Weitere psychische Erkrankungen
Belastende Situationen, gerade bei Auslandseinsätzen, können bei Bundeswehrangehörigen psychische Erkrankungen hervorrufen. Neben PTBSPosttraumatische Belastungsstörung können auch Angst- und Suchterkrankungen, psychosomatische Störungen und Depressionen auftreten. Hier erfahren Sie, woran sie erkannt und wie sie behandelt werden.
Angsterkrankungen
Angsterkrankungen können als Folge eines traumatischen Erlebnisses auftreten und äußern sich auf unterschiedliche Weise. Besonders häufig ist die Platzangst, auch Agoraphobie genannt. Andere Symptome wie Schwindel und Herzklopfen werden oft gar nicht als psychische Erkrankung erkannt. Die Betroffenen schämen sich häufig sehr für ihre Symptome, da sie aus ihrer Sicht nicht mit dem Selbstbild von Soldatinnen und Soldaten vereinbar sind.
Als Angehörige, Kameradinnen und Kameraden, Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte einer/ eines Betroffenen ist es daher vor allem wichtig, sie oder ihn zum ersten Schritt zu ermutigen: sich fachliche Hilfe zu holen. Denn einmal diagnostiziert, können Angststörungen behandelt werden – meist durch Psychotherapie, aber auch durch Medikamente.
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Das häufigste Symptombild ist die sogenannte Agoraphobie, auch als Platzangst bekannt. Dabei leiden die Betroffenen unter unerklärlichen Ängsten vor einem Aufenthalt außerhalb schutzbietender Räume – wie der eigenen Wohnung oder der Kaserne. Im schlimmsten Fall können sie die eigenen vier Wände kaum noch verlassen.
Nicht immer sind Angsterkrankungen auf den ersten Blick auch als solche erkennbar – weder für die Betroffenen selbst, noch für ihr Umfeld. In vielen Fällen empfinden Erkrankte zunächst nur die Begleitsymptome von Angst in den entsprechenden Situationen. Dazu gehören Herzklopfen, Schwitzen, Schwindelgefühle, Tunnelblick, Druck in der Brust und ein trockener Mund. Die dadurch jedoch merklich verminderte Lebensqualität bringt die Betroffenen dazu, sich ärztlich untersuchen lassen – oft ohne Krankheitsbefund. Denn an eine psychische Erkrankung denken sie nicht.
Menschen mit einer Angsterkrankung vermeiden oft bestimmte alltägliche Situationen, wie zum Beispiel große Menschenansammlungen. Das schränkt ihre Lebensgestaltung erheblich ein. Eine Psychotherapie hilft Betroffenen, sich solchen Situationen aktiv zu stellen. Da die unterbewusst gefürchteten Konsequenzen oder Ereignisse nicht eintreten – es gibt keinen Angriff auf sie, kein Attentat oder Ähnliches – tritt ein Gewöhnungseffekt ein und mindert in der Regel die Ängste.
Angehörige, Freunde, Kameradinnen und Kameraden sowie Kolleginnen und Kollegen können die Betroffenen ermuntern, eine Psychotherapie aufzunehmen und gefürchtete Situationen nicht mehr zu vermeiden.
Angstlösende Medikamente (Psychopharmaka) können in der Anfangszeit der Therapie wirksam unterstützen. Sie vermindern die Anspannung und erleichtern so effektives psychotherapeutisches Üben. In fortgeschrittenen Stadien der Behandlung können sie meist wieder abgesetzt werden. Alternativ oder ergänzend sind Aromatherapeutika eine Option, zum Beispiel Kapseln oder Duftöle mit Lavendel-Extrakt.
Angstpatienten suchen wegen ihrer körperlichen Symptome oft Allgemeinärzte auf. Damit die psychische Erkrankung als solche erkannt werden kann, ist das Thema „Angst“ auch Teil des „Gesundheitsfragebogen für Patienten“ (PHQ-D), der unter anderem für die Anwendung in der Allgemeinmedizin konzipiert wurde.
