Ein Tag mit: dem Team Flugmedizin in Afghanistan
Ein Tag mit: dem Team Flugmedizin in Afghanistan
- Datum:
- Ort:
- Masar-i Scharif
- Lesedauer:
- 7 MIN
Oberstabsarzt Nina S. und Oberfeldwebel Christian B. sind gemeinsam bei der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mission Resolute Support in Afghanistan im Auslandseinsatz. Gemeinsam bilden sie das Team Flugmedizin im Camp Marmal in Masar-i Scharif. Einen Tag lang wurden die Protagonisten begleitet und stellen ihren ganz persönlichen Tag im Einsatz vor.
Ich bin Oberstabsarzt Nina S. und hier im Einsatz in Afghanistan beginnt für mich der Tag morgens um halb sieben. Direkt nach dem Aufstehen wechsle ich zuallererst den Akku von meinem Tetrapol-Funkgerät, damit ich rund um die Uhr erreichbar bin. Als Fliegerarzt bei Resolute Support im Norden Afghanistans muss ich für den Fall eines Flugunfalls zu jeder Tageszeit erreichbar sein. Eine meiner Aufgaben in diesem Einsatz ist die Leitung der Flugunfallbereitschaft. Das bedeutet, ich bin mit meinem Team für Luftnotlagen, Zwischenfälle, Unfälle und ihre Untersuchung zuständig. Nach ein paar Dehnübungen, um in Schwung zu kommen, sowie meiner morgendlichen Badezimmerroutine verlasse ich mit kompletter Schutzausstattung gegen sieben Uhr den Unterkunftsbereich. Ich schwinge mich mit dem gesamten „Gerödel“ auf mein hier im Camp ausgeliehenes Fahrrad und radle in Richtung Küche zum Frühstück.
Selbe Zeit, andere Unterkunft
Ich bin Oberfeldwebel Christian B. und gehöre ebenfalls zum Team Flugmedizin. Bei mir klingelt jeden Tag um halb sieben der Wecker. Mein erster Griff geht dann an mein Diensthandy und mein Tetrapol-Funkgerät. Durch die 24 Stunden Flugunfallbereitschaft an sieben Tagen in der Woche habe ich mir angewöhnt, am Morgen als Erstes meine Erreichbarkeit zu überprüfen. Wir vom Team Flugmedizin sind für unser fliegendes Personal aus dem „Air Wing“ in Masar-i Scharif rund um die Uhr zur Stelle. Nach der morgendlichen Badezimmerroutine brauche ich auf meiner Stube erst mal einen Kaffee. Ohne Kaffee komme ich am Morgen so gar nicht in Schwung. Gegen sieben Uhr verlasse ich meine Unterkunft und mache mich mit vollständig angelegter Schutzausstattung auf den Weg.
Die erste Begegnung des Tages
Zusammen bilden Christian B. und ich das Team Flugmedizin. Die erste Begegnung des Tages ist gleichzeitig auch unser erstes Teamtreffen. Das findet jeden Morgen um halb acht an unserer „Babsi“ statt, das ist ein Geländefahrzeug vom Typ Wolf in der Sanitätsvariante und unser Einsatzfahrzeug im Camp Marmal. Hier legen wir unsere Schutzausstattungen ab, da wir im Falle einer Alarmierung alles direkt griffbereit haben müssen. Danach fahren wir zu unserem Fliegerarztbereich. Dort angekommen beginnt Christian damit, unser Office für die ersten Patienten startklar zu machen, und führt die morgendliche Einsatzprüfung durch. Dabei werden die Notfallausrüstung und die technische Einsatzbereitschaft des Fahrzeuges gecheckt.
Im Anschluss drehen wir unsere gemeinsame Morgenrunde durch das „Air Wing“. Diese ist für uns sehr wichtig. Eine der grundlegendsten Aufgaben vom Team Flugmedizin im Einsatz ist es, immer ein offenes Ohr sowie Empathie bei Gesprächen zu haben. Daher versuchen wir jeden Morgen, Verbindung zu möglichst allen Bereichen zu bekommen, um eventuelle medizinische oder persönliche Probleme direkt erkennen zu können.
