Lebenskundlicher Unterricht im Feld
Lebenskundlicher Unterricht im Feld
- Datum:
- Ort:
- Pabrade
- Lesedauer:
- 2 MIN
Mit einem kräftigen Hauruck drehen die beiden Kameraden einen Tisch hochkant, die Tischbeine wie Tierfüße nach hinten ausgestreckt, baut sich vor mir lebensgroß die Tischfläche als Tafel auf. „Et Voilà - Da haben Sie Ihre Flipchart-Wand!“, ruft mir einer der beiden zu und klebt sogleich A3-Blätter darauf.
Nicht erst hier auf der Übung habe ich gelernt, dass Soldaten Improvisationskünstler sind. Der Rest des Zuges sitzt schon diszipliniert an den Tischen im Speisezelt, in dem es immer noch nach Mittagessen riecht. Ich merke schnell, dass ich lauter sprechen muss, um gegen den Heizlüfter anzukommen, der durch einen voluminösen Schlauch Sommerhitze ins Zelt schießt. Die T-Shirt-Temperatur lässt einen glatt den baltischen Frühling mit seinen Minusgraden vergessen.
Ethische Bildung steht auf dem Lehrplan. Auf Übung in Litauen geht es nun für die Uniformierten um die Frage „Was schützen wir hier in Litauen?“ Für mich gibt es keinen besseren Ort, um das Pflichtthema der Jahresweisung zur Persönlichkeitsbildung „Abschreckung und Verteidigung im 20. Und 21. Jahrhundert“ zu unterrichten. Denn wo wird diese Fragestellung für die Kameradinnen und Kameraden so virulent wie hier, auf dem Truppenübungsplatz in Pabrade, 13 km vor der Grenze zu Belarus?
In regen Diskussionen geht es um all das, was auf dem Spiel steht. Zwischen den beiden Impro-Flipcharttischen, die als Rauminstallationen für eine Kunstausstellung taugen, finde ich mich – hin und herspringend – wieder, um die Unterscheidungsmerkmale, Kriterien, Indikatoren von Demokratie versus Diktatur aufzuschreiben, die von den Expertengruppen zugerufen und erklärt werden. Fixiert auf die Inhalte der Ausführungen, stolpere ich über eins der vielen Maschinengewehre im Raum, wie die Teilnehmenden über manche Fragestellung. Es war vorschriftsgemäß verstaut, nur mein Sprung unachtsam.
Jeder von uns muss hier stolpern. Dafür sind ethische Fragestellungen da, denn die Lage ist nicht so übersichtlich wie die Unterscheidungsmerkmale unterschiedlicher Systeme. Diskrepanzen machen den Diskurs lebendig. Über die Bedeutung demokratischer Werte und soldatischer Tugenden in der Landes- oder Bündnisverteidigung, über die Werte, für die wir zu kämpfen bereit sein müssen, sind sich am Ende alle einig, auch darüber, dass wir uns den Sinn unseres beruflichen Handelns gar nicht oft genug im Lebenskundlichen Unterricht bewusst machen können, denn dieser Sinn macht uns stark, alles zu ertragen.