Eine organische Differentialdiagnostik sollte, auch wenn deutlich situationsbezogene Ängste eine körperliche Ursache unwahrscheinlich machen, beim ersten Kontakt sorgfältig und gründlich erfolgen. Wichtig ist, den Patientinnen und Patienten alle Symptome und auch die zur Diagnostik notwendigen Verfahren genau zu erklären. Nur dann können nach Beendigung des Basis-Programms die Untersuchungen auch zum Abschluss gebracht werden. Ansonsten bleibt beim Patienten oder der Patientin eine Rest-Unsicherheit bestehen, die gegebenenfalls ein „Ärzte-Hopping“ fördert.
Sie können Ihren Patientinnen und Patienten auch Entspannungstechniken empfehlen. Eine Auswahl an Techniken bietet die App CoachPTBS des Psychotraumazentrums.
Suchterkrankungen
Oft greifen Betroffene zu Suchtmitteln, um ein traumatisches Erlebnis und Symptome von posttraumatischen psychischen Erkrankungen besser ertragen zu können. Daraus kann sich eine Abhängigkeit und sogenannte Suchterkrankung entwickeln. Am häufigsten diagnostiziert ist die Alkoholerkrankung – der Missbrauch illegaler Drogen wie Cannabis (Haschisch), Stimulanzien, wie zum Beispiel Amphetamine, oder Opiate ist eher selten.
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Der Übergang zwischen einem risikoarmen Alkoholkonsum und einer Alkoholerkrankung mit schwerwiegenden körperlichen Schäden ist fließend. Sowohl für die Betroffenen als auch für ihr soziales Umfeld ist es daher schwer einzuschätzen, wann eine Erkrankung vorliegt und professionelle Hilfe aufgesucht werden sollte.
Es gibt eine Reihe von Anhaltspunkten, anhand derer sich der Schweregrad und die Schädlichkeit des Konsummusters einordnen lässt. Ab einer Menge von circa 10 g Alkohol pro Tag bei Frauen und 20 g pro Tag bei Männern sind laut Weltgesundheitsorganisation erste körperliche Folgeschäden möglich. Das entspricht ein bis zwei Gläsern Wein.
Eine Alkoholerkrankung führt zu erhöhten Leberwerten, steigendem Blutdruck und Schlafstörungen. Betroffene verspüren einen Drang, Alkohol zu sich zu nehmen – auch dann noch, wenn sie sich über die schädlichen Folgen bereits bewusst sind. Die Erkrankten steigern jedoch ihren Konsum immer weiter, um die Entzugserscheinungen nicht spüren zu müssen.
Der sogenannte CAGE-Fragebogen hilft bei einer Ersteinschätzung. Werden zwei oder mehr Fragen positiv beantwortet, besteht die Wahrscheinlichkeit einer Alkohol-Abhängigkeit.
- Hatten Sie jemals das Gefühl, Sie müssten Ihren Konsum an alkoholischen Getränken verringern?
- Hat Ihr Umfeld schon einmal Bemerkungen über Ihren Alkoholkonsum gemacht?
- Hatten Sie schon einmal den Eindruck, dass Sie zuviel trinken?
- Haben Sie schon einmal am Morgen Alkohol gebraucht, um in Form zu sein?
Die negativen Aspekte des Alkohols werden in der Öffentlichkeit selten thematisiert und meist verharmlost. Abhängige reagieren häufig ablehnend oder aggressiv, wenn sie darauf angesprochen werden. Dies macht es dem sozialen Umfeld, sowohl privat als auch dienstlich, schwer, seinen Sorgen Ausdruck zu verleihen und erste hilfreiche oder kritische Gespräche zu führen.
Doch es ist wichtig, einen Gesprächszugang zu finden, der Umschreibungen oder Verharmlosungen vermeidet und die Thematik klar und sachlich benennt, ohne Betroffene herabzusetzen. Vorwürfe oder Drohungen hingegen können die Schamgefühle des Betroffenen verstärken.
Ändern Betroffene ihr Verhalten nicht auf positive, nachhaltige Weise, sollten konsequente Maßnahmen eingeleitet werden. Im privaten Umfeld kann dies beispielsweise bedeuten, eine vorübergehende räumliche Trennung zu vereinbaren. Im dienstlichen Umfeld können Einschränkungen wie beispielsweise ein Fahrverbot oder der Entzug verantwortungsvoller Aufgaben ein klares Signal setzen.
