Dauerkrise in Fernost
Dauerkrise in Fernost
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Durch das Südchinesische Meer verläuft einer der wichtigsten Seewege der Welt. Genau hier kommt es immer wieder zu Konflikten. China und andere Anrainerstaaten erheben Ansprüche auf dieselben Inseln, Riffe und Gewässer. Reservisten der Marineschifffahrtleitung fahren hauptberuflich durch dieses Gebiet auf Handelsschiffen. Wie erleben sie die Situation?
Das Südchinesische Meer gehört zu den wichtigsten Handelsrouten für Deutschland. Es ist die kürzeste Verbindung für den Warenaustausch mit China und anderen asiatischen Staaten wie Japan und Südkorea. Unter diesen ist die Volksrepublik Deutschlands zweitgrößter Handelspartner.
Das Seegebiet kennen Alexander H. und Manuel F. gut. Beide sind im Zivilleben als Offiziere auf Containerschiffen unterwegs auf den Handelsrouten in Südostasien. Sie sind zugleich Reservisten der Marineschifffahrtleitung in Hamburg. Alexander H. ist Oberleutnant zur See und sogenannter Marineschifffahrtleitoffizier, Manuel F. ist in der Ausbildung dazu. Marineschifffahrtleitoffiziere sind ein wesentliches Element der zivil-militärischen Zusammenarbeit auf See.
Manuel F. nimmt die Durchfahrt durchs Südchinesische Meer in der Regel als „entspannt“ wahr. Alexander H. sieht das ähnlich, aber ihm seien auch schon mehrfach Marineübungen aufgefallen. Solche aktiven Manövergebiete musste sein Schiff dann umfahren – was den Seehandel in der Regel Zeit beziehungsweise Geld kostet.
„Ich erinnere mich auch an ein sehr großes Manöver vor einigen Jahren in Thailand mit Marinen mehrerer Länder“, berichtet H. Im Laufe solcher Übungen wurde er auch bereits angefunkt und gefragt, ob sein Schiff freiwillig an einer Übung teilnehmen möchte.
Das Seerechtsübereinkommen regelt über und unter Wasser
Solche Umstände sind nur kleine Anzeichen eines internationalen Dauerkonflikts, dessen Schauplatz das Südchinesische Meer ist. Vor allem China beansprucht durch die sogenannte „Neun-Strich-Linie“, eine selbst erklärte Seegrenze, einen Großteil der Gewässer – und somit nach dem Seerechtsübereinkommen (SRÜSeerechtsübereinkommen) der Vereinten Nationen von 1982 auch die Rechte, dort vorhandene Öl- und Gasvorkommen zu erschließen und die Fischgründe zu nutzen. Doch auch die Anrainerstaaten Vietnam, die Philippinen, Brunei, Taiwan, Malaysia und Indonesien erheben hier Ansprüche auf ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZAusschließliche Wirtschaftszone).
Parallel dazu sind die Besitzverhältnisse von Inseln, Riffen und den dazugehörigen Meereszonen nicht klar. Mehrere Länder beanspruchen teils dieselben Gebiete, wodurch es immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt.

Schematische Darstellung der unterschiedlichen Meereszonen, wie sie im Seerechtsübereinkommen definiert sind
Bundeswehr
Das Südchinesische Meer ist fast 1,5-mal so groß wie das Mittelmeer. Vor allem die vielen kleinen Inseln und Riffe der Paracel- und Spratly-Inseln sind Auslöser für Konflikte.
BundeswehrDer Konflikt um die Paracel-Inseln
Ein Konfliktherd sind die Paracel-Inseln. Sie bestehen aus etwa 130 Koralleninseln und Riffen und liegen circa 200 Seemeilen (370 Kilometer) südöstlich der chinesischen Insel Hainan. China, Taiwan und Vietnam beanspruchen diese Insel-Gruppe im Ganzen oder zum Teil für sich.
In den 1970er-Jahren gab es hier einen folgenschweren Konflikt zwischen China und Vietnam. Der Einsatz von Waffen führte zu Toten, Verletzten und Vermissten. Danach folgte ein Wettrennen, in dem Inseln und Riffe besetzt wurden.
Zum aktuellen Zeitpunkt haben nur die Chinesen einen Teil der Paracel-Inseln besetzt und besiedelt. 2024 sollen auf Woody Island alleine etwa 1.000 Chinesen gelebt haben. Die Insel hat etwa 2,1 Quadratkilometer Fläche, ist also gut fünfmal so groß wie die Theresienwiese in München. Hier gibt es unter anderem einen großen Hafen, eine Flugzeuglandebahn und auch Boden-Luft-Lenkwaffensysteme.
Das zeigt, wie insbesondere China viele der winzigen Inseln im Südchinesischen Meer in großem Maßstab durch Landgewinnung vergrößert und für militärische Zwecke nutzt. Neben Hafen- und Radaranlagen haben einige der aufgeschütteten Inseln Landeplätze und -bahnen für Helikopter und Flugzeuge. Auf Satellitenbildern sind Flugabwehrsysteme und Kampfjets sichtbar. Diese Militarisierung hilft nicht, die Konflikte über die Ansprüche auf Inseln und Gewässer vor Ort zu entspannen.
