Herr Oberst, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan begleitet Sie seit knapp 20 Jahren. Hat Sie dieser Einsatz ein Stück weit geprägt?

Auf jeden Fall. Dieses Land war jetzt über 19 Jahre lang immer wieder Teil meiner militärischen Laufbahn. Als junger Offizier war ich Angehöriger des 1. Kontingents ISAFInternational Security Assistance Force im Camp Warehouse in Kabul. 2007 folgte ein kurzer Einsatz in Kundus und 2011 in Baghlan. Heute als Oberst konnte ich mir als Senior Advisor bei Resolute Support noch mal einen Eindruck über den aktuellen Ausbildungsstand der Afghanischen Armee hier in Nordafghanistan verschaffen.
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie hören, dass dieser Einsatz nach so langer Zeit beendet wird?

Ich denke vor allem an die gefallenen Kameraden, die Gefechte mit deutscher Beteiligung, an verpasste politische sowie militärische Gelegenheiten, an die Zivilbevölkerung, aber auch an die vielen Dinge, die wir als Organisation hier gelernt haben. Ich denke, es trifft zu, dass die Bundeswehr in Afghanistan ein Stück weit erwachsen geworden ist.
Was hat die Bundeswehr Ihrer Meinung nach hier bewirkt?

Die politische Bewertung des Einsatzes und der Ergebnisse stehen mir nicht zu. Als Soldat habe ich hier erlebt, wie mit einer Mischung aus konventionellen und speziellen militärischen Fähigkeiten, einer entsprechenden Strategie, einem starken militärischen Nachrichtenwesen und afghanischen Partnern durchaus lokal begrenzt Stabilität erzeugt werden konnte. Auch das Vertrauen der Bevölkerung konnten wir zeitweise für uns gewinnen. Diese Art des Operierens war nicht ohne Risiko, herausfordernd und aufwendig. Es gab natürlich auch Rückschläge. Jedoch erlangten wir die Erkenntnis, dass mit den entsprechenden Kräften und der richtigen Vorgehensweise Erfolge möglich waren. Warum wir diesen Ansatz nicht länger verfolgt haben, fällt letztendlich in die Zuständigkeit politischer Entscheidungsträger.
Was erzählen Sie anderen von diesem Einsatz?

Ich werde oft von Einsatzveteranen oder auch von Zivilisten gefragt, ob die 59 verstorbenen und die davon 35 gefallenen Kameraden angesichts der derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan nicht umsonst ihr Leben gelassen haben. Jenen entgegne ich, dass unsere Gefallenen und besonders auch unsere an Körper, Geist und Seele Verwundeten letztendlich für die größte und aus meiner Sicht wichtigste Sache, die eine militärische Organisation ausmacht, gestorben oder verwundet worden sind: Kameradschaft. Sie sind im Auftrag des Bundestages Seite an Seite mit ihren Kameradinnen und Kameraden – einer Schicksalsgemeinschaft im wahrsten Sinne des Wortes – in diesen gefährlichen Einsatz gegangen. Sie sind gegangen, weil sie das Vertrauen in ihre Vorgesetzten hatten, gut geführt zu werden. Sie wussten, dass sie sich gegenseitig bedingungslos unterstützen und füreinander einstehen werden und haben dann den höchsten Preis bezahlt. Kameraden für Kameraden.
Welchen Einfluss hat der Einsatz in Afghanistan auf die Bundeswehr?

Die Struktur der Bundeswehr an Stabilisierungseinsätzen auszurichten war meiner Meinung nach rückblickend betrachtet eine unzweckmäßige Ableitung. Aber wir haben viele, vor allem taktische Erkenntnisse dazugewonnen, um unsere Ausbildung, Ausrüstung und Verfahren ständig weiter zu verbessern. Die Notwendigkeit, Bedarfsträger und bestimmte Bedarfsdecker bereits in der Grundstruktur enger zusammenzubinden, ist aus meiner Sicht auch eine Erkenntnis aus diesem Einsatz. Vor allem aber gilt es, unsere Verstorbenen und Verwundeten niemals zu vergessen oder im Stich zu lassen. Für die politischen Entscheider ist jeder Verstorbene und Verwundete eine Erinnerung an die große Verantwortung, die mit der Entsendung von Streitkräften einhergeht.
Was glauben Sie, in welchem Zustand lassen die internationalen Truppen das Land zurück, wenn der Abzug vollzogen ist, und was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Zukunft Afghanistans?

Nach allem, was wir wissen, sehnt sich die afghanische Bevölkerung in erster Linie nach einem „simplen“ Ende der nahezu täglichen Gefechte und Gewaltanwendungen. Diesen Zustand gilt es, wenn irgend möglich, durch entsprechende Verhandlungen zu erreichen. Das liegt meiner Ansicht nach auch ohne die Präsenz internationaler Truppen durchaus im Bereich des Möglichen, aber mit dem Druckmittel bezüglich der Verfügbarkeit zukünftiger internationaler Finanzmittel. Gelingt dies nicht, wird es sehr schwierig für die afghanische Regierung, eine militärische Lösung zu ihren Gunsten herbeizuführen.