Gemeinsames Theaterprojekt: Für Frieden und Verständigung
Gemeinsames Theaterprojekt: Für Frieden und Verständigung
- Datum:
- Ort:
- Bosnien und Herzegowina
- Lesedauer:
- 4 MIN
Trotz intensiver Reformbemühungen: Im Bildungssystem von Bosnien und Herzegowina finden sich zahlreiche Elemente ethnischer Trennung. Ein Theaterfestival mit Grundschülern verschiedener Ethnien steht jenseits der Politik für Toleranz, Frieden und Verständigung. Die Bundeswehr hat das Festival im Rahmen der Stabilisierungsoperation European Union Force (EUFOREuropean Union Force) Althea unterstützt.
Der Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien führte in Bosnien und Herzegowina von 1992 bis 1995 zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Ethnien. Der in Dayton ausgehandelte und im Dezember 1995 in Paris unterzeichnete Friedensvertrag setzte dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien ein Ende.
Die aktuelle politische Lage in Bosnien und Herzegowina erfordert aber eine erneute militärische Beteiligung Deutschlands bei European Union Force Althea, kurz EUFOREuropean Union Force Althea. Ethnische Spaltungen zwischen Bosniaken und bosnischen Kroaten auf der einen und bosnischen Serben auf der anderen Seite sind allgegenwärtig: Diese Entwicklung dominiert die Politik und erschwert Fortschritte und Reformprozesse im Land.
Deshalb können derzeit bis zu 50 deutsche Soldatinnen und Soldaten für die Sicherheitsoperation EUFOREuropean Union Force Althea in Bosnien und Herzegowina eingesetzt werden. Ihr Auftrag: bei der Aufrechterhaltung eines sicheren Umfeldes und der Einhaltung des Dayton-Abkommens zu unterstützen sowie die Ausbildung der bosnischen Streitkräfte zu koordinieren.
Die Bundeswehr im Austausch mit der Bevölkerung
Wesentlicher deutscher Bestandteil des Einsatzes bei Althea sind die beiden Liaison and Observation Teams, kurz LOTLiaison and Observation Teams. Diese Verbindungs- und Beobachtungsteams stehen im Austausch mit der Bevölkerung und können so ein wertvolles Bild von der zivilen Lage im Land gewinnen, welches unparteiisch ist. Sie entwickeln und pflegen vertrauensvolle Beziehungen zur lokalen Bevölkerung, den Vertretern lokaler Behörden sowie nationaler und internationaler Organisationen.
Das deutsche LOTLiaison and Observation Teams Vlasenica befindet sich in der Gemeinde Vlasenica in der Republika Srpska. Die Besonderheit des LOTLiaison and Observation Teams besteht darin, dass sich sein Operationsraum über zwei Gemeinden aus der Föderation Bosnien und Herzegowina und drei Gemeinden aus der Republika Srpska erstreckt. Als Teil seines Auftrags hält das LOTLiaison and Observation Teams enge Verbindungen zu den lokalen Autoritäten und somit auch zu den Schulen im Verantwortungsbereich.
Kein Raum für neutrale Begegnungen
Ende 2023 entstand gemeinsam mit dem Goethe-Institut Sarajewo die Idee eines interethnischen Theaterprojektes, um einen neutralen Raum der Begegnung und des Austauschs für Lehrkräfte und Kinder zu schaffen. Denn die Unterschiede in der ethnischen Zusammensetzung der bosnischen Bevölkerung bilden sich auch im Bildungssystem des Landes ab. In der Praxis führen ethnozentrisch zugeschnittene Lehrpläne oft zu ethnisch getrennten Klassen. Durch die zwei verschiedenen Bildungsministerien sind entitätsübergreifende Veranstaltungen zwischen den Schulen eine absolute Seltenheit. Ein Raum der neutralen Begegnung fehlt.
