Seelsorge für die Truppe
Seelsorge für die Truppe
- Datum:
- Ort:
- Bad Salzungen
- Lesedauer:
- 5 MIN
Domini sumus – Wir sind des Herrn. Die Losung steht seit den 1970er-Jahren über der evangelischen Militärseelsorge, die in 104 Militärpfarrämtern geleistet wird. Denn auch Soldaten haben das Recht auf Religionsausübung.
Der Ton ist locker und so gar nicht militärisch zackig. Das Gespräch könnte in jeder Kirchengemeinde geführt werden. Dennoch wird schnell die Besonderheit von Barbara Reicherts Dienst deutlich. Die Pfarrerin sitzt mit Stabsfeldwebel Tino Grams und Oberstabsgefreitem Stefan Jaumann im Gemeinderaum des Militärpfarramtes in der Werratal-Kaserne Bad Salzungen. Die Kaserne ist Standort des Panzergrenadierbataillons 391 der Bundeswehr.
Es geht um die Rüstzeit am ersten Adventswochenende in Eisenach. »Wer fährt mit? Könntet ihr noch gezielt Soldaten und ihre Familien einladen?«, fragt Reichert die beiden Männer in Uniform. Als zweites Thema spricht sie die Trauerfeier für einen Soldaten einer anderen Einheit des Standortes an, die sie am nächsten Tag hält. Er ist vor Kurzem verstorben, und Reichert wird mit den Kameraden am Birkenkreuz auf der Wiese nebenan des Verstorbenen gedenken. Im Anschluss plant sie Gespräche, um den Soldaten in der Trauer beizustehen.
Der Austausch mit den beiden Soldaten ist ihr wichtig. Zumal sie mit Tino Grams im Psychosozialen Netzwerk (PSNPsychosoziales Netzwerk) der Kaserne zusammenarbeitet. Der 48-Jährige ist seit 1996 Soldat und war mehr als 600 Tage im Auslandseinsatz. In Bad Salzungen ist er als »Lotse« verantwortlicher Ansprechpartner für einsatzgeschädigte Soldaten. »Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen weiß ich, mit welchen Problemen Soldaten konfrontiert werden«, sagt er und kann daher schnell und unkompliziert Hilfe vermitteln. Zum PSNPsychosoziales Netzwerk gehören neben Reichert und Grams auch Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter.
Reichert ist seit 2012 Militärpfarrerin. »Als Seelsorgerin bin ich für alle da, egal ob jemand Christ ist oder Atheist, Jude oder Moslem. Der Mensch steht für mich im Mittelpunkt«, sagt sie. Seit 1957 ist die Militärseelsorge ein eigenständiger Organisationsbereich der Bundeswehr, der außerhalb der militärischen Hierarchien besteht. »Dass ich allen Soldaten – vom Mannschaftsdienstgrad bis zum General – auf Augenhöhe begegne, ist schon einmalig in der Nato und eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg«, erklärt Reichert und ergänzt, dass sie dem Kommandeur in der Kaserne zur Zusammenarbeit zugeordnet ist. Das bedeutet, dass sie die christliche Perspektive in ihren Dienst unter den Soldaten einbringt und ethische Standpunkte bei den Vorgängen in der Kaserne oder im Einsatz im Blick hat. »Bischof Dutzmann hatte bei meiner Einführung gesagt, meine wichtigste Aufgabe sei es, nein zu sagen«, meint sie und erklärt, dass sie zum Beispiel die Möglichkeit habe, beim Kommandeur zu intervenieren, wenn ein Soldat aufgrund persönlicher Probleme vom Dienst freigestellt werden oder nicht an einer Übung teilnehmen sollte. Während Soldaten an Strukturen gebunden sind, kann sie als Pfarrerin von außen an die entsprechenden Stellen herantreten.
Zu den Aufgaben der 60-jährigen Theologin gehört neben den klassischen Tätigkeiten – Gottesdienste, Taufen oder Beerdigungen – vor allem die Seelsorge. Ihren Dienst versieht sie sowohl in der Kaserne als auch bei Truppenübungen oder im Auslandseinsatz. Sie organisiert Rüstzeiten für Soldaten und ihre Familien oder lädt in der Kaserne regelmäßig zum Bibelfrühstück ein. Jeder ist willkommen, und auch Nicht-Christen beschäftigen sich hier mit biblischen Texten oder singen Kirchenlieder. Daneben erteilt sie Lebenskundlichen Unterricht, in dem sich Soldaten mit ethischen Fragen ihres Dienstes auseinandersetzen. Stefan Jaumann nimmt regelmäßig an Angeboten der Militärseelsorge teil.