Informationen sind wichtig: die „Doctors Round“
Im Anschluss geht es für mich zur „Doctors Round“ in die Klinik, so nennen wir die Besprechung aller Ärztinnen und Ärzte. Die Klinik im Camp Marmal ist ein multinationales Feldkrankenhaus, in dem 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag rund 80 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind. Die „Doctors Round“ ist für mich kein Pflichttermin. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, sich regelmäßig dort blicken zu lassen. Hier erfahre ich nützliche Details über beispielsweise kürzlich aufgenommene Patientinnen oder Patienten. Aber auch Informationen zu eventuell anstehenden Repatriierungen, also Überführungen in die Heimat, werden ausgetauscht. Diese werden durch den Fliegerarzt mitorganisiert und müssen von ihm abgesegnet werden. Darüber hinaus bietet diese Runde eine gute Plattform, um sich über aktuelle Angelegenheiten auszutauschen. Vor allem zum Truppenarzt halte ich auf diese Weise engen Kontakt und tausche mich über gemeinsame Patienten aus. Im Anschluss fahre ich von der Klinik in den Bereich des Feldlagers, in dem das Team Flugmedizin untergebracht ist.
Die Tür steht offen: immer für die Patienten da
Wieder in unserem Büro angekommen, geht es mit einer kleinen Teambesprechung und einem kurzen Termincheck für den Tag weiter. Richtige Termine vergeben wir selten. Es hat sich bewährt, dass unsere Patientinnen und Patienten zur Behandlung immer zu uns kommen können, wenn die Tür offensteht. Das senkt die Hemmschwelle und gibt ihnen mehr Flexibilität. Tatsächlich ist der Großteil unserer Patienten Laufkundschaft, die meist unangekündigt vorbeikommt. In der Regel handelt es sich dabei um Kleinigkeiten und kurze Behandlungsgespräche. Die präventive Arbeit ist für uns besonders wichtig. Auf diese Weise können wir frühzeitig Symptome und Krankheitsverläufe erkennen, bevor sie sich verschlimmern. Aus diesem Grund halten wir stets engen Kontakt zu allen Soldatinnen und Soldaten.
Täglicher Austausch ist wichtig
Der enge und tägliche Austausch mit den Kameradinnen und Kameraden in der Klinik bleibt für uns den ganzen Tag über wichtig. Dazu treffen wir uns mindestens einmal am Tag gemeinsam mit dem Truppenarzt – egal ob zum Mittagessen oder auf einen Kaffee. Der Fliegerarzt arbeitet neben seiner Funktion als Truppenarzt für das fliegende Personal auch als Aeromedical Evacuation Coordination Officer (AECO). Das bedeutet, wir koordinieren gemeinsam mit dem Patient Evacuation Coordination Center (PECCPatient Evacuation Coordination Centre) verschiedene Evakuierungsverfahren. Dabei organisieren wir den Abtransport von verletzten und erkrankten Soldatinnen und Soldaten vom Ort des Geschehens über die Einrichtungen im Einsatzland bis zu der jeweiligen Sanitätseinrichtung im Heimatland.
Die Kompetenz des Fliegerarztes bezieht sich hierbei vor allem auf die äußeren Einflüsse, die durch einen Lufttransport auf die Patienten entstehen können. Zum Beispiel können die Flughöhe und damit verbunden ein niedriger Sauerstoffpartialdruck oder Vibrationen im Flugzeug auf einen erkrankten Menschen Einfluss nehmen. Die Frage, ob solche Einflüsse für die jeweiligen Patienten relevant sind, kann im gemeinsamen Gespräch mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten aus der Klinik geklärt werden.
