80 Jahre Landung der Alliierten in der Normandie
80 Jahre Landung der Alliierten in der Normandie
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- SHAPE
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Zum zweiten Mal durfte ich an den Feierlichkeiten zum D-Day in der Normandie teilnehmen, und gerade das runde Jubiläum machte deutlich, dass dies nicht selbstverständlich ist.
Es ist gerade einmal 20 Jahre her, dass erstmals ein deutscher Kanzler eingeladen war, nämlich 2004 Gerhard Schröder, gemeinsam mit Wladimir Putin übrigens, der ebenfalls erstmalig teilnahm. Noch 1984 hatte sich Kanzler Helmut Kohl mit der Bemerkung, wie er denn an einem Ort feiern solle, an dem zehntausende deutsche Soldaten gefallen seien, darüber echauffiert, nicht eingeladen worden zu sein, denn in jenem Jahr fanden die Feierlichkeiten zum ersten Mal im großen Rahmen statt.
Denn zuvor hatte sich Frankreich wenig für den D-Day interessiert, zum einen wegen mangelnder Beteiligung an der Vorbereitung durch die Westalliierten und zum anderen, da der französische militärische Beitrag 1944 gegenüber dem der Alliierten naturgemäß klein ausgefallen war. 2014 noch, nach der Annexion der Krim durch Russland, versuchte man, in der Normandie zu vermitteln. Das damals dort begründete „Normandie-Format“, bestehend aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine, traf sich zuletzt im Februar 2022, kurz vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine.
So war der D-Day immer auch ein politisches Format, aber wer hätte gedacht, dass das 80-jährige Jubiläum unter dem Vorzeichen des Krieges in der Ukraine stehen würde? Und so geriet die große internationale Gedenkfeier mit 26 Staatsoberhäuptern auch zu einer Solidaritätsveranstaltung für die Ukraine und ihren anwesenden Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Besonders bewegend auch der Moment, als Selenskyj einen der anwesenden Veteranen als „Helden“ ansprach, worauf dieser erwiderte „Nein, Sie sind ein Held!“
Aber auch die bilaterale französisch/USUnited States-amerikanische Feier war hochpolitisch aufgeladen. „Freedom is not for free“, sagte der amerikanische Präsident Joe Biden, „and the price of freedom can be seen here on this battlefield“, rief er, auf den Soldatenfriedhof Colleville-sur-Mer weisend, auf welchem fast 10.000 amerikanische Gefallene der Schlacht um die Normandie liegen.
„Ihr kommt aus einer anderen Kultur, habt eine andere Fahne und eine andere Sprache, aber dennoch seid ihr über den Atlantik gekommen, um uns zu befreien“, antwortete der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in seiner Ansprache und fügte im Blick auf die Ukraine hinzu: „Nun ist es an uns, zu handeln!“
Das war auch der Tenor der zentralen deutschen Veranstaltung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf dem Soldatenfriedhof in La Cambe, auf dem über 20.000 deutsche Soldaten bestattet sind. Der Präsident des Volksbundes, Generalinspekteur a.D. Wolfgang Schneiderhan, und Botschafter Stephan Steinlein wiesen beide auf die Verantwortung hin, die aus der Geschichte für die Zukunft erwächst, damit sich solches nicht wiederholen kann.
Trotz all dieser großen Namen und beeindruckenden Zeremonien waren es aber die kleineren Gedenkfeiern, die bei mir einen tieferen und bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Exemplarisch will ich drei nennen:
1. Das abendliche Entzünden der Gedenklichter in der Chapelle de Cauquiny, die im Volksmund auch „Fallschirmspringerkapelle“ genannt wird. Vom 6. bis 9. Juni 1944 wurde hier zwischen den Deutschen und der 82nd Airborne Division heftig gekämpft. Ein Kirchenfenster ist dem hier gefallenen Militärpfarrer Ignatius Maternowski gewidmet. Zum Jubiläum war die 82nd Airborne Division durch ihrem großartigen A-capella-Chor vertreten und als der katholische Priester, der die Zeremonie leitete, mich als Evangelischen Militärpfarrer erkannte, bat er mich an den Altar, um ein spontanes Grußwort zu sprechen. Am Schluss spendeten er, der USUnited States-Chaplain und ich gemeinsam den Segen für eine aus vielen Nationen bestehende Gemeinde. So sieht Versöhnung aus!
