Giftiges Training: Sarin und VX in der Ausbildung
In den Weiten des mittleren Westens der USA erfahren junge Unteroffiziere und Offiziere der Bundeswehr ihre Feuertaufe mit einer Massenvernichtungswaffe: Tödlichen chemischen Kampfstoff. Ihr Auftrag wird lauten: Aufklären und Aufspüren. Die Soldaten und Soldatinnen sind angehende Experten zur Abwehr einer ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Bedrohungslage.
Üben am CDTFChemical Defense Training Facility
In Fort Leonard Wood, einer Garnisonsstadt der USUnited States Army, sind die Straßen breit und die Autos groß. Rundherum erstreckt sich die unendliche Weite des Mittleren Westens der USA. Ein idealer Ort für die Ausbildung für Spezialisten, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten. Sie üben an der „Chemical Defense Training Facility“ (CDTFChemical Defense Training Facility), dem Ausbildungszentrum für ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehr-Spezialisten der USUnited States Army. Das hat eine entscheidende Besonderheit: „Es kann Übungen mit chemischen Kampfstoffen unter kontrollierten Bedingungen auf hohem Niveau durchführen„, erläutert der deutsche Verbindungsoffizier, Oberstleutnant Roland Weinberger.
Konkret heißt das: Der Feind in der kontaminierten Zone ist farb- und geruchlos. Schon kleinste Dosen der Kampfstoffe Sarin und VX sind letal. Einmal kontaminiert, droht ein schrecklicher Tod.
Die ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Kräfte der Bundeswehr und der USUnited States Army verbindet seit Jahren eine enge Partnerschaft. Eine Übung im CDTFChemical Defense Training Facility ist deshalb der Höhepunkt der Ausbildung zum Feldwebel oder Offizier auch der deutschen ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrkräfte. „Ich bin damals ebenfalls hier gewesen. Ich weiß noch genau, wie es sich anfühlt, wenn die Messgeräte das erste Mal bei echtem Kampfstoff Alarm auslösen“, erinnert sich Weinberger.
Intensive Vorbereitung
Einer von denen, die zum ersten Mal mit tödlichen Kampfstoffen üben werden, ist Feldwebel Erik Fittkau. Er ist einer von fast zwei Dutzend Lehrgangsteilnehmenden. Bisher hat der ausgebildete Chemielaborant aus dem ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrbataillon 750 „Baden“ in Bruchsal noch nie echte Kampfstoffe aufgespürt. Er fühlt sich dennoch gut vorbereitet.
Seine Ausbildung umfasste einen militärischen und einen zivilen Anteil. Im militärischen Teil hat Fittkau in Sonthofen den Umgang mit Spür- und Messgeräten für Kampfstoffe gelernt. Die Abläufe in einem Chemielabor dagegen hat er in einer zivilen Ausbildung zum Chemielaboranten verinnerlicht. Die Übung in den USA bildet nun den krönenden Abschluss. „Ich habe Respekt, aber es ist unser Auftrag“, erklärt Fittkau lapidar.
Unsichtbare Gefahr
Vor dem sogenannten „Hot Run“, dem scharfen Durchgang, übt die Truppe ein letztes Mal die Abläufe im „Cold Run“, denn jeder Handgriff muss sitzen. Der Auftrag der Soldaten lautet: Chemische Kampfstoffe identifizieren und Proben entnehmen. Das bedeutet einen anstrengenden Einsatz unter ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutz für mehrere Stunden. „Jetzt wird es interessant“, erklärt Feldwebel Fittkau bemerkenswert cool. Das Ganze ist nämlich nicht ohne Risiko: Bei einer Vergiftung hilft nur noch das bereitstehende Rettungsteam mit seinem Gegenmittel Atropin, einem der Tollkirsche entnommenen Wirkstoff.
Oberstleutnant Weinberger ist dennoch vom Training in der CDTFChemical Defense Training Facility überzeugt: „Einmal in der Ausbildung diesem Risiko ausgesetzt zu sein, schafft Vertrauen in das eigene Können, in die Ausrüstung und rechtfertigt die weite Anreise.“ Anfang 2019 hat die U.S. Army das Ausbildungszentrum komplett umgebaut. Jetzt sind die Übungsszenarien dort noch realistischer.
Giftige Atmosphäre
Vor jedem Durchgang im kontaminierten Bereich werden die Schutzmasken der Soldaten auf ihre Dichtigkeit geprüft. Erst danach dürfen sie durch eine schwere Schleuse in die „Hot Zone“. Es ist wie der Eintritt in eine fremde Welt. Durch die Gläser der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Maske sehen die Soldaten umgekippte Jeeps, herumliegende Waffen und leblose Körper. Es sind Wachspuppen. Aus Lautsprecherboxen ertönen das Wummern von Maschinengewehren und abgehackte Funksprüche. Es ist ein apokalyptisches Szenario und Stress pur für die Soldaten - auch für Feldwebel Fittkau: „Natürlich war ich erst beeindruckt, aber dann war ich sehr fokussiert.”
Fittkau weiß: Die Ausbilder wollen sehen, dass alle die vorher eingeübten Verfahren auch jetzt abrufen können. Er ist als Truppführer für seine Kameraden verantwortlich. Der Trupp soll drei Proben entnehmen. Dazu teilt Fittkau seinen Bereich in Sektoren ein und legt eine Spürreihenfolge fest. Die Soldaten arbeiten hoch konzentriert. Unachtsamkeit kann in dieser Umgebung schlimme Folgen haben. Nach drei Stunden in dieser tödlichen Atmosphäre ist es geschafft. Die Proben sind gesichert. Feldwebel Fittkau ist zufrieden.
Aber die letzte Herausforderung kommt noch: Bei der Ausschleusung aus der „Hot Zone“ will sich jeder am liebsten gleich die beengende Maske herunterreißen. Doch wie und in welcher Reihenfolge die Teile der Schutzbekleidung abgelegt werden, ist genau vorschrieben, denn niemand soll sich dabei kontaminieren. Schließlich ist auch das geschafft. Feldwebel Fittkau und sein Trupp haben ihre Feuertaufe bestanden.