Jüdische Militärseelsorge

Matze und Manöver

Matze und Manöver

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

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Frau Major Anne R. ist Soldatin bei der Bundeswehr und Jüdin. Ausgebildet als Feldjäger und Offizierin, verbindet sie Dienst und Religion. Den Aufbau der Jüdischen Militärseelsorge verfolgt sie sehr genau. Wie auf ihre Bedürfnisse als praktizierende Jüdin Rücksicht genommen wird, erzählt sie hier.

Eine Soldatin in Uniform und ein Mann mit Kippa, der per Federkiel in eine Pergamentrolle schreibt

Ein Sofer, ein Tora-Schreiber, hat die Torarolle des Militärrabbinats in Berlin fertig geschrieben. Zur Tradition gehört, dass Beteiligte und Gäste, hier Frau Major Anne R., für einzelne Buchstaben Pate stehen.

Bundeswehr/Gregor Matthias Zielke

„Für mich ist das heute ein ganz besonderer Tag. Denn dabei gewesen zu sein, wenn die Räumlichkeiten des Militärrabbinats mit einer Tora eingeweiht werden, ist für uns jüdische Soldaten ein Meilenstein“, sagt Frau Major R.* Drei der jüdischen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, darunter die 37-Jährige, haben an der Torarolle, dem auf zwei Holzstäben aufgewickelten Pergament für das Militärrabbinat, mitgewirkt. 

Frau Major R. ist Offizierin bei den Feldjägern, der Militärpolizei der Bundeswehr. Wenn man mit ihr spricht, fällt es sofort auf: Deutschlands Vergangenheit und seine Wandlung in eine Demokratie und wie diese Werte geschützt und verteidigt werden können, sind Themen, die sie sehr beschäftigen. 

Als Jüdin zur Bundeswehr – Familie und Land schützen

Nach der jüdischen Grundschule hat die Berlinerin das Moses-Mendelssohn-Gymnasium in Berlin-Mitte besucht. Dort wurde interkulturelle Kompetenz jeden Tag gelebt: „Es gab jüdische und nichtjüdische Kinder, Ost- und Westkinder und Zugezogene aus anderen Ländern“, erinnert sie sich an ihre Schulzeit.

Die Entscheidung, als Soldatin zur Bundeswehr zu gehen, kam dann für viele ihrer jüdischen Mitschülerinnen und -schüler sowie Lehrer doch überraschend: „Die Familie und mein Land schützen – das war für mich ausschlaggebend für meine Jobentscheidung. In der Schule habe ich natürlich vieles über die Entrechtung der Juden während der Nazizeit gelernt und Stück für Stück über das Grundgesetz erfahren – das hat mich darin bestärkt, für dieses Land einzustehen und eine Brücke zu schlagen zwischen Jüdinnen und Juden sowie der Mehrheitsgesellschaft“, erzählt sie.

Eine blonde Frau vom Dienstgrad Major ohne Kopfbedeckung im Dienstanzug

Frau Major Anne R. dient seit 2009 bei der Bundeswehr

Bundeswehr/Marc Bienek

Im Jahr 2006 legte sie das Abitur ab und startete bei der Bundeswehr ihre Offizierlaufbahn. „Menschen zu helfen, sich und andere zu schützen, das war tatsächlich mein Beweggrund, mich für die Streitkräfte zu entscheiden“, so Frau Major. Der Wertekompass der Soldaten sei schon etwas Besonderes. „Einen Job zu tun, der etwas bewirkt und Werte zu leben sowie zu verteidigen, das fühlt ein Großteil der Soldaten sehr bewusst“, so die Soldatin. Schon als Kind ging sie in Synagogen und trat mit 14 Jahren zum jüdischen Glauben über.

Ab 2006 diente sie im Offizieranwärterbataillon in Munster, begann 2007 ihre Offizierausbildung und sie studierte Politikwissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg.