Viele Akteure, ein gemeinsames Ziel
Genau das sollte das Theater-Festival ändern: Seit Januar 2024 kamen Kinder der bosnischen Städte Vlasenica, Šekovići, Olovo und Kladanj zusammen, um gemeinsam an einem Theaterworkshop teilzunehmen. Die Grund- und Oberschulen stammen sowohl aus der Föderation Bosnien und Herzegowina als auch aus der Republika Srspka. Das Projekt, welches aus einer Kooperation des Goethe-Instituts, der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und dem Verein Lachen-Helfen e. V., mit dem die Bundeswehr seit Jahren einsatzübergreifend zusammenarbeitet, entstanden ist, hat die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler auf das Theaterfestival am 8. Juni vorbereitet. Das Goethe-Institut Sarajewo und die OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa waren bei der inhaltlich verantwortlich. In Gesamtkoordinierung durch das LOTLiaison and Observation Teams hat Lachen-Helfen e. V. materiell und finanziell unterstützt.
Positives Feedback von der Bevölkerung
Für das Festival galt es zunächst, viele Hürden und Widerstände zu überwinden. Die Schulen aus der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska hatten bis zu diesem Zeitpunkt kaum miteinander zusammengearbeitet. Doch durch das Engagement aller Beteiligten konnten diese Hürden erfolgreich überwunden werden. Das Liaison Observation Team der Bundeswehr trat dabei maßgeblich als Organisator und Mediator zwischen den Schulen auf.
Die Veranstaltung war ein voller Erfolg: Zum Theater-Festival traten acht Schulen mit insgesamt 68 Schülerinnen und Schülern am Milorad-Vlačić-Mittelschulzentrum in Vlasenica an. Begleitet wurden sie durch Lehrkräfte und Eltern. Insgesamt versammelten sich für die Veranstaltung zirka 140 Personen. Zahlreiche lokale Radiosender berichteten positiv darüber. „Wir haben von der Bevölkerung ein super Feedback erhalten. Es wäre toll, wenn wir das Theater-Festival als jährliche Veranstaltung etablieren könnten“, so LOTLiaison and Observation Teams-Führer Hauptmann Fabian B.* nach der Veranstaltung.
Eine Umarmung nach 40 Jahren
Mit ihren außerordentlichen Leistungen und tollen Auftritten machten die Kinder die Veranstaltung zu etwas ganz Besonderem. Bewertet wurden die Auftritte durch eine Jury, bestehend aus Goethe-Institut und OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. „Das Wichtigste an dieser Veranstaltung ist, dass Kinder und Erwachsene aus beiden Entitäten sich heute hier begegnen und gemeinsam Spaß haben. Es ist ein Event, das neutral und frei von Politik ist – dafür haben wir uns alle eingesetzt. Mit solchen Veranstaltungen bauen wir Vorurteile ab und können zu einem besseren Miteinander der Ethnien in Bosnien und Herzegowina beitragen“, so Hauptmann Fabian B.
Dabei habe er Menschen beobachtet, die sich zum ersten Mal seit 40 Jahren wiedergesehen und umarmt hätten – obwohl sie nur 40 Minuten voneinander entfernt wohnen würden. Fabian B. resümiert: „Eine derartige Veranstaltung gab es bisher in der Umgebung nicht. Mein Team und ich sind stolz, dies ermöglicht zu haben.“
Theater soll die Gemeinschaft nachhaltig stärken
Mit dem Projekt erhoffen sich die Veranstalter, den Kontakt der Schulen, Lehrer und natürlich der Kinder über die Grenzen der Entitäten hinaus zu fördern. So sollen Vorurteile und Spannungen zwischen den Ethnien abgebaut und die Gemeinschaft durch die Freude am Theater gestärkt werden. „Durch das Engagement in diesem Projekt konnte die Bundeswehr positiv in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten und das wertschätzende Feedback, welches wir aus der Bevölkerung bekommen, bestärkt uns in unserem Auftrag“, freut sich Hauptmann Fabian B.
*Name zum Schutz abgekürzt.