Entstehung der Wehrpflicht
Entstehung der Wehrpflicht
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Die Einführung der Wehrpflicht, die bei uns 2010 beziehungsweise 2011 ausgesetzt wurde, basiert im Wesentlichen auf drei markanten Punkten in der Geschichte. Die ersten beiden haben zu tun mit der Französischen Revolution und der Dritte mit der Gründung des Deutschen Reichs 1870/71. Der erste Punkt findet kurz nach der Französischen Revolution 1789 statt, nämlich am Beginn des ersten Koalitionskrieges, dem Beginn der Revolutionskriege 1792. Frankreich stand hier gegen eine Übermacht, bestehend aus Preußen und Österreich, aus Großbritannien und Spanien. Zahlenmäßig war Frankreich unterlegen, aber der damals vom Wohlfahrtsausschuss für das Kriegswesen Verantwortliche, Lazare Carnot, erkannte, dass Frankreich ein zumindest theoretisch hohes Wehrpotenzial aufweist. Frankreich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 30 Millionen Einwohner und ein Heer, das in den zeitgenössischen Augen zu klein war, mit etwa 600.000 Soldaten im Jahre 1793. Dann wurde eine Massenerhebung durchgeführt, die zeitgeistlich als Levée en masse bezeichnet wird. Dadurch vermochte man es, die Anzahl der Soldaten von etwa 600.000 um das 2,5-Fache zu multiplizieren auf 1,5 Millionen. Und mit diesen 1,5 Millionen Soldaten hatte man natürlich einen klaren Wettbewerbsvorteil erreicht und ging letztlich auch siegreich aus diesem ersten Koalitionskrieg hervor. Übrigens ist Lazare Carnot ein ganz interessanter Mann. Er war nicht nur Politiker und Offizier, sondern auch Mathematiker. Und später war er wegen Königsmord angeklagt und starb dann im preußischen Exil in Magdeburg. Diese Levée en masse, die in unterschiedlichem Maße durchgeführt wurde, aber während der umfassenden Rekrutierung dennoch die Ausnahme blieb, ermöglichte die französischen Massenheere bis 1815. Und damit einher ging auch eine veränderte Gefechtsführung. Die bisherige Ermattungsstrategie der Kriegsführung des 18. Jahrhunderts wurde ersetzt mittels der Massenheere. Diese suchten eine offensive Entscheidungsschlacht, eigene Verluste nahm man in Kauf. Und insbesondere Napoleon verstand es, diese wesentlichen Faktoren jeder militärischen Operation, also Kräfte, Raum und Zeit, wirklich gut miteinander zu verknüpfen und dann die Vernichtung des Gegners im Nahkampf mit dem Bajonett zu suchen. Ein ganz interessanter Punkt bezüglich der Soldaten war nun, dass die Wehrpflicht dafür sorgte, dass die noch im 18. Jahrhundert bestehen Grenze zwischen dem Zivilen und dem Militärischen zunehmend verwischte. Die Soldaten waren nun quasi in Anführungsstrichen beseelt mit einer hohen Identifikation. Man verteidigt nun seinen Stab und wurde nicht mehr nur als Objekt staatlicher Autorität mobilisiert (wie zuvor). Nun führten nicht mehr nur Berufsmilitärs Krieg, sondern tendenziell Bevölkerungen. Eben das ist genau diese verwischende Grenze zwischen zivil und militärisch. Und bis 1815 sollte dies auch für Spanien und eben zum Teil auch für Deutsche, also insbesondere Preußen zu treffen. Und dieser erste markante Punkt im Rahmen der Französischen Revolution war quasi die Initialzündung der modernen allgemeinen Wehrpflicht. Der zweite markante Punkt in der Entstehung betrifft die preußischen Militärreformer um Gerhard von Scharnhorst ab 1814. Genauer gesagt ging es schon eher los: nämlich in der Katastrophe von Jena und Auerstedt (die verlorene Doppelschlacht gegen Napoleon 1806) und dem sich