Herr Oberstleutnant, sie waren mittlerweile acht Mal mit der Bundeswehr in Auschwitz. Wird das Grauen irgendwann normal?
Ich kann an mir keinen Gewöhnungseffekt feststellen. Im Gegenteil: Die Erfahrung wird für mich von Jahr zu Jahr intensiver – auch, weil ich mich intensiv mit der Thematik auseinandersetze. Ich entdecke bei jedem Besuch in Auschwitz immer noch Neues, lerne von Jahr zu Jahr dazu.
Was macht den Auschwitz-Workshop so besonders?
Der Mehrwert liegt im Austausch mit Soldatinnen und Soldaten anderer Nationen, wir laden zudem hochkarätige Referenten ein. Entscheidend aber ist, dass alles am tatsächlichen Ort des Geschehens passiert. Man riecht und spürt und sieht an jeder Ecke, was damals passiert ist. Auschwitz ist das Symbol für den Holocaust schlechthin. Zudem ist das Stammlager nahezu vollständig erhalten. Ich mache jedes Jahr die Erfahrung, dass die Kameradinnen und Kameraden von der schieren Größe des Lagers regelrecht erschlagen werden. Besonders die Dimensionen von Auschwitz-Birkenau sind kaum zu begreifen.
Die Teilnehmer treffen auch auf ehemalige Lagerinsassen. Wie sind die Reaktionen?
Viele Teilnehmer sagen, dass das Treffen mit den Überlebenden der intensivste Teil des Workshops ist. Am einen Tag besichtigen wir das Lager, lernen das Grauen auf abstrakter Ebene kennen. Am nächsten Tag sprechen wir mit Menschen, die das Grauen selbst erlebt haben – und schildern, wie es wirklich war. Alle wissen, dass es diese Gelegenheit nicht mehr lange geben wird, die Überlebenden sind sehr alt. Wenn die Zeitzeugen ihre Geschichten erzählen, steigert sich das emotionale Erleben noch einmal.
Wie kann ich mich für den Kurs anmelden?
Wir informieren rechtzeitig über die bundeswehrinternen Kanäle, wann die nächste Fahrt geplant ist. Dann können die Soldatinnen und Soldaten ihr Interesse bekunden. Die Plätze sind begrenzt, die Zahl der Interessenten ist um ein Vielfaches höher. Mir ist wichtig, dass möglichst viele Organisationsbereiche der Bundeswehr vertreten sind und dass junge und ältere Soldatinnen und Soldaten gemeinsam am Tisch sitzen. Außerdem lege ich viel Wert darauf, dass auch Offiziere aus der Truppe und nicht nur Offiziere aus den Stäben und den Kommandos dabei sind. Schließlich gehört auch die politische Bildung zu den Aufgaben der Truppenoffiziere.
Ich war noch nie in Auschwitz. Würden Sie mir einen Besuch empfehlen?
Ich finde es wichtig, einen solchen Ort einmal im Leben mit eigenen Augen gesehen zu haben. Allerdings muss man sich auch mit dem Geschehenen auseinandersetzen. Ich fahre seit vielen Jahren nach Auschwitz; im Sommer schieben sich regelrechte Besuchermassen durch das Lager. Mittlerweile kommen bis zu zwei Millionen Besucher im Jahr. Sie buchen eine Tagestour von Krakau, machen ein oder zwei Stunden Fotos und sind wieder weg. Manchmal habe ich den Eindruck, Auschwitz ist für viele Besucher nur ein weiteres touristisches Angebot – und das finde ich schade.