»Vor drei Jahren war ich zum ersten Mal bei einer Rüstzeit, das hat mir richtig gut getan«, meint der 44-Jährige. Seit 2012 ist er als Soldat in Bad Salzungen und gehört zur Transporteinheit. »Bei den Rüstzeiten herrscht eine Atmosphäre, bei der der Dienstgrad egal ist. Wir sind meist ›per du‹. Und unser Oberstleutnant nimmt es auch nicht krumm, wenn ich ihn beim Fußball foule oder meine Tochter dreimal hintereinander gegen ihn beim Kartenspiel gewinnt«, erzählt Jaumann.
Aber auch in einer familiär herausfordernden Zeit war Barbara Reichert für ihn Begleiterin. »Es war viel zusammengekommen: Meine Eltern waren binnen kurzer Zeit verstorben. Meine Frau stammt aus Russland, mein Schwager ist Ukrainer, eine Schwägerin lebt in Israel, sodass sich die aktuellen Krisen auch in meiner Familie abspielten«, berichtet Jaumann. »Und daneben musste ich noch Dienst tun«, ergänzt er. Die Seelsorgerin habe ihm zugehört, er konnte seinen Ballast abladen und die Konflikte verarbeiten.
Die Familien der Soldaten nimmt Reichert ebenso mit in den Blick. »Panzergrenadiere sind oft mit Ersten, die in den Einsatz gehen, und die Scheidungsraten sind hier mit die höchsten in der Bundeswehr«, erklärt die Pfarrerin und sieht sich auch als die Seelsorgerin der Angehörigen. So gibt es Unternehmungen mit den Familien, bevor Soldaten in den Einsatz gehen. Sie werden während des Einsatzes betreut, und in gemeinsamen Aktivitäten nach einem Einsatz finden die Familien wieder zueinander.
Die beiden Soldaten sind sich bewusst, dass ihr Beruf mit Gefahren verbunden ist. Bei Übungen können Unfälle geschehen, und im Einsatz können Gefahren auch für das eigene Leben entstehen. »Ich kenne keinen, der keine Angst hat«, meint Tino Grams. Eine Hilfe ist jedoch, wenn er als Dienstvorgesetzter Ruhe ausstrahlt und mit seinen Untergebenen im Einsatz Gefahrensituationen durchlebt hat. Und auch der Ukrainekrieg beschäftigt die Soldaten.
»Die Bundeswehr ist an der Ausbildung von ukrainischen Soldaten beteiligt«, erklärt Grams. »Manche haben nach der Ausbildung Kontakt gehalten, der dann plötzlich abgebrochen ist. Vermutlich, weil die ukrainischen Soldaten gestorben sind. Das lässt uns nicht kalt.« Barbara Reichert meint, dass »Soldaten im Bewusstsein leben, dass ihr Ende vorbestimmt ist und jeder Tag der letzte sein kann.«
Außerhalb von Hierarchie
Wenn Soldaten aus Einsätzen zurückkommen, bringen manche ein Paket mit, das nicht immer sichtbar ist: »Die Einsatzschädigungen reichen von Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBSPosttraumatische Belastungsstörung) über motorische Störungen nach Verletzungen bis hin zu Herzinfarkten, die im Einsatz erlitten werden«, sagt Grams. PTBSPosttraumatische Belastungsstörung kann noch Jahre nach dem Einsatz ausbrechen, wenn beispielsweise ein Silvesterknaller eine Einsatzsituation triggert. Als Lotse für Einsatzgeschädigte spricht er Probleme an und organisiert Unterstützung. Die Militärseelsorge ist für ihn hier ein verlässlicher Partner. »Soldaten können mit Menschen außerhalb der militärischen Hierarchie über ihre Probleme sprechen und sich öffnen«, erklärt er. Er selbst ist immer Soldat und auch Vorgesetzter, sodass Kameraden ihm nicht alles erzählen. Selbst in ihren Familien fällt ihnen das Reden oft schwer.
»Wo, wenn nicht in der Bundeswehr, ist Seelsorge sinnvoll«, sagt Reichert und ist dankbar dafür, dass die Kirchensteuern, die Soldaten zahlen, in die Militärseelsorge fließen. »Wenn in Krisen Politik, Diplomatie oder Wirtschaft keine Lösungen herbeiführen und aus Krisen Kriege werden, braucht es eine Instanz, die als Ultima Ratio interveniert. Und diese Instanz kann das Militär sein«, ist die Pfarrerin überzeugt.
Artikel zuerst erschienen in: „GLAUBE+HEIMAT“, Mitteldeutsche Kirchenzeitung, Nr. 35 vom 1. September 2024, meine-kirchenzeitung.de