Militärische Elite?
Militärische Elite?
- Datum:
- Ort:
- Berlin
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Das Kommando Spezialkräfte stand in den vergangenen Jahren mehrfach in den Schlagzeilen. Hat das KSKKommando Spezialkräfte ein Eigenleben innerhalb der Bundeswehr geführt? Halten sich Spezialkräfte für eine Elite, für die Vorschriften nicht gelten? Ein Blick auf die besondere Motivation und Mentalität jener Soldaten, von denen der Staat sehr viel verlangt.
Das Kommando Spezialkräfte (KSKKommando Spezialkräfte) sorgte in den vergangenen Jahren wiederholt für negative Schlagzeilen: Rechtsextremismus, Sprengstoff- und Waffenfunde, Verstöße bei der Materialkontrolle. Der Militärische Abschirmdienst (MADMilitärischer Abschirmdienst) forscht nach und legt erhebliche Missstände offen. Es blieb nicht bei internen Ermittlungen, auch Gerichte und Staatsanwaltschaften beschäftigen sich mit den Zuständen in Calw. In der Öffentlichkeit entstand das Bild einer Elitetruppe mit einem gefährlichen Eigenleben.
Das KSKKommando Spezialkräfte stand kurz vor seinem 25-jährigen Jubiläum fast vor dem Aus. Das Bundesministerium der Verteidigung nahm den gesamten Verband unter die Lupe. Einsätze und Übungen wurden ausgesetzt. Nach einem Jahr Ermittlungsarbeit stand fest: Das KSKKommando Spezialkräfte bleibt, aber es wird umfassend reformiert. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Generalinspekteur Eberhard Zorn ordnete 60 Reformmaßnahmen an. Eine davon: die Auflösung der 2. Kompanie. Mehr als 20 Angehörige waren seit einer kontroversen Abschiedsfeier für den früheren Chef der 2. Kompanie, Pascal D.*, im April 2017 bereits entlassen oder versetzt worden.
Trotzdem bewertete die Arbeitsgruppe die Strukturen der Kompanie als verkrustet und nicht reformierbar. Sie attestierte ihr eine „toxische Führungskultur“ und ein „fehlgeleitetes Eliteverständnis“. Alle Angehörigen – auch die, die damals noch nicht dabei waren – wurden eingehend überprüft und danach an anderen Stellen im KSKKommando Spezialkräfte eingesetzt. Nur wer den Wandel aktiv mittrage, habe eine Zukunft bei den Spezialkräften, hatte Zorn angekündigt.
USUnited States-Kämpfer prägten Deutsche
„Das war die schwerste Zeit meiner gesamten Laufbahn“, sagt Oberstleutnant Simon Ruge. Seit Oktober 2019 ist er Chef des Stabes beim KSKKommando Spezialkräfte. „Die vergangenen Jahre sind an keinem im Verband spurlos vorbeigegangen.“ Der öffentliche Generalverdacht hat die rund 1.200 Soldatinnen und Soldaten in Calw verunsichert. Die meisten hätten sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie finden es ungerecht und auch undankbar, dass an ihrer Verfassungstreue gezweifelt wird.
„Es gab kein Eigenleben, der Eindruck ist falsch. Aber zum Teil haben Vorgesetzte nicht genau genug hingeschaut und Soldaten zu viele Freiheiten gelassen“, erklärt Ruge. Neben einer mangelhaften Dienstaufsicht nennt er auch strukturelle und organisatorische Defizite. Das KSKKommando Spezialkräfte habe zu wenige Kräfte und den Fokus stets auf die Einsatzbereitschaft gerichtet – zulasten eines geregelten Kasernenbetriebs: „In den Einsätzen gab es viele Erfolge. Aber im Grundbetrieb fehlten gute Strukturen und qualifiziertes Personal“, konstatiert der Chef des Stabes. Viele Reformvorschläge sind aus dem Verband selbst gekommen. