„Fly to Advise“: Mit dem Hubschrauber zur Arbeit
„Fly to Advise“: Mit dem Hubschrauber zur Arbeit
- Datum:
- Ort:
- Masar-i Scharif
- Lesedauer:
- 4 MIN
Für viele Pendler lästiger Teil des Alltags: Rote Ampeln sorgen für Stau in den Innenstädten, unzählige Autos drängeln sich durch den Berufsverkehr. Für Oberst Karsten S. gestaltet sich das Pendeln anders: Anstelle von Hupgesängen ertönen die Rotoren von Hubschraubern auf dem Flugfeld im Camp Marmal in Masar-i Scharif. Ein multinationales Team von Soldaten fliegt im Rahmen der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mission Resolute Support regelmäßig in das 160 Kilometer entfernte Camp Pamir in Kundus. Dort befindet sich eines der Hauptquartiere der Afghanischen Nationalarmee (ANAAfghan National Army).
Am Terminal im Camp Marmal in Masar-i Scharif
Englische Popmusik ertönt aus einem Fernseher, die Klimaanlage bläst lautstark auf 20 Grad Celsius temperierte Luft in die Halle. 24 Flaggen verschiedener Nationen hängen an den Wänden und lassen den multinationalen Geist des Terminals im Camp Marmal in Masar-i Scharif erahnen. Etwa so groß wie eine Sporthalle ist der Wartebereich, den die Passagiere nach und nach an diesem Morgen füllen.
Einer von ihnen ist Oberst Karsten S., der seit fast sieben Monaten im Einsatz in Afghanistan ist. Eine Gruppe für den Personenschutz, die Guardian Angels, sowie sein Nachfolger, Oberst Jan-Friedrich T., begleiten ihn. Gemeinsam warten sie auf ihren Flug. Ihr Ziel ist der Arbeitsplatz im 160 Kilometer entfernten Kundus: das Büro des Kommandeurs des 217. ANAAfghan National Army-Korps. „Bis zu 15.000 afghanische Soldatinnen und Soldaten sind in einem solchen Korps und meine Aufgabe ist die Beratung des Korpskommandeurs“, erklärt Oberst S.
Bereit zum Abflug
Passen Sie jetzt Ihre Datenschutzeinstellungen an, um dieses Video zu sehen
Ein Angestellter des Flugbereichs gibt das Zeichen: Es geht los. Zwei weiße Hubschrauber des Typs Mi-17 stehen für das Team von Oberst Karsten S. bereit. Die insgesamt 14 Soldaten begeben sich zur 50 Meter entfernten Landezone. Verpflegung, Schlafsack, Wechselsachen – jeder von ihnen hat einen Rucksack gepackt, mit dem sie für bis zu 72 Stunden durchhaltefähig sind. „Bei schlechtem Wetter oder technischen Problemen kann es passieren, dass wir für unbestimmte Zeit in Kundus bleiben müssen“, berichtet Oberst S. auf dem Weg zum Hubschrauber. Die Soldaten stemmen sich gegen die gewaltige Druckwelle der Rotorblätter. Jetzt heben die Hubschrauber ab in Richtung Kundus, 160 Kilometer Wüste und Gebirge trennen die Pendler von ihrem Ziel.
Im Camp Pamir in Kundus
Nach fast 50 Minuten Flugzeit landen die beiden Hubschrauber auf geschottertem Grund. Jetzt heißt es aussteigen und zügig entfernen von der Landezone. Die Hubschrauber erhöhen den Schub und verschwinden am Horizont. Ein österreichischer Kamerad nimmt über ein Satellitenfunkgerät Kontakt mit der Operationszentrale in Masar-i Scharif auf: „India, hier Charlie. Wir sind gelandet und marschieren in Kürze zum Safe Haven, Ende.“ Der Safe Haven ist ein eigener abgegrenzter Bereich innerhalb des ANAAfghan National Army-Camps. Links und rechts befinden sich Unterkünfte der afghanischen Soldatinnen und Soldaten. Neugierige Blicke treffen die Gruppe von Oberst Karsten S.
Der Marsch zum Safe Haven
Auf der Straße kommt ein afghanischer Oberst erfreut auf ihn zu und begrüßt ihn herzlich. „Man kennt sich. Bis vor Kurzem waren wir hier noch dauerhaft stationiert. Da musste ich nur rüberlaufen und schon war ich im Büro des Kommandeurs“, berichtet Oberst Karsten S. Ein gelber Wachturm rückt ins Blickfeld. Eingeschlossen von einer Mauer kann der gesicherte Bereich nur durch eine massive Stahltür betreten werden. Das rote Siegel am Vorhängeschloss ist unversehrt. Die deutsche Flagge ist noch immer im Innenhof gehisst. Oberst S. begibt sich mit Oberst T. sowie einem kleinen Team Guardian Angels in das Hauptgebäude der ANAAfghan National Army. Dort befindet sich das Büro des Kommandeurs.
Beratung auf Augenhöhe
Sofas und spiegelblanke Holztische stehen für die Gäste bereit. Der Korpskommandeur sitzt in einem prunkvoll verzierten Sessel. Mit der rechten Hand auf dem Herzen und beherztem Senken des Kopfes begrüßen die beiden deutschen Oberste den afghanischen Korpskommandeur General Yazdani nach Landessitte. Durch die siebenmonatige Zusammenarbeit ist das Verhältnis zwischen Yazdani und Oberst S. fast freundschaftlich. Ein Sprachmittler übersetzt von Englisch nach Dari, eine der afghanischen Amtssprachen. Nachdem sich Oberst Jan-Friedrich T. als Nachfolger vorgestellt hat, weist Oberst Karsten S. auf mehrere Maßnahmen hin, die im Bereich der Logistik, der Ausbildung sowie der Operationsplanung abzustimmen sind und eine Entscheidung des Korpskommandeurs erfordern.
Diese Gespräche auf Augenhöhe reichen von den Verfahren zur Koordinierung der zusätzlichen Luftunterstützung durch die afghanische Luftwaffe bis hin zur Koordinierung der Versorgung des Korps mit Autobatterien durch ein zentrales Versorgungslager. „Yazdani ist ein Macher. Er setzt alles um, was gemeinsam erarbeitet wurde“, freut sich Oberst S.
Andere Länder, andere Sitten
Zwischen den Beratern und dem afghanischen General herrscht ein stets höflicher Umgang. „Im Endeffekt hat dieser Korpskommandeur mehr Kampferfahrung als ich. Unsere Aufgabe ist es, die ANAAfghan National Army nachhaltig zu befähigen, in Afghanistan selbstständig für Frieden und Sicherheit zu sorgen“, erzählt Oberst Karsten S. auf dem Rückweg zur Hubschrauberlandezone. Oberst Jan-Friedrich T. ergänzt: „Die afghanische Armee kennt keinen Frieden, da sie im Krieg aufgestellt wurde. Afghanistan ist eine Stammesgesellschaft. Es ist schwierig, die von Krieg geprägten Ethnien zusammenzuführen. Man merkt bei persönlichen Gesprächen, dass viele militärische Führer kriegsmüde sind und einfach nur Frieden in Afghanistan wollen.“
Die Berater steigen erneut in einen der Hubschrauber und fliegen zurück ins Camp Marmal in Masar-i Scharif. Für Oberst S. war es nach fast sieben Monaten das letzte Treffen mit General Yazdani. Ab jetzt liegt es an Oberst T., die Beziehungen fortzusetzen. Das „Fly to Advise“ nach Kundus wird weitergehen.