2. Das Kriegsgefangenenlager in Foucarville: In dem idyllisch nahe bei Sainte-Mere-Eglise gelegenen Dorf Foucarville, das damals wie heute nur wenig mehr als 230 Einwohner zählt, waren nach dem Ende der Kämpfe bis zu 60.000 deutsche Kriegsgefangene, hauptsächlich Offiziere interniert. Eine Stadt mit Krankenhaus, Kirchen und Werkstätten war auf freiem Gelände entstanden, an die heute nur noch ein Gedenkstein erinnert. Viel wichtiger aber als das Gedenken in Stein ist das Gedenken der Menschen. Wie im vergangenen Jahr, als ich erstmals teilnehmen konnte, war auch dieses Mal wieder eine Abordnung der Deutsch-Französischen Brigade, bei der ich meinen Dienst als Militärpfarrer begonnen habe, angetreten. Auch der Bürgermeister kennt mich schon und so bat er, der laizistische Franzose, mich, den deutschen evangelischen Pfarrer, ein Gebet zu sprechen. Die Bundeswehr ist hochrangig durch Generalmajor Georg Klein aus Lille vertreten, der eine Ansprache auf Deutsch und Französisch hält. All die Unterschiede in Religion, Nation und Rang verschwinden beim anschließenden Empfang der Dorfgemeinschaft im Rathaus bei Gebäck und Champagner. Das ist gelebte Völkerfreundschaft!
3. Die Einweihung eines Kirchenfensters in der Eglise Notre Dame in Carentan war die letzte Veranstaltung vor der Heimfahrt. Auch hier durfte ich wieder mit dem Katholischen Ortsgeistlichen und einem USUnited States-Chaplain den Gottesdienst mitgestalten. Auch hier waren es wieder die Begegnungen am Rande, die die Veranstaltung so wunderbar machten, abgesehen von den musikalischen Darbietungen der 101st Airborne Division, der auch das Fenster mit Fallschirmsprungmotiven gewidmet ist. Zum einen war da eine Dame, die den Ablauf des D-Days in insgesamt 80 Meter langen Vitrinen GESTRICKT hat, einfach unglaublich (https://www.thelongestyarn.com)! Und dann noch das Gespräch mit dem Bürgermeister, der stolz erzählte, am Vortag einen 100-jährigen Veteranen und dessen 96-jährige Verlobte getraut zu haben. „Sie hat mein Leben wieder heil gemacht“, meinte der Veteran, während im Hintergrund das berühmte Lied der Widerstandskämpferin Josephine Baker erklang: „J’ai deux amours: Mon pays et Paris“.
Das ging an diesem Tag, in dieser Woche des Gedenkens vielen Menschen so, auch durch die herzliche Gastfreundschaft der Normannen. Übrigens: Die Normandie ist gar nicht weit entfernt von Mons und mit schönen Landschaften und packender Geschichte reich gesegnet.
Nachtrag
Ich schreibe diese Zeilen nach den Wahlen zum Europaparlament, bei denen in vielen europäischen Staaten europafeindliche Parteien gewählt wurden. Der D-Day – und so begann dieser Artikel – war immer schon ein politischer Anlass und er macht vor allem eines deutlich: Frieden ist nur in einem geeinten Europa möglich, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten. Und dieser Friede darf nicht durch geschichtsvergessenen Nationalismus gefährdet werden. Die Bedeutung des „D“ in D-Day ist historisch nicht geklärt. Handelt es sich um eine einfache Alliteration, wie in H-Hour, oder steht ein tieferer Sinn dahinter, wie etwa Disembarkation Day oder Decision Day. Heute bedeutet D-Day vor allem: DEMOCRACY DAY!
Der Autor, Militärpfarrer Rüdiger Scholz, leitet das Deutsche Evangelische Militärpfarramt Belgien/Frankreich (SHAPESupreme Headquarters Allied Powers Europe).