Tödliche Mischung

Tödliche Mischung

Datum:
Ort:
Utah
Lesedauer:
6 MIN

Trotz Ächtung setzen Terroristen und manche Staaten chemische Waffen ein. In einer amerikanischen Wüste lernen deutsche Soldaten, die Kampfstoffe zu analysieren. Das Besondere: Ihr ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrzug wurde extra zur Unterstützung von Spezialkräften aufgestellt.

Ein Soldat mit ABC-Schutzmaske steht mit einem Gerät in Hand vor Glaskolben und anderem Labormaterial in einer Höhle

Schnelle Messung: Mit mobilen Messgeräten kann der Trupp schon am Einsatzort eine erste Einschätzung treffen. Das ist wichtig für die Probenentnahme. Genauer wird der Stoff am Analysepunkt bestimmt.

Bundeswehr/Jana Neumann

Der Wüstensand flimmert in der Hitze. Drei Jeeps ziehen Staubwolken hinter sich her. Ein Knacken im Funkgerät: „Passing Point 5. Abschnitt Dresden. Ende.“ Die Fahrzeuge halten sofort an. Die Bundeswehrsoldaten in den Jeeps ziehen eilig ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutzmasken auf.

Es ist der Beginn eines Szenarios in der Wüste von Utah. Hier auf dem Übungsplatz Dugway lässt Major Christian Metz* seine Soldaten vom Spezial ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrzug sechs Wochen lang trainieren. Sie sind zusammen mit 40 Soldatinnen und Soldaten einer leichten ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrkompanie in die USA gereist. Ihr Heimatstandort im baden-württembergischen Bruchsal liegt 8.500 Kilometer entfernt. „In der Wüste finden wir klimatische Extreme vor und können Übungsszenarien zugeschnitten auf Spezialkräfteoperationen durchführen“, erklärt Metz.

Metz ist studierter Biologe. Sein ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrzug ist der einzige, der zur Unterstützung von Spezialkräften aufgestellt wurde. Metz und seine Kameraden wollen den Kommandosoldaten und Kampfschwimmern eine Fähigkeit anbieten, über die diese bisher nicht verfügen: wissenschaftliche Expertise zu atomaren, biologischen und chemischen Bedrohungen.

Aber dafür muss der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrzug erst nachweisen, dass er bei den Spezialkräften mithalten kann. Der Zug befindet sich noch in der Aufstellung und Zertifizierung. Bis er für den Einsatz mit den Spezialkräften bereit ist, wird es noch zwei Jahre dauern. Perspektivisch soll noch ein weiterer Zug beim Schwesterbataillon im nordrhein-westfälischen Höxter aufgestellt werden.

Ein Soldat mit Funkgerät im Porträt
Major Christian Metz*, Übungsleiter Bundeswehr/Jana Neumann
„Ich will den Zug an seine Grenzen bringen. Das geht schnell in der Wüste bei extremer Hitze.“

Kampfstoffherstellung in der Wüste

Die Jeeps fahren wieder weiter. Kurze Zeit später halten sie vor einem Gebäude. Die Soldaten steigen aus. Einer von ihnen ist Leutnant Sebastian Fischer*. Er ist Truppführer im ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrzug und ausgebildet auf die Identifikation von chemischen Kampfstoffen. Zwei Soldaten mit Schutzausrüstung warten schon vor dem Gebäude auf das Team. Die beiden weisen die anderen jetzt ein.

Im Szenario hat die Aufklärung ergeben, dass sich eine verdächtige Produktionsanlage im Gebäude befindet. Spezialkräfte haben es bereits gesichert. Jetzt muss Fischer mit seinen Soldaten herausfinden, was hier produziert wird. „Mein Trupp besteht aus vier Soldaten, die alle einen chemischen Hintergrund haben“, erklärt er. „Das reicht vom Laborassistenten bis zum promovierten Chemiker.“ Der 37-Jährige schwitzt unter seiner Maske. Neben spezieller Ausrüstung zum Erkennen von Kampfstoffen trägt er einen Plattenträger sowie Helm und Waffe.

