Ethische Bildung in Zeiten von Corona
Ethische Bildung in Zeiten von Corona
- Datum:
- Ort:
- Appen
- Lesedauer:
- 4 MIN
Die Pandemie hält unser Land fest im Griff. Von Anfang an wurden Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Amtshilfe eingesetzt. Zunächst in vielen Altenheimen, später in Impfzentren und Gesundheitsämtern. Die Militärseelsorge unterstützt diese Arbeit, z. B. vor Ort in den Impfzentren, durch Gespräche und Seelsorgeangebote für die eingesetzten Soldaten. Doch kürzlich brauchte die Militärseelsorge in Appen selbst Unterstützung.
Es ist Mitte Januar. Omikron breitet sich aus. Die Zahlen in Schleswig-Holstein gehen durch die Decke. Das Virus macht auch vor der Kaserne in Appen nicht Halt. Dort werden die jungen Feldwebel der Luftwaffe ausgebildet. Doch bei den massiv steigenden Infektionszahlen müssen auch die Regeln in der Kaserne angepasst werden. So werden aus den einzelnen Hörsälen Kohorten gebildet. In geschlossenen Räumen darf nur noch der jeweilige Hörsaalleiter „seinen“ Lehrgang unterrichten.
Die neuen Regeln würden das Aus für den Lebenskundlichen Unterricht (LKULebenskundlicher Unterricht) bedeuten. Denn dieser berufsethische Unterricht wird von den Militärseelsorgern geleistet. Und die Militärpfarrer sollen natürlich nicht zu Super-Spreadern werden, wenn sie in Zeiten extremer Inzidenzen von Hörsaal zu Hörsaal wandern. Also muss eine andere Lösung her.
Für die erste Woche wurde der Unterricht ins Intranet verlegt: Die Soldaten einer Kohorte sitzen im Unterrichtsraum, der Pfarrer im Büro. Über Bild und Ton ist man miteinander verbunden. Das ist gut für den Infektionsschutz, aber schlecht für den Unterricht. Denn das direkte Miteinander und das persönliche Gespräch sind nur schwer zu ersetzen.
Also wird eine andere Lösung gesucht. Und hier unterstützt die Truppe perfekt: In wenigen Stunden wird ein Typ-I-Zelt neben der Kapelle aufgebaut. Dort soll in den kommenden Wochen der Lebenskundliche Unterricht stattfinden. Die Seitenwände werden zu den Unterrichtsstunden hochgerollt. So ist die Belüftung sichergestellt, das Infektionsrisiko minimiert. Auch für Strom und Beleuchtung ist gesorgt. Der erste Probelauf klappt. Der Seelsorger ist froh, wieder direkt und persönlich mit den Soldaten ins Gespräch kommen zu können. Und auch die Soldaten sind zufrieden: „Das ist auf jeden Fall besser, als zwei Stunden auf eine Leinwand zu starren und den Pfarrer nur aus dem Lautsprecher zu hören!“
Einzig die Temperaturen sind eine Herausforderung: Der Auftakt morgens um 7.25 Uhr startet gleich bei Minusgraden. Aber mit Kälteschutzkleidung lässt sich auch das meistern. Und zur ersten Pause wartet die Pfarrhelferin auch schon mit mehreren Kannen voll heißem Kaffee. So kann die ethische Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten auch in Pandemie-Zeiten sichergestellt werden.
Vier Fragen an Oberst Uwe Roth, Leiter Schulstab der Unteroffiziersschule der Luftwaffe (USLw)
Welche Bedeutung hat für Sie der Lebenskundliche Unterricht?
Gerade an einer Ausbildungseinrichtung wie der Unteroffizierschule der Luftwaffe, wo wir unsere Soldaten und Soldatinnen zu Vorgesetzten ausbilden, hat der LKULebenskundlicher Unterricht einen enormen Stellenwert. Denn auch wenn uns Soldaten durch Befehle und Vorschriften meist klare Regeln für unser Handeln an die Hand gegeben werden, so ist der moralisch-ethische Aspekt bei zu treffenden Entscheidungen unbedingt mit einzubeziehen. Hierzu bedarf es der Kenntnis von Werten und Normen und der Schärfung des ethischen Bewusstseins. Für Vorgesetzte, die Beispiel und Vorbild für die ihnen unterstellen Soldaten und Soldatinnen sind, gilt dies in besonderem Maße. Der LKULebenskundlicher Unterricht trägt dazu bei, dies zu vermitteln und den Sinn des Soldatenberufs in einer Demokratie zu verdeutlichen.
Warum sollten Streitkräfte neben der eigentlichen soldatischen Ausbildung auch für ethische Bildung sorgen?
Neben der Beherrschung des militärischen Handwerkszeugs müssen wir uns als Soldaten mit der ethischen Dimension unseres Berufes auseinandersetzen. Wir müssen uns bewusst sein, dass unser Handeln auch zu Verletzungen, Verwundung, auch seelischer Art, oder gar zum Tod führen kann. Bei uns selbst, bei Kameraden oder Menschen, die von unserem Handeln unmittelbar betroffen sind. In diesem Bewusstsein gilt es, einen auf den Werten unseres Staates aufbauenden Wertekompass zu vermitteln, der die moralische Urteilsfähigkeit stärkt und Handlungssicherheit erhöht.
Welche Themen halten Sie in der ethischen Bildung für besonders wichtig?
Den Umgang mit Verwundung und Tod natürlich oder das Kennenlernen von anderen Kulturen und Religionen. Genauso wichtig finde ich, gerade in der heutigen Zeit, das Thema Identität und Toleranz.
Der Lebenskundliche Unterricht in der Bundeswehr wird nicht von Offizieren erteilt, sondern von Militärseelsorgern. Halten Sie das für sinnvoll?
Ja, unbedingt. Auch wenn der LKULebenskundlicher Unterricht keine Form der Religionsausübung ist, so sind es aber gerade die Seelsorger, die im Rahmen ihrer Ausbildung eine intensive Schulung zu ethisch-moralischen Fragen genossen haben und außerhalb der militärischen Hierarchie nochmal mit einem anderen Blickwinkel komplexe Problemstellungen und Entscheidungssituationen in diesem Kontext bewerten können.
(Oberst Uwe Roth ist seit Anfang 2020 Leiter Schulstab an der Unteroffizierschule der Luftwaffe in Appen und Heide. Seit seinem Eintritt in die Bundeswehr im Jahre 1985 diente er in unterschiedlichen Verwendungen. Vor seiner Versetzung zur USLw war er zuletzt als Leiter des Presse- und Informationszentrums der Luftwaffe tätig. Der Autor des Beitrages, Jens Pröve, ist seit 2016 Militärpfarrer. Zunächst war er an der Logistikschule der Bundeswehr in Osterholz-Scharmbeck tätig, jetzt an der Unteroffizierschule der Luftwaffe in Appen. Zu seinen Aufgaben gehört die ethische Bildung der Soldatinnen und Soldaten.)