Goldgräberstimmung und Wende-Frust

Goldgräberstimmung und Wende-Frust

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
2 MIN

Jemand in der Berliner Kirchenleitung musste sich um die Wehrpflichtigen kümmern – und das sollte am besten ein Jurist sein. Was sich heute überraschend liest, war in der realsozialistischen Welt von 1986 durchaus rational.

Hermann-Kunst-Medaille für Detlef Rückert links

Hermann-Kunst-Medaille für Detlef Rückert links

Walter Linkmann

Detlef Rückert, Jurist im Konsistorium, übernahm die Verantwortung für den Kontakt zu den jungen Männern, die durch den Dienst bei den Bausoldaten, durch ihre Gewissensentscheidung gegen den Wehrdienst oder durch die Totalverweigerung in Schwierigkeiten kamen. Da ging es auch um handfeste Rechtsberatung. „Wenn auf den Fluren des Konsistoriums Leute saßen, wie man sie in dieser Kirchenbehörde normalerweise nicht sah, wussten wir, dass wieder Einberufungszeit war.“ Vielen von ihnen konnte geholfen werden, oft durch vertrauliche Briefe an den Staatssekretär für Kirchenfragen. „Die Gespräche hatten aber auch einen ganz starken seelsorgerlichen Aspekt“, erinnert sich Rückert.

Nach der Wende kam er zum Bund der Evangelischen Kirchen und lernte dort einen ganz neuen Aspekt des Themas kennen. Die Verantwortlichen der „alten“ Bundeswehr kannten und schätzten die Militärseelsorge, den Kirchen in den neuen Bundesländern war dies Konzept fremd. Man einigte sich darauf, dass es zunächst keinen Vertrag wie im Westen geben sollte, sondern dass Seelsorge an Soldaten eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinden war. Detlef Rückert sammelte Geistliche, die sich hier engagierten, zu regelmäßigen Treffen und hielt den Kontakt zur Militärseelsorge in den alten Bundesländern, wo er auch an großen Veranstaltungen teilnahm. „Auf der Gesamtkonferenz in Friedrichshafen sollte ich direkt nach Karl Carstens sprechen, das war eine ganz neue Erfahrung.“

Im Foyer des Kirchenamtes in Berlin

Im Foyer des Kirchenamtes in Berlin

Walter Linkmann

Ende der 90er wurden im Osten mit der Berufung des ersten „Bevollmächtigten für die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den Neuen Bundesländern“ Strukturen für eine Militärseelsorge innerhalb der Bundeswehr geschaffen und seit 2004 gilt der ehemals westdeutsche Militärseelsorgevertrag von 1957 im gesamten Bundesgebiet. Rückert blickt auf eine politisch bewegte Zeit zurück. Da gab es die Freude, Dinge mitgestalten zu können: „Man konnte ja damals alles machen, es war eine regelrechte Goldgräberstimmung.“ Später kam bei vielen die Ernüchterung, manches Mal sogar eine deutliche Entfremdung von den Kirchen, die nicht mehr so erlebt wurden wie noch zu DDR-Zeiten. Im Rückblick verliert manche noch so hitzige Diskussion ihre Substanz: „Man hätte sich gut zehn, zwölf Jahre Ärger sparen können.“

Für seine Verdienste um das Zusammenwachsen der Evangelischen Militärseelsorge nach der Wiedervereinigung hat Militärbischof Dr. Bernhard Felmberg Oberkirchenrat Detlef Rückert jetzt die Hermann-Kunst-Medaille der Evangelischen Militärseelsorge verliehen.

von Walter Linkmann