Empfehlenswert ist auch ein beratendes Gespräch mit der behandelnden Truppenärztin oder dem behandelnden Truppenarzt, dem Sozialdienst der Bundeswehr, bei einer Fachärztin oder einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in einem Bundeswehrkrankenhaus oder bei einem Psychologischen Psychotherapeuten oder einer Psychologischen Psychotherapeutin.
Wenden sich Bundeswehrgangehörige mit einer Alkoholproblematik an Vertreter der im psychosozialen Netzwerk kooperierenden Fachdienste, dann sollte bei Soldatinnen und Soldaten immer eine Truppenärztin oder ein Truppenarzt hinzugezogen werden. Bei zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist eine Einbeziehung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes zu empfehlen. Denn neben der psychischen Erkrankung und Abhängigkeit ist die Alkoholerkrankung vor allem auch eine schwere körperliche Erkrankung, die mit vielfältigen und auch lebensbedrohlichen Veränderungen einhergehen kann. Sie darf also keinesfalls verharmlost werden.
Im Rahmen erster Fachgespräche wird gemeinsam mit dem Patienten der Schweregrad der Abhängigkeit nach den oben genannten Kriterien erörtert. Zur vertiefenden Diagnostik bietet sich ein kurzer stationärer Aufenthalt für ein bis zwei Wochen in einem Bundeswehrkrankenhaus oder auch in einer zivilen psychiatrischen Akutklinik an. Die Diagnostik vor Ort umfasst Laboruntersuchungen, EKGElektrokardiogramm, Röntgen des Brustkorbs und je nach Symptombildern auch weitere Untersuchungen. Daraufhin folgen die Entgiftung und die Entwöhnungsphase.
Der 35-jährige Hauptfeldwebel Mario L. fällt seit anderthalb Jahren durch starken Alkoholkonsum auf. Nach dem Tod seiner Mutter, zu der er ein sehr enges Verhältnis hatte, trinkt er zuletzt drei bis vier Liter Bier pro Tag, kombiniert mit einem halben Liter Schnaps. Von seinen Vorgesetzten ist er bereits mehrfach auf den Alkoholkonsum angesprochen worden. Jüngst wurde er auch morgens wegen einer Fahne wieder nach Hause geschickt.
Disziplinarische Konsequenzen hatte sein Konsum bislang noch nicht. Dies liegt auch daran, dass er früher größere Mengen nur an Wochenenden konsumierte. Dabei ist es auch schon zu Filmrissen gekommen – er konnte sich dann an sein Verhalten am Vorabend nicht mehr erinnern.
Auf Drängen seiner Partnerin stellt er sich zur Beratung bei seinem Truppenarzt vor. Dabei zeigen sich im Labor erhöhte Leberwerte. Der Truppenarzt stellt die Verdachtsdiagnose einer Alkoholabhängigkeit sowie einer pathologischen Trauerreaktion und vereinbart einen stationären Aufnahmetermin in einem Bundeswehrkrankenhaus.
Bei seiner Entgiftung erlebt Mario L. Unruhe, Zittern und Blutdruckerhöhungen. Insgesamt verläuft sie aber nach Gabe von Clomethiazol ohne Komplikationen. Da ihn sein privates und dienstliches Umfeld unterstützen, wird gemeinsam mit ihm beschlossen, eine ambulante Entwöhnung bei einer nahegelegenen Suchtberatungsstelle durchzuführen. Zusätzlich schließt Mario sich der Soldatenselbsthilfe gegen Sucht an und besucht wöchentlich die Selbsthilfegruppe seines Standortes. Bei den monatlichen Kontrollen seines Truppenarztes bleibt er abstinent.
Psychosomatische Erkrankungen
Nicht immer reagieren Menschen mit psychischen Symptomen, wenn sie in belastende Situationen geraten. Viele unterdrücken den psychischen Stress so lange, bis er sich über körperliche Symptome äußert.
