Militärrabbiner: „Wir schreiben hier Geschichte“
Militärrabbiner: „Wir schreiben hier Geschichte“
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 4 MIN
Die jüdische Militärseelsorge wächst: Rabbiner Shmuel Havlin ist einer von derzeit fünf Militärrabbinern bei der Bundeswehr und für knapp 60 Dienststellen in Norddeutschland – in den Bundesländern Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern – zuständig. Anzutreffen ist der gebürtige Israeli unter anderem in seinem Büro an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.
„Wir schreiben hier Geschichte. Das hat mich tief betroffen und angesprochen“, sagt Rabbiner Shmuel Havlin. Deshalb musste der jüdische Gelehrte auch nicht lange überlegen, als er vom Militärbundesrabbiner Zsolt Balla gefragt wurde, ob er sich als Rabbiner für die Bundeswehr bewerben möchte. Doch was hat Shmuel Havlin überhaupt bewogen, nach Deutschland zu kommen? „Im Juli 2012 bin ich mit meiner Familie aus Israel nach Hamburg gezogen. Damals hatte sich die Jüdische Gemeinde Hamburg an mich gewandt und gefragt, ob ich als Vorbeter in der Hauptsynagoge in Hamburg tätig sein möchte.“ Er sagte zu und arbeitete zudem parallel als Schulrabbiner im Joseph-Carlebach-Bildungshaus in Hamburg.
Jüdische Werte und Traditionen
Zehn Jahre war er für die Jüdische Gemeinde in Hamburg tätig, bevor er mit seiner Familie nach Bremen zog. Kontakt zu Soldaten hatte Shmuel Havlin in den Jahren immer mal wieder – sei es durch Neujahrsempfänge oder Veranstaltungen im Bundeswehrkrankenhaus oder an der Führungsakademie der Bundeswehr. Dann kam die Anfrage als Militärrabbiner: „Das klingt sehr interessant und es ist eine Gelegenheit, an etwas teilzuhaben, was gerade aufgebaut wird.“
Niemals hätte er zuvor daran gedacht, zur Bundeswehr oder einer Armee zu gehen. „Das gab es damals nicht. Das kam eigentlich für Juden gar nicht in Frage.“ Umso neugieriger war er auf seinen neuen Arbeitgeber. Sein Büro hat Havlin im Gebäude 5 Raum 4 in der Clausewitz-Kaserne in Hamburg. Doch was macht ein Rabbiner überhaupt? „An erster Stelle steht zwar die Unterstützung jüdischer Soldaten bei der Religionsausübung, aber ich stehe jedem Soldaten zur Verfügung, egal welcher Religion er angehört.“ Im vergangenen halben Jahr klingelte oft sein Telefon. Häufig ging es den Anrufern darum, mehr über das Judentum zu erfahren. „Für viele Bundeswehrangehörige ist es das erste Mal, dass sie mit einem Juden oder einem Rabbiner sprechen oder ihn treffen“, sagt Havlin.
Verständnis von Vorgesetzten
Konkrete Zahlen, wie viele jüdische Soldatinnen und Soldaten in den Dienststellen in Norddeutschland beschäftigt sind, gibt es nicht. „Ich habe aber schon ein paar getroffen“, sagt Havlin. Einige von ihnen sind bereits mit konkreten Fragen auf ihn zugegangen. So ging es meist um die Ausübung der Religion im Berufsalltag oder im Einsatz und um die Beschaffung von koscherem Essen und die Einhaltung des Schabbats, dem Ruhetag, der am Freitag mit Sonnenuntergang beginnt und bis Samstagabend dauert. „Uns ist es wichtig, dass Verständnis da ist. Wenn sich ein Vorgesetzter damit beschäftigt, dann versteht er, dass es ein religiöses Bedürfnis gibt und weiß auch, dass er sich bei Fragen an uns wenden kann.“ Im Alltag soll die Religion ausgeübt beziehungsweise ermöglicht werden. Im Einsatz wird die Religion ebenfalls ausgeübt, aber eben anders – „Das hängt von Fall zu Fall ab.“
Der Lebenskundliche Unterricht (LKULebenskundlicher Unterricht) oder die Lebenskundlichen Seminare (LKSLebenskundliches Seminar) sind weitere Aufgaben des Rabbinats. Alle Interessierten aus dem Verantwortungsbereich können sich dafür an das Rabbinat wenden. Für Havlin ist es ein „Berührungspunkt, um mit Soldaten ins Gespräch zu kommen.“ Er sieht es als eine große Bereicherung an und auch als eine gute Möglichkeit, um in den verschiedenen Standorten präsent zu sein. „Wenn ich zu einem LKULebenskundlicher Unterricht komme, dann versuche ich immer früher da zu sein und länger zu bleiben. Ich möchte Menschen die Gelegenheit geben, mit mir persönlich zu reden.“
Ethische Grundfragen
Die Themen der LKUs, die mit der Zentrale des Militärrabbinats abgestimmt sind, variieren: So ging es in einem der Unterrichte beispielsweise um „Inklusion von Minderheiten“, auch in Bezug auf die Invictus Games vom 9.-16. September 2023 in Düsseldorf, oder um „Sport für Körper und Geist“. In beiden werden ethische Grundfragen diskutiert. Wenn das von den Soldaten gewünschte Thema zum Beispiel Religion in der Gesellschaft oder Toleranz und Vielfalt ist, wird auch der jüdische Kalender thematisiert: „An manchen Tagen dürfen wir aus religiösen Gründen nicht arbeiten. Deshalb geben wir bei jedem Gespräch auch den Kalender heraus. Während der Schabbat und an Feiertagen mit Arbeitsverbot gibt es eine Notfallnummer von der Zentrale des Militärrabbinats in Berlin.“
Schon immer habe er sich dafür interessiert, zu unterrichten. Warum? „So kann ich gegen Vorurteile und Unwissenheit kämpfen“, sagt der Rabbiner und ergänzt: „Die ersten Berührungspunkte mit dem Judentum zu schaffen, ist eine große Verantwortung und gleichzeitig eine große Herausforderung. Das mag ich.“
Jeden Tag ein kleiner Rundgang
Egal ob es Kinder in der Schule oder Bundeswehrsoldaten sind: „Wenn ich die Gelegenheit habe mit Leuten zu lernen, ist es mir egal, unter welchen Rahmenbedingungen das stattfindet. Natürlich ist die Bundeswehr ganz anders als eine Schule, in der Kinder unterrichtet werden und alle aus derselben Stadt kommen. Es ist eine große Gelegenheit. Die Bundeswehr ist eine heterogene Gruppe – die Soldaten kommen aus allen Ecken und das schafft eine schöne Diskussion. Es ist eine große Bereicherung.“
Und weil er gerne mit Menschen ins Gespräch kommt, versucht Shmuel Havlin jeden Tag einen kleinen Rundgang in der Clausewitz-Kaserne zu machen. „Trauen Sie sich, Fragen zu stellen. Ich freue mich genauso darauf wie Sie.“