Wer mit Spezialkräften arbeiten will, muss in der Lage sein, zu kämpfen. Das gilt auch für einen Experten für Chemikalien wie Fischer. Für ihn ist das Kämpfen so selbstverständlich, wie chemische Strukturformeln zu verstehen oder Anlagen zur Herstellung von Kampfstoffen zu erkennen. Geprägt wurde er durch seinen Einsatz in Afghanistan im Jahr 2011. Dort war er im Außenposten Observation Post North stationiert und hat an Entwicklungsmethoden zur Untersuchung von IEDImprovised Explosive Device (Improvised Explosive Device) mit selbst hergestelltem Sprengstoff direkt vor Ort gearbeitet.

Das Übungsgebäude ist drei Stockwerke hoch. Auf jeder Ebene untersucht Fischers Trupp die Aufbauten aus Rohren, Zylindern und Glaskolben. Alles wird dokumentiert. „Wir entnehmen an verdächtigen Stellen vorsichtig Proben für eine genauere Analyse“, sagt Fischer. „Das können auslaufende Fässer sein oder pulvrige Substanzen, die herumliegen.“

Schnell ist klar: Hier wird im großen Maßstab der Nervenkampfstoff Sarin hergestellt. Viel Zeit für weitere Proben bleibt dem Trupp nicht. Denn über Funk kommt die Meldung, dass Gefahr im Verzug ist. Fischer: „Wir müssen manchmal Quick and Dirty arbeiten. Für eine sorgfältige Analyse haben wir später an einem sicheren Ort Zeit.“

Zwei Soldaten mit ABC-Schutzmaske vor einem Analysegerät

Auswertung: Die Arbeit der Soldaten wird nicht nur taktisch, sondern auch fachlich ausgewertet. Am Analysepunkt schauen die Wissenschaftler aus Sonthofen dem Trupp über die Schulter.

Bundeswehr/Jana Neumann

Ein Feldlabor im Camp

Major Gergely Rozsa hat zusammen mit den Soldaten des ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Zuges im Feldlager in Dugway einen Analysepunkt aufgebaut. Dieser ist die erste Anlaufstelle für eine feldmäßige Untersuchung von Proben. Der promovierte Chemiker von der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrschule in Sonthofen zeigt auf mehrere kastenförmige Geräte vor sich. „Das sind Analysegeräte, um eine Probe chemisch bestimmen zu können“, erklärt er. „Wir machen das auf molekularer Basis. Hierfür reichen kleinste Mengen aus.“

Der genaue Stoff wird durch ein Massenspektrometer ermittelt. Die Soldaten können die vom Gerät ausgeworfenen Diagramme mit einer Datenbank abgleichen. Rozsa ist in die Wüste Utahs gereist, um die Arbeit von Fischer und seinem Trupp zu begutachten. Er hat sie im C-Ident-Lehrgang im Umgang mit den hochsensiblen Messgeräten ausgebildet. Unter seiner Leitung haben Fischer und seine Kameraden zudem Strukturformeln und Produktionsverfahren gebüffelt.

Die Übung in Utah ist der Abschluss ihrer mehrere Monate dauernden Ausbildung zu Experten zum Erkennen von chemischen Kampfstoffen. Auf den Analysepunkt legt Rozsa besonderes Augenmerk. Unter dem Druck einer mehrwöchigen Übung müssen die Soldaten hier anwenden, was Rozsa ihnen zuvor im Hörsaal gelehrt hat. Ruhig und professionell bestimmen Fischer und sein Trupp alle Proben richtig. Rozsa ist zufrieden.

Neben Fischers Trupp gibt es noch weitere Spezialisten mit Fokus auf atomare und biologische Bedrohungen. Diese haben ebenfalls Wissenschaftler in ihren Reihen. Alle Soldaten in diesem Zug kennzeichnet, dass sie nicht nur die wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Fachrichtung beherrschen, sondern auch kämpfen können. Das macht sie für Spezialkräfte interessant. Denn dort, wo diese operieren, ist die Lage nie zu 100 Prozent sicher.

„Für die Spezialkräfte ist besonders unser Analysepunkt wichtig“, berichtet Rozsa.  „Das KSKKommando Spezialkräfte hat zwar ebenfalls Kampfstoffexperten, aber sie können nicht mit derselben Genauigkeit arbeiten wie wir. Besonders der mobile Einsatz unserer Messgeräte ist ein dickes Plus für uns.“ Statt eines Labors reicht dem ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrspezialzug eine einfache Baracke mit wenig Platz, um ihren Analysepunkt aufzubauen.