Schnelltest und Impfungen
Hier im Einsatz herrscht eine hohe Personalfluktuation. Das bedeutet, dass regelmäßig Soldatinnen und Soldaten zurück in die Heimat fliegen und neue Kameradinnen und Kameraden zum Kontingent hinzukommen. Sowohl bei der Ankunft als auch beim Abflug ist der Fliegerarztbereich eine Station für alle Kameradinnen und Kameraden. Zurzeit werden darüber hinaus vor dem Rückflug nach Deutschland alle mittels Schnelltest auf SARSSchweres Akutes Respiratorisches Syndrom-CoV-2 getestet. Für den medizinischen Teil der Aufnahme sind wir, das Team Flugmedizin, zuständig, ebenso für die Einweisung in medizinisches Material, das wir an die Soldatinnen und Soldaten ausgeben.
Alle nach Afghanistan mitgebrachten medizinischen Unterlagen werden von uns gesichtet und geprüft. Impfungen sind dabei besonders wichtig, da jedes Einsatzgebiet der Bundeswehr bestimmte Impfungen voraussetzt – so auch unsere NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mission Resolute Support hier im Camp Marmal in Afghanistan. Zurzeit sticht dabei die COVID-19Coronavirus Disease 2019-Schutzimpfung heraus. Die meisten haben bereits ihre erste Impfdosis in der isolierten Unterbringung vor dem Einsatz erhalten. Die Daten werden auch dokumentiert, um je nach Impfstoffverfügbarkeit auf die zweite COVID-19Coronavirus Disease 2019-Schutzimpfung hier vor Ort vorbereitet zu sein.
Enger Austausch mit dem fliegenden Personal
Als Team Flugmedizin stehen wir im engen Austausch mit dem fliegenden Personal. Deshalb nehmen wir, solange es der Terminkalender zulässt, jeden Nachmittag am Fliegerbriefing teil. Hierbei erfahren wir, womit sich unser Patientenstamm beschäftigt, und bleiben dadurch stets auf dem aktuellen Stand. Natürlich nutzen wir diesen Termin auch, um nach einem Flugtag zu sehen, ob es allen gut geht. Negative Überraschungen können somit auf ein annehmbares Minimum reduziert werden, obgleich wir uns der momentanen Bedrohungslage in Afghanistan und dem möglichen Extremfall unserer Arbeit jederzeit bewusst sind. Nach dem Fliegerbriefing lassen wir den Einsatztag meistens in der Stabsrunde vom „Air Wing“, dem wir offiziell auch angehören, ausklingen. Ort und Zeit dieser Runde variieren dabei je nach Auftragslage.
Am Abend bleibt Zeit für Kommunikation und Sport
Am Abend fahre ich zurück zu meinem Unterkunftsbereich. Hier telefoniere ich nahezu täglich mit meiner Familie und meinen Freunden zu Hause in Deutschland. An manchen Abenden schreibe ich auch gern Briefe. Da ich tagsüber leider selten Zeit dafür habe, darf für mich ein wenig Sport am Abend nicht fehlen. Wenn es zeitlich passt, nutze ich gern tagsüber das Sportangebot hier im Camp Marmal. Der Spinning-Kurs am Sonntagmorgen ist für mich ein sehr angenehmer Ausgleich zum Einsatzalltag. Wenn ich am Ende des Tages noch nicht zu müde bin, schaue ich vor dem Schlafengehen noch in einer der Betreuungseinrichtungen vorbei. Danach endet für mich mein Tag im Einsatz hier in Afghanistan.
Gute Nacht: am Ende eines langen Tages
Am Ende meines Einsatztages nutze ich den späteren Abend gern dafür, meiner eigenen Seele etwas Gutes zu tun. Natürlich erfahre ich tagsüber viele Probleme und Leiden anderer, was mich oft zum Nachdenken anregt. Dies mache ich dann meistens allein auf meiner Stube, um in Ruhe die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Die größte seelische Hilfe ist dabei immer noch meine Familie zu Hause in Deutschland. Aufgrund der guten Vernetzung hier in Masar-i Scharif ist es mir fast jeden Abend möglich, mit meiner Frau zu telefonieren. Nur die Zeitverschiebung macht uns manchmal einen Strich durch die Rechnung. Danach geht es noch schnell unter die Dusche und schon heißt es für mich „Gute Nacht, Afghanistan“. Auf eine hoffentlich ruhige und unfallfreie Nacht.