Manuel F. berichtet davon, an den Paracel-Inseln vorbeigefahren zu sein. „Es gibt viele Bohrinseln in der Gegend“, sagt er. „Aber die Präsenz des chinesischen Militärs ist hier nicht besonders auffällig. Im Gegensatz zur Taiwanstraße.“
Was Manuel F. wie auch Alexander H. dagegen deutlich wahrnehmen, ist eine hohe Dichte an Fischfangschiffen und -booten. Vor allem die Gebiete rund um Riffe sind besonders ertragreich und ziehen Fischer aller anliegenden Nationen an. Sie geraten jedoch immer wieder mit Behörden- oder Militärschiffen aneinander. China nutzt zusätzlich seine riesige Fangflotte als eine Miliz, die inzwischen hauptsächlich dazu dient, Seegebiete rund um die Uhr zu kontrollieren und die Konkurrenz zu behindern.
Anhaltende Konflikte um die Spratly-Inseln
Die Spratly-Inseln sind ein weiterer Spannungsherd. Diese Gruppe von Inseln, Riffen und Atollen im südöstlichen Teil des Südchinesischen Meeres erstreckt sich auf über 1.000 Kilometer entlang der Küsten der Philippinen, Malaysias und Bruneis. Insgesamt erheben sechs Länder Anspruch auf entweder die gesamte Gruppe oder einzelne Inseln und Riffe. China vereinnahmt aber einen Großteil der Spratly-Inseln mit den Meereszonen Küstenmeer, AWZAusschließliche Wirtschaftszone und Festlandsockel.
Je nach Meereszone haben Küstenstaaten unterschiedliche Rechte und Pflichten. Sie beziehen sich vielfach auf die Erstellung von Bauten und die Erschließung vorhandener Ressourcen. Hierzu zählen die Fischgründe, aber auch mögliche Vorkommen von Öl und Gas im Meeresboden. Die Einteilung bestimmt auch, inwieweit ein Küstenstaat hoheitlich beziehungsweise behördlich tätig sein kann.
Die Philippinen haben ihren Streit mit China um die Spratly-Inseln vor den Internationalen Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag gebracht. 2016 erging das Urteil, mit dem den Philippinen in 14 von 15 Fällen recht gegeben wurde.
Aus dem Schiedsspruch geht jedoch hervor, dass keine der Spratly-Inseln eine Insel in Übereinstimmung mit dem Seerechtsübereinkommen ist. Die meisten der Erhebungen sind Felsen und haben somit ein Küstenmeer, aber keine AWZAusschließliche Wirtschaftszone und keinen Festlandsockel. Zusätzlich legt das Urteil fest, dass das Mischief-Riff eine Erhebung ist, die unterhalb der Wasseroberfläche liegt – und somit auch kein Küstenmeer besitzt. Es ist zudem Teil des Festlandsockels der Philippinen.
Was machte eine Insel zur Insel?
Deshalb hat China auch kein Recht, auf dem Mischief-Riff Bauten zu errichten. Dennoch hat es hier mittlerweile so viel Land aufgeschüttet, dass die Fläche dieser neuen „Insel“ des Mischief-Riffs mittlerweile 5,6 Quadratkilometer beträgt.
Wie auch immer der Streit um die wenigen Landgebiete des Südchinesischen Meeres steht, überall gilt ein wichtiger Grundsatz des internationalen Seerechts: Kein Küstenstaat darf einem Schiff die Passage einer Meereszone verbieten. Somit darf auch ein Kriegsschiff durch das Küstenmeer eines Staates durchfahren, solange es sich an die Vorgaben der sogenannten friedlichen Durchfahrt hält.
Darauf setzen im Südchinesischen Meer besonders die USA. Sie unternehmen hier regelmäßig „Freedom of Navigation Operations“, kurz FONOPs. Sie sollen die Freiheit der Seefahrt auf Basis des Seerechtsübereinkommens bewahren. Handelsschiffsoffizier Manuel F. nimmt diese Präsenz vor allem über den örtlichen Sprechfunkverkehr mit amerikanischen Militärschiffen wahr. Er bestätigt: „Ich halte diese Missionen für richtig und wichtig.“
Auch deutsche Kriegsschiffe haben seit der Aufstellung der Leitlinien zum Indo-Pazifik 2020 das Südchinesische Meer durchfahren. Mehrere Schiffe der Marine sind seit 2021 im Rahmen der Indo-Pazifik Deployments 2021 und 2024 durch das Südchinesische Meer gefahren.
Anders ist die Lage in der Meerenge zwischen dem Festland Chinas und der ebenfalls zur Volksrepublik gehörenden Insel Hainan. Ganz im Norden des Südchinesischen Meeres liegend, ist hier die völkerrechtliche Lage unstrittig: Die Hainanstraße liegt in chinesischen Hoheitsgewässern. Manuel F. berichtet, wie chinesische Behörden die Durchfahrt für nicht-chinesische Schiffe erschweren. „Meinem Containerschiff auf dem Weg zwischen den Häfen Xiamen in China und Haiphong in Vietnam ist neben bürokratischen Hürden auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung auferlegt worden“, sagt er. „Die Situation war eigenartig und sorgte für ein unbehagliches Gefühl.“