Kurzzeitig und vorübergehend auftretende Körpersignale, die eine Überforderung unter Stress signalisieren, zum Beispiel in Prüfungssituationen, sind normale menschliche Reaktionen. Dann liegt nicht unbedingt gleich eine psychische Erkrankung vor. Halten körperliche Stresssymptome jedoch länger als zwei Jahre an, ist davon auszugehen, dass der Körper einen seelischen Schmerz zum Ausdruck bringt.
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Ein Trauma kann starke und dauerhafte körperliche Symptombilder hervorrufen. Eine typische Art oder Stärke der Beschwerden gibt es jedoch nicht. Im militärischen Kontext zeigen sich regelmäßig chronische somatoforme Schmerzen, zum Beispiel Rückenschmerz oder Kopfschmerz. Dazu kommen Probleme des Magen-Darm-Traktes wie Oberbauchschmerzen oder Durchfälle, Schwindelgefühle und herzbezogene Veränderungen wie beispielsweise das starke Wahrnehmen des Herzschlags oder Herzstolpern.
Eine besondere Variante stellen die sogenannten dissoziativen Störungen dar. Sie beeinträchtigen vorwiegend die Bewegung und Sinneswahrnehmung. Beispiele sind plötzliche Lähmungen einzelner Gliedmaßen oder auch Taubheitsgefühle. Wenn Betroffene angstbezogene Symptome nicht als solche erkennen, kann sich durch die Angst das allgemeine Krankheitsgefühl deutlich verstärken.
Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen sollten sich zunächst gründlich untersuchen lassen. Denn die körperliche und psychische Diagnostik und Behandlung sollten aufeinander abgestimmt werden.
Für die Erkrankten ist es ein wichtiger Lernprozess, die Verbindungen zwischen Belastungen, psychischen Reaktionen und körperlichen Symptomen im Alltag zu beobachten und besser kennenzulernen. So können sie Verhaltensstrategien entwickeln, um Konflikte besser zu lösen.
Angehörige sollten es vermeiden, die Körpersymptome hervorzuheben oder wiederholt auf ärztliche Untersuchungen zu drängen. Dies kann die körperlichen Reaktionen verstärken.
Wenn körperliche Untersuchungen keinen Befund ergeben, sollten Ärzte erste Schritte eines psychosomatischen Krankheitskonzeptes mit den Betroffenen erarbeiten. Zu Beginn können sie etwa festhalten, in welchen Lebensbereichen die Symptome auftreten und die Lebensqualität einschränken. So erkennen Betroffene, dass sie durch einen psychotherapeutischen Behandlungsansatz ihre Lebensqualität verbessern können.
Als therapeutisches Fachpersonal können Sie im nächsten Schritt betrachten, welche Lebenssituationen die Symptome verstärken oder auch abschwächen. Begreift der Betroffene, dass derartige Schwankungen mit organischen Erkrankungen kaum vereinbar sind, können Sie ihm erklären, dass seelische Einflüsse auch Auswirkungen auf den Körper haben und es sich um eine psychische Erkrankung handelt.
Gegebenenfalls kann auch ein akut bestehendes Symptom, zum Beispiel Herzklopfen oder Unruhe, schon durch die gemeinsame Anwendung eines Entspannungsverfahrens gemindert werden.
Akzeptieren Betroffene den Befund, sollten sie einer fachärztlichen Untersuchungsstelle für Psychiatrie und Psychotherapie zugewiesen werden.
Krankschreibungen sind in akuten Krisensituationen, die auch im Verlauf einer Psychotherapie immer wieder vorkommen können, eine Möglichkeit, die Patientinnen oder Patienten kurzzeitig zu entlasten. Dies sollte sich jedoch auf Zeiträume von ein bis drei Wochen beschränken. Nur im Ausnahmefall sollten Zeiten von über drei Monaten überschritten werden, ohne dass dies vom Facharzt ausdrücklich empfohlen wird.
Eine Psychotherapie kann durch körperbezogene therapeutische Elemente unterstützt werden. Dazu gehören Entspannungstrainings, Sport und sonstige körperliche Bewegung.
Manfred K. ist ein 50-jähriger Stabsoffizier. Er ist seinem Truppenarzt bereits seit mehreren Jahren bekannt, da er sich wegen eines chronischen Rückenschmerzes immer wieder bei ihm vorgestellt hat. Dieser ist vor allem im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule lokalisiert, hat einen dumpf-drückenden Charakter, strahlt gelegentlich in den vorderen unteren Bauchbereich aus, nie aber in die Beine.