anschließenden Diktatfrieden von Tilsit 1807. Preußen war nunmehr eine Art agrarischer Rumpfstaat und hatte gleichzeitig einen Regenten, nämlich Friedrich Wilhelm, den Dritten der Reformen gegenüber aufgeschlossen war. Und dieser setzte eine sogenannte Militär-Reorganisationskommission ein, deren Vorsitzender von Scharnhorst wurde. Man machte hier, was bereits Ovid etwa 1800 Jahre vorher formuliert hatte. Man versuchte vom Feind zu lernen. Man versuchte nachzuahmen beziehungsweise zu kopieren, was die Vorteile des jeweiligen Gegners gewesen waren, die ihm zum Sieg befähigt hatten. Und als diese Punkte erkannte man beispielsweise die Gründung eines Kriegsministeriums, die Gründung eines Generalstabs, aber auch konkret den Soldaten betreffende Sachen wie eine Art Haartracht-Erlass. Die Zöpfe kamen ab und die Soldaten trugen ab sofort moderne Frisuren. Wenn man sich auch die Reformer anschaut, dieser Staats- und Heeresreform, wird man feststellen, dass keiner von denen wirklich lange Haare trug: Also weder Scharnhorst noch von Hardenberg oder von und zum Stein und auch Beulen und von Clausewitz trugen tendenziell kurze Haare. Ebenso und das war fundamental für die bald kommende Einführung der Wehrpflicht, wurde die soziale Position des Soldaten verbessert. Bisher war es so, dass wenn beispielsweise ein Bürger einen Soldaten traf, dieser Bürger nicht unbedingt von ungeteilter Begeisterung darüber war, da das soziale Ansehen der Soldaten tendenziell eher schlecht war. In diesem Rahmen wurde beispielsweise auch die Prügelstrafe abgeschafft. „Freiheit der Rücken“, wie dies der Graf von Gneisenau formulierte. Der Dienst an der Waffe war ab sofort ein Ehrendienst. Der Soldat war nun ein Mann von Ehre. Dieser aufkommende Ehrtopos macht quasi den Dienst an der Waffe zu einer Form sittlicher Pflicht. Es hatte lange Widerstand gegen die Wehrpflicht gegeben. Allerdings wurde dann ein veritabler Handlungszwang begründet, durch den Beginn der Freiheitskriege 1813. In dieser Folge wurde 1814 das sogenannte „Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst“ erlassen. Das ist ein interessanter Punkt: Nicht nur preußische Staatsbürger, nein, alle Einwohner Preußens hatten diesen Wehrdienst zu leisten, sobald sie das 20. Lebensjahr vollendet hatten. Denn auch die Staatsbürgerschaft war eine Idee, die mit der Französischen Revolution verknüpft war. Nach den Freiheitskriegen wurde vieles zurückgedreht aber die Wehrpflicht wurde beibehalten. Und genau darin liegt auch das Verdienst der Heeresreformer. Und dies war quasi der zweite markante Punkt. Die zweite Zäsur der Schaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Sozusagen der Durchbruch der allgemeinen Wehrpflicht, die erste Anschlussfähigkeit allgemeiner Wehrpflicht. Der dritte markante Punkt in dieser Reihe der Entstehung ist zu betrachten in dem Deutsch-Französischen Krieg beziehungsweise den Einigungskriegen insgesamt. Bereits nach dem deutsch-dänischen Krieg 1864 und dem 1866 folgenden preußisch-österreichischem Krieg, im Zeitgeist Bruderkrieg genannt, wurde die Wehrpflicht von den meisten deutschen Staaten nach dem preußischen Vorbild übernommen. Nach dem deutschen Sieg über Frankreich 1870/71 wurde dann die Wehrpflicht wiederum von den meisten Staaten Europas übernommen. Nun haben wir also eine zumindest auf Europa bezogene allumfassende Anschlussfähigkeit. Überall gibt es die Wehrpflicht und das ist quasi soweit die Entstehung der modernen allgemeinen Wehrpflicht.“