Kriegsgräber

„Der Ruf nach Frieden war nie dringender“

„Der Ruf nach Frieden war nie dringender“

Datum:
Ort:
Litauen
Lesedauer:
4 MIN

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Der Friedhof von Kaunas hat eine bewegte Historie. Doch die Einbettung des einmillionsten Kriegstoten im Osten, den der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.eingetragener Verein nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geborgen hatte, ist sicher ein Höhepunkt seiner Geschichte.

Zwei Pfarrer stehen an einer offenen Grabstelle

Beinahe 80 Jahre nach seinem Tod findet der Sanitätsgefreite Max Beyreuther seine letzte Ruhe in Litauen.

Silvija Mikalauskaitė / Volksbund

Rund 150 Trauergäste versammelten sich bei strahlendem Sonnenschein auf der deutschen Kriegsgräberstätte Kaunas. Junge Frauen und Männer waren dabei, die nach Litauen gekommen waren, um sich in einem Workcamp auf die Spuren der osteuropäischen Geschichte zu begeben. Eine Reisegruppe des Volksbund-Bezirksverband Unterfranken hatte Kaunas als Station in ihre Route mit aufgenommen.

Armeemarsch für Sanitätsgefreiten

Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Botschaft, der Streitkräfte, des litauischen Kulturwerteschutzdienstes (der Partnerorganisation des Volksbundes), Medienvertreter und zahlreiche Besucherinnen und Besucher aus der Region trafen auf der Kriegsgräberstätte zusammen, um rund 80 Tote zu bestatten.

Pünktlich um elf Uhr bat Arne Schrader, Leiter der Volksbund-Abteilung Kriegsgräberdienst, die Gäste, sich für den Einzug der Ehrenformation der Bundeswehr zu erheben. Das Heeresmusikkorps Koblenz spielte unter der Leitung von Hauptmann Holger Kolodziej den Armeemarsch, den Prinzessin Marie-Elisabeth von Sachsen-Meiningen komponiert hatte.

Eine Million seit 1992 geborgen

Das Musikstück erklang zu Ehren des Sanitätsgefreiten Max Beyreuther, gebürtig aus Sachsen-Anhalt, der vor seinem Einsatz in Litauen im Zweiten Weltkrieg in Meiningen in Garnison gelegen hatte.

Ihn hatte der Volksbund im vergangenen Jahr im litauischen Kelme exhumiert und symbolisch zum einmillionsten geborgenen Kriegstoten erklärt – gezählt ab 1992. In dem Jahr hatte für den Volksbund mit Abschluss des Kriegsgräberabkommens mit der Russischen Föderation ein neues Kapitel begonnen.

Letzten Dienst erweisen

In Kaunas wurde Max Beyreuther nun eingebettet. Detlef Fritzsch, stellvertretender Volksbundpräsident, erinnerte an den Auftrag der Kriegsgräberfürsorge, den Gefallenen ein würdiges Grab zu geben, und sprach vom letzten Dienst, der einem Menschen zu erweisen sei. Der Ruf nach Frieden, der von den Kriegsgräbern ausgehe, so Fritzsch, „war nie dringender und wichtiger als in unseren Tagen“.

Zwei Pfarrer und eine Dolmetscherin während der Andacht

Oberkirchenrat i. R. Helmut Hofmann und Marvin Döbler leisteten geistlichen Beistand.

Silvija Mikalauskaitė / Volksbund

Inschrift lesen, pflegen, besuchen

Professor Valdas Rakutis, Mitglied des Seimas (litauisches Parlament), erinnerte an die Verbindungen zwischen der deutschen und der litauischen Geschichte. Erinnerung, betont er, werde nicht durch ein Denkmal lebendig, sondern erst dann, wenn seine Inschrift gelesen, wenn es gepflegt und wenn es besucht werde.