Zu einer Verstärkung kommt es vor allem in dienstlichen Stresssituationen, er kommt dann zum Teil vor Schmerzen morgens kaum noch aus dem Bett. Im Urlaub geht es ihm besser.
Die bislang verordneten physiotherapeutischen Maßnahmen findet Manfred K. sehr angenehm, sie helfen aber immer nur kurzzeitig. Seit ungefähr drei Monaten haben sich seine Symptome verschlimmert. Sein Vorgesetzter hat gewechselt und sein neuer Kommandeur will laut Manfred K. alles verändern, nehme seine Vorschläge aber kaum ernst.
Nach Abschluss der neurologischen und orthopädischen Untersuchung, die Verschleißerscheinungen in der schmerzhaften Region, sonst aber keinen pathologischen Befund erbracht haben, wird der Patient in einer nahegelegenen fachärztlichen Untersuchungsstelle für Psychiatrie und Psychotherapie vorgestellt. Schnell wird ihm klar, dass seine Krankheit psychosomatisch ist.
Manfred K. erhält eine sechswöchige stationäre psychosomatische Rehabilitation. Bei seiner Rückkehr hat er bereits ein Entspannungstraining fest in seinen Tagesablauf integriert und seine rigide Arbeitseinstellung hinterfragt. Er kann auch sein Privatleben als wichtigen Bestandteil seines Lebens wertschätzen. Er hat erste Gespräche mit seinem Vorgesetzten geführt und seine Sicht der Situation vermitteln können. Dies hat zwischen beiden zu einer Entlastung geführt. Seine Symptome haben sich dadurch deutlich reduziert, der Schmerz tritt nur noch gelegentlich und in leichter Form auf. Zur weiteren Begleitung der Veränderungen erhält er eine ambulante Psychotherapie mit 25 Sitzungen.
Depression
Die Depression ist in Deutschland und Europa eine sehr häufige Erkrankung. Etwa ein Viertel der Bevölkerung bekommt sie mindestens einmal im Laufe ihres Lebens. Depression bedeutet Stillstand in vielen Lebensbereichen. Bei dieser psychischen Erkrankung fehlt die Kraft selbst für einfachste Aufgaben. Die Stimmung ist traurig, vielfach sogar ganz leer und gefühllos. Freude, Lebenslust und der Ausdruck spontaner Gefühle haben sich aus dem Leben zurückgezogen. Die Konzentration fällt schwer, Schlafstörungen, zum Teil auch körperliche Symptome nehmen einen großen Raum ein.
Bleibt dieses Leid über längere Zeit unbehandelt, ist nicht ausgeschlossen, dass die Betroffenen in ihrer Verzweiflung auch darüber nachdenken, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
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Depression entsteht als Folge einer Vielzahl von Einflüssen und ungünstigen Verkettungen – von einer erblichen Komponente bis hin zu den Belastungen eines Auslandseinsatzes.
Eine Sonderform von Depression, die auch als Vorstufe eingeschätzt wird, ist das Burnout-Syndrom. Dieses tritt bei Einsatzkräften, auch bei der Truppe, verhältnismäßig häufig auf. Ein Grund ist, dass Soldatinnen und Soldaten oder zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hohe Ansprüche an die eigene Leistungsfähigkeit, an Hilfsbereitschaft und Perfektion stellen. Das kann dazu führen, dass mehr geleistet wird, als durch Erholung wieder regeneriert werden kann.
Es setzt dann ein über Jahre schleichender Prozess ein, der für die Betroffenen anfangs kaum merkbar ist, stattdessen eher von der Umgebung wahrgenommen wird. Er beginnt mit Abgespanntheit, verminderter Kraft und weniger Freude. Manchmal kommen auch Frustration oder ein Hang zu Ungeduld und Unzufriedenheit dazu. In fortgeschrittenen Stadien reagiert auch der Körper, etwa mit chronischen Schmerzen. Auch Suchtverhalten kann als Begleitsymptom auftreten.