Droge als Kampfstoff

Fischer ist jetzt mit seinem Trupp wieder auf dem Übungsplatz. Ein neues Einsatzszenario wartet: Die Spezialkräfte haben in einer Höhle Glaskolben, anderes Labormaterial und ein verdächtiges weißes Pulver entdeckt. Ein kühler Windzug zieht durch die Stollen des nachgebauten Höhlensystems. Den Soldaten in ihrem Schutzanzug bringt das aber keine Erleichterung, denn der Anzug lässt nichts durch. Das Szenario basiert auf Erfahrungen der U.S. Special Forces, wie diese sie bei der Jagd nach Osama bin Laden im Höhlensystem Tora Bora in Afghanistan gemacht haben.

Das KSKKommando Spezialkräfte hat bei seinen Einsätzen in Afghanistan ebenfalls improvisierte Labore vor allem zur Sprengstoffherstellung und zum Bau von IEDImprovised Explosive Device gefunden. „Probe entnehmen und Brenntest durchführen“, weist Fischer einen Soldaten an. Er will wissen, was das weiße Pulver ist. Durch das Erhitzen kann er schon anhand der Verfärbung der Flamme erste Erkenntnisse gewinnen. Die Herausforderung besteht darin, an den richtigen Stellen die Proben zu entnehmen. Wenn man an einer falschen Stelle ansetzt, können Zwischenprodukte auf eine falsche Fährte locken.

Das Team hat bereits einen Verdacht: „Das könnte ein Fentanyl-Derivat sein“, sagt Fischer. Dieser opiumähnliche Wirkstoff kann in hoher Konzentration als Nervenkampfstoff eingesetzt werden. In geringer Dosis wird Fentanyl zur Schmerzlinderung genutzt oder als Droge missbraucht. Hochkonzentriert führt er hingegen zum Atemstillstand. Das mitgebrachte Messgerät für Feststoffe mit dem Namen HazMatID bestätigt den Verdacht. Die Proben werden für eine genauere Analyse im Camp sicher verpackt.

Die Hand eines Soldaten im Gummihandschuh zeigt auf das Display eines mobilen Messgerätes vom Typ HazMatID

Hightech: Es gibt nur drei HazMatID (Hazardous Material Identification) in der Bundeswehr. Diese mobilen Messgeräte dienen zur Identifikation von Substanzen, zum Beispiel Sprengstoff und Chemikalien.

Bundeswehr/Jana Neumann

Ergänzung für Spezialkräfte

Fischer und seine Soldaten stehen während der ganzen Übung unter Aufsicht. Während Rozsa vor allem auf die Einhaltung wissenschaftlicher Standards achtet, bewertet Major Metz das taktische Vorgehen. Der Übungsleiter sieht sofort, wenn einer der Soldaten fahrlässig wird. Die Hitze und die umständliche Schutzausrüstung lässt er nicht als Ausrede zählen. „Ich will hier die Jungs an ihre Grenzen bringen“, sagt er.

Die Anforderungen, um in diesen Zug zu kommen, sind hoch. Es gibt ein Aufnahmeverfahren ähnlich wie bei den EGBErweiterte Grundbefähigung-Fallschirmjägern. Nur wenige Soldaten verfügen über die Kombination aus besonderem Fachwissen und außerordentlicher körperlicher Belastbarkeit.

Von der Notwendigkeit dieser Fähigkeit ist Metz überzeugt. „Trotz Ächtung von ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Kampfstoffen findet ihr Einsatz statt – auch in unmittelbarer Nähe der Einsatzgebiete der Bundeswehr“, so Metz. „Unweit unserer Soldaten in Jordanien wurden chemische Kampfstoffe in Syrien eingesetzt. Und im Irak sah ich mit eigenen Augen Abbauprodukte, die den Einsatz von chemischen Kampfstoffen durch den ,Islamischen Staat‘ bewiesen haben.“ Deshalb sei es wichtig, dass es einen spezialisierten ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrzug gibt. Denn ein Einsatz von Spezialkräften unter dieser Bedrohungslage ist realistisch.

*Name geändert.

von Matthias Lehna

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