Der menschliche Sensor in der Wüste von Mali
Der menschliche Sensor in der Wüste von Mali
- Datum:
- Ort:
- Gao
- Lesedauer:
- 4 MIN
Der Kernauftrag des deutschen Kontingents von MINUSMAMission Multidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali ist es, Informationen durch Aufklärung zu sammeln. Der menschliche „Sensor“ und die zivil-militärische Zusammenarbeit spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Kräfte von CIMICMultinational Civil-Military Cooperation Command (Civil Military Cooperation) gehen in die Ortschaften, oftmals fernab der eigenen Truppe. Dort suchen sie gezielt das Gespräch mit der Bevölkerung. Aufklärer können diese Operationen mit eigenen Fähigkeiten unterstützen. Die unterschiedlich gewonnenen Informationen werden ausgewertet, ein Gesamtlagebild entsteht.
Es ist früher Morgen im Camp Castor: Noch bevor die Sonne den Horizont verlassen hat, stehen die Frauen und Männer an ihren Fahrzeugen bereit und führen gewissenhaft letzte Überprüfungen durch. Steht die Funkverbindung? Ist die Öltemperatur im Normalbereich? Der Zugführer der Aufklärer gibt letzte Anweisungen. Alle hier sind Profis und wissen genau, was von ihnen erwartet wird. Nachdem alle Fahrzeuge besetzt sind, beginnt ein kurzes Warten auf den Funkspruch. Dann ist es soweit: Die Fahrzeuge rollen los und verlassen das Camp Castor.
Sehen, was passiert
Nach einer Stunde holpriger Fahrt, abseits von Straßen und Pisten, ertönt plötzlich die Stimme des Zugführers durch den Lautsprecher im Fahrzeug. Taktische Anweisungen folgen. Umgehend nehmen die Fahrzeuge eine Position ein, die eine Rundumsicherung von 360 Grad ermöglicht. Jedes Team, jedes Fahrzeug hat seinen festgelegten Sicherungsbereich. Der Kommandant verlässt das Fahrzeug und überprüft, ob etwas Ungewöhnliches am Fahrzeug oder in der unmittelbaren Umgebung zu entdecken ist. Dann kommt das Handzeichen – und der Rest der Crew, abgesehen vom Bordschützen, kann aussteigen. Dieser bleibt hinter der Anzeige seines Waffensystems und kontrolliert seinen Bereich. Nachdem die Gegend rund um ein Dorf beobachtet wurde, geht es weiter. Die Kolonne setzt sich in Marsch und fährt näher an das Dorf heran.
Aufklärung durch Gesprächsführung
Die Frauen und Männer des CIMICMultinational Civil-Military Cooperation Command-Teams gehen direkt auf die Bewohner des Dorfes zu, begleitet von den Aufklärern. Die Gesprächsführung steht im Mittelpunkt, im Verlauf der Gespräche wird gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Es gibt Tee, man sitzt zusammen im Schatten des Zeltes mit offenen Seitenwänden. Meistens geht es um ganz alltägliche Dinge: die Beleuchtung, die Schulen oder Dinge, die das Dorf dringend braucht, beispielsweise frisches Trinkwasser und zuverlässige Elektrizität. Das CIMICMultinational Civil-Military Cooperation Command-Team notiert die Punkte des Dorfältesten. Wenn er spricht, schweigen die anderen Dorfbewohner. Dabei erfährt das Team auch einiges über die Aktivitäten der Aufständischen in der Region.
Die Aufklärer sichern außerhalb in sämtliche Richtungen und halten nicht nur die Augen offen, sondern auch ständigen Funkkontakt zueinander. Wenn es die Lage erfordert, werden die Dingos vereinzelt in den Ort nachgezogen. Die Dorfbewohner kennen das Bild. Mali befindet sich seit fast zehn Jahren in einem Konflikt mit diversen Gruppierungen, welche die Weitläufigkeit des Landes und die lückenhafte Präsenz des Staates für eigene Zwecke ausnutzen. Die zahlreichen Kinder scharen sich neugierig und wissbegierig um die Soldatinnen und Soldaten.
Die optische Aufklärung
Zurück in den Fahrzeugen geht die Fahrt querfeldein weiter zum nächsten Dorf. Dort stellt sich heraus: Die Männer des Dorfes sind nicht da. Die Frauen erklären dem Dolmetscher, dass heute Markt in der Nachbarstadt sei. Die Aufklärer schauen sich um. Ein Schild vor einem Gebäude verrät, dass die Vereinten Nationen hier eine Grundschule errichtet haben. Schulbänke gibt es jedoch kaum noch, denn kurzerhand wurde die Schule zu einem Ziegenstall umfunktioniert. Die Lehrer der Schule bekamen nach einigen Monaten kein Gehalt mehr und sind daher weitergezogen. Leider bedeutet das oft einen Teufelskreis: keine Schule, keine Bildung, keine Perspektive. Für unzählige junge Menschen in diesem Land bedeutet dies eine Sackgasse. Das CIMICMultinational Civil-Military Cooperation Command-Team hat es notiert und die Aufklärer machen Fotos, bevor die Kolonne weiterzieht.
Durch die Steppe Afrikas
Bei der Weiterfahrt tauscht sich der Fahrer mit seinem Kommandanten über die gewonnenen Informationen aus. Ab und zu ziehen ein paar Kühe, verwilderte Dromedare oder Ziegen am Fenster vorüber. Das Land erscheint so friedlich, und doch ist die Gefahr allgegenwärtig. Selbst im gepanzerten Fahrzeug tragen alle Soldatinnen und Soldaten ihre Westen, Magazintaschen, ihre Sanitätsausrüstung sowie die fertig geladene Pistole im Halfter. Je nach Auftrag und Lage sind die Aufklärer oft tagelang unterwegs.
Zurück im Camp
Es ist ruhig geworden im Dingo. Bei den Aufklärern gibt es, ähnlich wie in einem U-Boot, eine besondere Kameradschaft. Man ist Tag und Nacht auf engstem Raum zusammen, alle müssen sich hundertprozentig aufeinander verlassen können. Denn meist sind sie weit draußen unterwegs. Der Teamgeist untereinander, verbunden mit guter Ausrüstung und Ausbildung, ist die Säule des Erfolges. Die Bedrohung ist überwiegend nicht berechenbar. Gerade dies macht die Aufklärung so wichtig, aber teilweise auch schwierig. Sie ist der wesentlichste Baustein des deutschen Beitrages für die VN-Mission MINUSMAMission Multidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali in Mali. Die Sicherung des Friedens in Mali kann nur gelingen, wenn die Vereinten Nationen vor Ort wissen, was draußen passiert.
Die Fahrzeugkolonne durchfährt den Eingang zum Camp Castor und die Anspannung fällt merklich ab. Im Dingo werden wieder Witze gemacht, was ein gutes Zeichen ist. Der zweite Teil der Arbeit beginnt direkt im Anschluss. Die erzielten Aufklärungsergebnisse müssen ausgewertet werden. Aber zuerst geht es unter die Dusche, denn es war wie immer heiß und staubig da draußen.