Depressive Erkrankungen können im sozialen Umfeld zu einer großen Hilflosigkeit führen. Menschen mit Depression sind schwer ansprechbar und verändern sich in ihrer Persönlichkeit. Das trifft ihre Bezugspersonen stark. Intuitiv versuchen sie, die Erkrankten zu Aktivitäten zu bewegen oder gar zu drängen. Je schwerer das depressive Symptombild, desto mehr werden solche gutgemeinten Versuche jedoch zur Qual. Denn durch den verminderten Antrieb ist Aktivität eben nicht möglich und der Druck der Umgebung erzeugt zusätzlich Schuldgefühle, die die Depression wiederum vertiefen.
Sinnvoller ist es, Zuversicht zu vermitteln, dass die Depression irgendwann vorbei geht. Dies braucht Zeit und Geduld bei allen Beteiligten. Das kann den Druck mindern. Eine therapeutische Beratung oder Behandlung ist in jedem Fall zu empfehlen.
Angesichts der Häufigkeit depressiver Erkrankungen lohnt sich eine Sensibilisierung für dieses Krankheitsbild auch und vor allem in der allgemeinmedizinischen Praxis. Zahlreiche Symptomkomplexe stehen mit Depression in enger Verbindung. Dazu gehören beispielsweise Schlafstörungen, chronische Schmerzen oder Unruhe und Agitiertheit. Bei Burnout-Syndromen und leichten Depressionen sind die behandelnden Truppenärztinnen und Truppenärzte oder zivilen Ärztinnen und Ärzte wichtige erste Ansprechpartner für Bundeswehrangehörige.
Affektive Störungen wie Depressionen sind auch Bestandteil des Screenings im Gesundheitsfragebogen (PHQ-D), der unter anderem für die Anwendung in der Allgemeinmedizin konzipiert wurde. Angelehnt an diesen Fragebogen haben wir einen PTBSPosttraumatische Belastungsstörung-Online-Test entwickelt.
Eine aufklärende Beratung der Patientin oder des Patienten zu Symptomen und möglichen Ursachen der Depression ist ein wichtiger erster Schritt.
Im dienstlichen Umfeld sollte besonders betont werden, dass Depression und Burnout-Symptome nicht durch Willenskraft bewältigt werden können. Denn es handelt sich nicht um eine Schwäche, sondern um eine psychische Erkrankung. In der Akutphase ist eine Krankschreibung in der Regel unvermeidlich, sollte aber einen zeitlichen Rahmen von ein bis drei Monaten nur im Ausnahmefall und auf fachärztliche Empfehlung überschreiten.
Danach sind dienstliche Maßnahmen wie Wiedereingliederungs-Modelle ein hilfreicher Schritt, etwa ein Dienst von vier bis sechs Stunden pro Tag über einige Wochen oder Monate.
Max M. ist ein 35-jähriger Oberleutnant und Fachdienstoffizier. In den letzten Jahren hat er mehrere anspruchsvolle Dienstposten innegehabt, dabei oft mehr Verantwortung getragen, als es eigentlich seinem Aufgabenbereich entsprach. Er hat dies für seine Karriere, aber auch aus Pflichtbewusstsein getan. Neben dem Beruf ist er noch ehrenamtlich in einem Verein als Vorsitzender aktiv.
Seit zwei Jahren merkt er aber, dass ihm der Alltag zunehmend schwerer fällt. Er braucht nun länger für Aufträge, diese gehen ihm nicht mehr so leicht von der Hand. Gerade am Nachmittag kurz vor Dienstschluss kann er sich auch nur noch schlecht konzentrieren. Er leidet an Schlafstörungen, grübelt vor dem Einschlafen und wacht nachts auf. In seinem Privatleben hat er an seinem Hobby, aber auch an anderen Aktivitäten wie Ausflügen mit seiner Frau und seinen Kindern, kaum noch Interesse. Am Wochenende sitzt er oft stundenlang auf dem Sofa und kann sich zu nichts aufraffen.
