Flottillenadmiral Dirk Gärtner führt seit Juli 2023 die Maritime Task Force (MTFMaritime Task Force). Aus Naqoura im Libanon heraus wird der Einsatz der Schiffe aus Bangladesch, Deutschland, Griechenland, Indonesien und der Türkei koordiniert. Die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten wirken sich auf den Einsatz deutscher Blauhelmsoldaten auf See und an Land aus.
6 Fragen an Flottillenadmiral Dirk Gärtner
Christian Gruber
Welchen Herausforderungen stehen Sie als Kommandeur einer international besetzten Truppe gegenüber?
Der Hauptpunkt ist zunächst die Sprache. Englisch ist die Sprache der Mission. Wir sind alle keine „native Speaker“ und insofern ist die Kommunikation im Stab für alle eine Herausforderung. Außerdem sind die unterschiedlichen Prägungen und Perspektiven auf die vorherrschende Situation das Salz in der Suppe, welche durch die verschiedenen Nationen hier zusammenkommen. Für mich als Kommandeur ist dies jedoch weniger eine Herausforderung, sondern ein absoluter Gewinn. Wir schauen mit unserer europäischen Perspektive auf den Konflikt der Region. Nationen wie bspw. Bangladesch oder Indonesien haben einen anderen Blick darauf. Das trägt insgesamt dazu bei, gemeinsam den Konflikt besser zu verstehen. Auf See sehe ich mit den verschiedenen Einheiten keine Schwierigkeiten. Im Kern sind drei NATONorth Atlantic Treaty Organization-Nationen in der MTFMaritime Task Force engagiert, die ein einheitliches Fachverständnis haben. Ansonsten sind die Verfahren international so weit normiert, dass wir überhaupt keine Probleme haben.
Christian Gruber
Wo genau sind deutsche Soldaten eingesetzt und was sind ihre Aufgaben?
Mit einem internationalen Stab, der zur Hälfte aus deutschen Soldatinnen und Soldaten besteht, übernehmen wir die Führung der MTFMaritime Task Force von Land aus in Naqoura. Die Nähe zum UNIFILUnited Nations Interim Force in Lebanon Hauptquartier stärkt die gemeinsame Zusammenarbeit. Der zweite Teil hier ist das „National Support Element“ (NSENational Support Element). Dazu gehört bspw. die Sanität, die Logistik oder die Informationstechnik. Mit deren Unterstützung wird unsere Arbeit bei der Mission erst möglich. Als Besonderheit stellen wir noch ein Ausbildungselement in Jounieh, nördlich bei Beirut. Im „Naval Equipment and Training Center“ unterstützen wir beim Fähigkeitsaufbau und der Ausbildung der libanesischen Marine. Zudem befinden sich noch Soldaten in Limassol auf Zypern. Hier reduzieren wir jedoch nach und nach unser Personal, um die Aufgaben von Naquora aus wahrnehmen zu können. Zypern bleibt selbstverständlich ein bewährter Partner.
Und last, but not least, selbstverständlich noch die seegehende Einheit, welche als Hauptaufgabe die Überwachung des See- und Luftraums vor der Küste hat.
Christian Gruber
Welchen Einfluss haben die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten auf die UNIFILUnited Nations Interim Force in Lebanon Mission?
Seit dem 7. Oktober 2023 hat für UNIFILUnited Nations Interim Force in Lebanon eine neue Zeitrechnung begonnen. UNIFILUnited Nations Interim Force in Lebanon findet sich nun mitten in einer Kampfzone zwischen Israel und der Hisbollah, als nicht staatlichem Akteur, wieder. Die täglichen Gefechte, die dort stattfinden, bedeuten insofern eine komplette Änderung der Rahmenbedingungen. Für die Landeinheiten hat sich am Auftrag selbst nichts geändert. Es geht weiterhin darum, die „Blue Line“ zu überwachen und die Gesprächskanäle zwischen beiden Seiten, d.h. den beiden staatlichen Akteuren, aufrecht zu erhalten.
Christian Gruber
Gibt es bei der Auftragsdurchführung der MTFMaritime Task Force Änderungen?
Für den Kernauftrag der MTFMaritime Task Force, der Unterbindung des Waffenschmuggels, gibt es keine Änderungen durch die Ereignisse. Der Handelsverkehr nach Beirut läuft unverändert weiter. Hier wird die Aufgabenerfüllung unbeeinflusst von den Ereignissen an Land fortgesetzt. Dennoch ist ein Punkt neu in den Vordergrund gerückt. Mit mindestens einer seegehenden Einheit tragen wir zum Luftlagebild über Land, in der „Area of Operation“, bei. So erhöhen wir die Radarabdeckung der Gesamtmission, da bisher nur ein landgestütztes Radar eingesetzt wurde. Damit leistet die MTFMaritime Task Force einen wichtigen neuen Beitrag an dieser Stelle. Im Bereich der Ausbildung der libanesischen Marine sind viele Übungen abgesagt worden. Hier befinden wir uns in einer Stabilisierungsphase und fangen langsam an, diese mit der libanesischen Seite wieder aufzunehmen.
Christian Gruber
Wie gehen Ihre Soldaten mit der aktuellen Situation um?
Was man vorher höchstens vielleicht vom Truppenübungsplatz kannte, erfährt man an Land in Naqoura live und in Farbe. Die Unterschiede von Mörser-, Artillerie- oder Lufteinschlägen kennt man mittlerweile ganz gut. Diese kommen schon nah an die UNUnited Nations-Stellungen heran, so dass man neben der Akustik auch die Druckwellen spürt. Das ist natürlich für alle eine besondere Situation, an die man sich gewöhnen muss. Wir achten alle gegenseitig aufeinander und haben Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Was uns immens hilft, ist die Tatsache zu wissen, dass wir von beiden Seiten aus gesehen nicht das Ziel der Kampfhandlungen sind. Die Gefahr von Kollateralschäden ist dennoch immer präsent. Für unsere Einheiten auf See ist es ebenso etwas Ungewohntes, denn wenn man vor der Küste fährt, kann man die Gefechte an Land gut erkennen. Für die meisten Soldatinnen und Soldaten ist es daher ein Novum, in der Realität zu sehen, wie eine kriegerische Auseinandersetzung aussieht.
Christian Gruber
Was sind Ihre Wünsche für die restliche Zeit als Kommandeur bis Juli 2024?
Der erste Wunsch ist ganz klar, dass ich alle Soldatinnen und Soldaten heil nach Hause bekomme. Dies sowohl national als auch international. Ich glaube, es ist für die gesamte Mission das Wichtigste, dass wir keine „Peacekeeper“ von UNIFILUnited Nations Interim Force in Lebanon durch die Kampfhandlungen um uns herum verlieren. Ehrlich und glücklich auf Holz klopfend muss man sagen, dies ist bisher glimpflich verlaufen. Mein zweiter Wunsch ist, dass sich die Lage in der Region wieder normalisiert. Man spürt bspw. die wirtschaftlichen Einbußen, die dem Konflikt entspringen und sich auf die gesamte Bevölkerung und das gesellschaftliche Leben auswirken. Die Bevölkerungen auf beiden Seiten tragen die größten Lasten der Ereignisse. Insofern hoffe ich, dass man erst einen Waffenstillstand erzielt und dann zu einer Phase der Stabilisierung übergeht.
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