In diese Zeit fallen auch ihre ersten Erfahrungen als praktizierende Jüdin bei der Bundeswehr: „2007 war mein erstes Pessach als Soldatin. Damals gab es eine Urlaubssperre aufgrund eng getakteter Ausbildungsvorhaben, doch man hat mir Urlaub wegen des jüdischen Feiertags genehmigt“, erinnert sie sich. „Das hat mich als junger Offizieranwärter sehr beeindruckt, dass man da so sehr auf meine Bedürfnisse Rücksicht genommen hat.“ Mit ihren Kameradinnen und Kameraden habe sie ihre Matze, das säuerliche Brot, das Juden zu Pessach essen, geteilt. Ressentiments oder Vorurteile habe sie im Dienst nie erlebt. 

Aufbau der Jüdischen Militärseelsorge

Als Jüdin bei der Bundeswehr verfolgt sie in diesen Tagen den Aufbau der Jüdischen Militärseelsorge mit viel Interesse. Denn Aufgabe des Militärrabbinats, das gerade an seinem neuen Ort in Berlin-Mitte eingeweiht wurde, ist es auch, jüdische Soldatinnen und Soldaten bei der Religionsausübung im Dienst zu unterstützen – von der Verpflegung bis zu den Feiertagen. Seit Sommer 2021 wird das Militärrabbinat aufgebaut. Es bietet Militärseelsorge vor allem für jüdische Soldatinnen sowie Soldaten und Lebenskundlichen Unterricht für alle Kameradinnen und Kameraden an.

Immer wieder wird sie auch mit „Suum cuique“, lateinisch für „Jedem das Seine“, konfrontiert. Der Wahlspruch der Feldjäger war in der jüngeren Vergangenheit in die Kritik geraten, denn die Nationalsozialisten brachten ihn am Eingang zum Konzentrationslager Buchenwald an. Anne R. hat dazu eine klare Meinung: „Das ist ein 2.000 Jahre alter Spruch Platons, der durch die Nazis pervertiert wurde, das Sinnstiftende des Spruches ist viel älter. Ich finde es zielführender, an Missbrauch und Pervertierung zu erinnern und es zu besprechen, um in der Diskussion zu bleiben.“

Religiösen Pflichten im Dienst

Besondere Herausforderung für Soldatinnen und Soldaten unterschiedlicher Religionen ist es, Feiertage und religiöse Rituale auch bei Manövern sowie im Auslandseinsatz mit dem Dienst in Einklang zu bringen. „Eine sehr aufregende, prägende Zeit war für mich mein Dienst beim Deutsch-Niederländischen Korps in Münster“, erzählt sie. An Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, war eine große Übung geplant. An diesem Tag essen und trinken jüdische Menschen nichts. Doch trotz laufender Übung durfte ich mich zurückziehen und beten, für diese Möglichkeit bin ich heute noch sehr dankbar. Die religiösen Pflichten im Einverständnis mit den Vorgesetzten wahrzunehmen, ohne den Dienst zu beeinträchtigen, das ist manchmal ein Balanceakt“, sagt sie. 

Eine Soldatin in Uniform klatschend während einer Prozession mit mehr Soldaten und Kippatragenden

Die jüdische Soldatin, Frau Major Anne R., war dabei, als am 4. Juli 2024 die Torarolle der jüdischen Militärseelsorge ins Militärrabbinat gebracht wurde

Bundeswehr/Gregor Matthias Zielke

Im Bund jüdischer Soldaten e. V.eingetragener Verein, der Interessensvertretung innerhalb der Bundeswehr, ist Frau Major R. aktiv. „Wir haben als jüdische Soldatinnen und Soldaten lange daran gearbeitet, einen Militärrabbiner zu haben, und ich habe mich riesig gefreut, als die Jüdische Militärseelsorge gegründet wurde“, erzählt die Soldatin. Für die Zukunft wünscht sie sich, dass die Jüdische Militärseelsorge immer selbstverständlicher wahrgenommen und zu einer festen Institution wird, wie es auch die Evangelische und die Katholische Militärseelsorge sind. 

*Name zum Schutz abgekürzt.

von Cornelia Riedel

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