Mit der Verdachtsdiagnose eines Burnout-Syndroms stellt ihn sein Truppenarzt bei einer fachärztlichen Untersuchungsstelle vor. Dort wird die Diagnose bestätigt und zugleich auch eine zwanghafte Persönlichkeitsstruktur festgestellt. Für die Schlafstörungen erhält der Patient ein Medikament. Zudem empfiehlt der Truppenarzt eine ambulante Psychotherapie von 25 Sitzungen. Um deren Umsetzung und Einbezug der Familie zu erleichtern, rät der Arzt außerdem zu einer Versetzung auf einen heimatnahen Dienstposten.
Moralische Verletzungen und Werteorientierung
Bundeswehrangehörige nehmen in die Einsätze ihre Einstellungen und Wertorientierungen aus dem Heimatland mit. Diese bedeuten für sie ein ethisches Fundament, das ihr Denken und ihre Handlungen vor Ort mitbestimmt und auch Stabilität in Belastungs- und Krisensituationen gibt. Werte sind ein Koordinatensystem, das Orientierung und inneren Halt bietet.
Die persönlichen Werte können sich auch darauf auswirken, wie Soldatinnen und Soldaten oder zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Belastungen umgehen und wie anfällig sie für psychische Erkrankungen sind. Laut Studien des Psychotraumazentrums kann ein sehr reflektierter, intensiver Wertebezug, wie beispielsweise ein starker Gerechtigkeitssinn, vor psychischen Erkrankungen schützen. Stark altruistische und kameradschaftliche Werte jedoch, wie die Orientierung am Wohl anderer Menschen, können Symptome auch verstärken.
Wichtig hierbei zu verstehen – Menschen mit diesen Werten sind nicht verwundbarer als ihre Kameraden oder Kollegen. Durch ihre Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, nehmen sie aber das Leid ihrer Mitmenschen stärker auch als eigene Belastung wahr.
Besonders stark zeigt sich der Einfluss eigener Wertesysteme auf die psychische Gesundheit, wenn es zu sogenannten moralischen Verletzungen kommt (Moral Injury). Darunter versteht man die Verletzung eines Menschen, die sich nicht auf einer körperlichen oder psychischen Ebene abspielt, sondern die das moralische und ethische Empfinden in Frage stellt.
Dies kann durch andere Personen verursacht werden, beispielsweise wenn Vorgesetzte Befehle erteilen, die als fragwürdig bewertet werden. Etwa, wenn aus Gründen der militärischen Lage eine zivile humanitäre Hilfeleistung verboten wird, zu der sich eine Soldatin oder ein Soldat verpflichtet fühlen würde. Ein ausgeprägter Zorn auf die Verursacher ist häufig die Folge, der über Jahre einen hartnäckigen Begleiter darstellen kann. Daraus kann eine psychische Erkrankung entstehen.
Eine moralische Verletzung kann aber auch durch eigenes Verhalten entstehen. Die Teilnahme an Kampfhandlungen mit der Notwendigkeit, zu verletzen oder zu töten, kann mit Schuldgefühlen einhergehen und im Laufe der Zeit zu Scham führen – zu dem dauerhaften Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein. Schuld und Scham wiederum ziehen in vielen Fällen das Bedürfnis nach sich, sich von anderen oder sich selbst zu isolieren. Depression kann die Folge sein.
Bei der Behandlung traumabedingter psychischer Erkrankungen, aber auch bei der Einsatzvorbereitung, nehmen daher moralische Aspekte des Einsatzgeschehens einen zunehmenden Stellenwert ein. So werden im Psychotraumazentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin traumatisierte Soldatinnen und Soldaten oder zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur traumatherapeutisch behandelt. Sie können auch an einer Gruppentherapie teilnehmen, bei der die Betroffenen gemeinsam die skizzierten moralischen Konflikte und die Veränderungen in Wertesystemen besprechen.
Diese Arbeit findet mit Unterstützung und Begleitung der Militärseelsorge statt, da sich der interdisziplinäre Austausch hier als sehr nützlich erwiesen hat.
Zur Unterstützung der therapeutischen Arbeit ist auch eine Graphic Novel mit dem Titel „Verwundet“ erarbeitet worden, die die Veränderungen rund um moralische Verletzungen in leicht verständlicher Form aufbereitet. Bei Interesse können Sie diese per E-Mail bestellen.
