen. Beides hat in der Beschaffung der Bundeswehr höchste Priorität.