Der Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries (CDUChristlich Demokratische Union) lobte die Volksbund-Arbeit, die durch Schicksalsklärungen in die Vergangenheit zurückgreife, aber auch durch internationale Workcamps und Jugendbegegnungen den Weg in eine friedlichere Zukunft weise. De Vries ist Vorsitzender einer der traditionsreichsten Arbeitsgruppen der Unionsbundestagsfraktion: der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten, gegründet 1949.

Der Parlamentarier gehört zur „Enkelgeneration“, die sich intensiv – auch bedingt durch familiäre Bindungen – mit der Geschichte der Deutschen in Mittel- und Osteuropa beschäftigt. Dazu gehört auch die wechselvolle Geschichte Litauens, die durch zwei Gewaltherrschaften gekennzeichnet ist.

Einbettung der Toten

Der ergreifendste Teil der Veranstaltung war für viele sicher die Übergabe von zehn Särgen zur Einbettung an die Umbetter, die sie behutsam entgegennahmen. Unter ihnen waren ehemalige Kollegen: Peter Lindau, der viele Jahre Umbettungsleiter in der Russischen Föderation gewesen war, und Norbert Spiess, zuständig für Polen und später für Kursk, Hans-Ulrich Schrader (für die Ukraine) und Wolfgang Brast (für Weißrussland). Dazu wurde Händels Trauermarsch aus dem Oratorium „Saul” gespielt.

Zehn Ehrengäste reichten die Särge an, unter anderem Vertreter der litauischen und der deutschen Streitkräfte, Geschäftsträger Dr. Rüdiger Zettel von der deutschen Botschaft, eine Workcamp-Teilnehmerin, Christoph de Vries, Detlef Fritzsch, Christoph Scheibling und ein Teilnehmer der Reisegruppe. Die Namen der bisher bekannten fünf Toten wurden verlesen.

Nachricht, die sich nicht aufhalten lässt

Oberkirchenrat i. R. Helmut Hofmann und Marvin Döbler leisteten geistlichen Beistand. Döbler ist Militärpfarrer des deutschen Einsatzkontingents der multinationalen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Battlegroup im litauischen Rukla. Er berichtete aus der eigenen Familiengeschichte von seiner Großmutter, die – nachdem weder eine richtige Anzeige noch eine Trauerfeier möglich waren – durchsetzte, dass der Name ihres Vaters in ihrer neuen Heimat auf den Gedenkstein des Volksbundes gesetzt wurde.

So kam der Militärgeistliche auf den Sinn von Denkmälern und Gedenken zu sprechen: „Menschliches Erinnern ist nur sinnvoll, wenn das Vergangene tatsächlich existiert. Zeit vergeht und ist nicht mehr. Aussagen über das Vergangene wären somit sinnlos. Also muss es etwas geben, das die Vergangenheit bewahrt. Das kann nur außerhalb der Zeit gedacht werden, Hans Jonas nennt es Ewigkeit, unsere Tradition nennt es Gott. Namen und Gedenksteine, menschliches Gedenken, die Zeit vergehen. Bei Gott aber sind unsere Namen eingeschrieben.“

Niedergekniet zum Abschiednehmen

Nach dem Segen steckten die Jugendlichen und die Mitglieder der Reisegruppe Gedenkkreuze an den Rand der offenen Grabreihe. Eine betagte Dame kniete vor dem Grab nieder. Ihr Vater sei in Litauen gefallen und sie wolle symbolisch an diesem Tag Abschied von ihm nehmen. „Ich weiß nicht, ob ich noch einmal nach Litauen reisen kann. Deshalb möchte ich mich jetzt von meinem Papa verabschieden“, sagte sie mit Tränen in den Augen.

Nach dem Niederlegen deutscher und litauischer Kränze wurden das Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“, die Nationalhymnen beider Nationen und „Großer Gott wir loben dich“ gespielt. Mit dem Ausmarsch der Ehrenformation ging die Veranstaltung zu Ende.

von Diane Tempel-Bornett

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