Inzwischen ist die Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBSPosttraumatische Belastungsstörung, eine bekannte Erkrankung. Weniger bekannt, aber von ebensolcher Bedeutung, sind die moralischen Verletzungen. Hierunter werden Erfahrungen verstanden, bei denen tiefverwurzelte moralische Überzeugungen und Erwartungen eines Menschen erschüttert werden.
Die medizinische Versorgung dieser äußerlich nicht sichtbaren Verletzungen ist im Psychotraumazentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin aktueller Forschungsgegenstand. Das Erkrankungsbild betrifft häufig Soldatinnen oder Soldaten, die in einem Auslandseinsatz waren und dort mit Situationen konfrontiert wurden, die ihre, meist anerzogenen, sozialisierten Wertevorstellungen, auf den Kopf stellen. Situationen, an denen sie entweder selbst teilgenommen haben oder sie nicht verhindern konnten oder durften. Auch Zeugin oder Zeuge zu sein oder indirekt davon zu erfahren kann als Auslöser für eine Erkrankung bereits ausreichen.
Stell Dir vor…
Du bist als Soldatin oder Soldat im Auslandseinsatz auf Patrouillenfahrt unterwegs mit deinen Kameraden und Kameradinnen. Unmittelbar bekommst du mit, wie Frauen und Kinder am Wegesrand geschlagen werden und um ihr Leben fürchten müssen. Menschen mit einem stabilen Werteempfinden möchten hier im Normalfall unbedingt schützen und helfen. Der militärische Auftrag lässt es aber nicht zu, hier einzugreifen. Und das wird zum inneren Konflikt. Im Laufe der Zeit kann dies für dich zu einem ausgewachsenen Problem werden, dessen Ursache eine moralische Verletzung war.
Wo liegt der Unterschied zu einer PTBSPosttraumatische Belastungsstörung?
Das eine schließt, wie so oft, das andere nicht aus, der Unterschied liegt jedoch im Auslöser der Erkrankung. Während eine PTBSPosttraumatische Belastungsstörung durch eine unmittelbar lebensbedrohliche Situation ausgelöst wird, reichen für moralische Verletzungen nicht selten auch schon Situationen des Alltags, die aber tief verwurzelte Werte und Überzeugungen in Frage stellen. Oft münden sie in Symptome wie Scham- und Schuldgefühle, die oft auch einen starken Zorn verursachen, beispielsweise begründet durch Fehlentscheidungen.
Die Kernsymptome jedoch ähneln sich. „Erfahrungsgemäß“, so Oberstarzt Prof. Dr. Zimmermann, „gehen moralische Verletzungen jedoch häufiger mit Depressionen, Sucht und sogar Suizidalität einher.“ Oft kommen die Soldatinnen und Soldaten mit für sie unklaren Symptomen wie Grübeln, Alpträumen und Schlaflosigkeit erst Jahre nach dem auslösenden Moment in die Behandlung und Therapie. Dies liegt unter anderem daran, dass der Verletzte die Verletzung als solche nicht gleich erkennt. Prävention und rechtzeitiges Erkennen einer psychischen Erkrankung sind das A und O.
Sie sind selbst betroffen oder wollen helfen?
Als Betroffene oder Betroffener erfahren Sie hier mehr zu den Hilfsangeboten der Bundeswehr für Einsatzgeschädigte. Professionelle Helfer finden Informationen zum Umgang mit PTBSPosttraumatische Belastungsstörung und relevante Ansprechpartner.
Fragen Sie die Experten
Die Klinischen Direktoren der Kliniken für Psychiatrie und Seelische Gesundheit an den Bundeswehrkrankenhäusern sind Ihre Ansprechpartner, wenn Sie fachliche Fragen zur Behandlung von psychischen Erkrankungen haben.
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Bundeswehr/Thio Pulpanek
Oberstarzt Dr. med. Gerd Willmund
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin, kommissarischer Leiter Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie
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Bundeswehr
Oberstarzt Dr. med. Helge Höllmer
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Zentrum für seelische Gesundheit.
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Bundeswehr/Andreas Weidner
Oberstarzt Dr. med. Ursula Simon
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik VI - Psychiatrie und Psychotherapie.
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Oberstarzt Dr. med. Frank J. Reuther
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotraumatologie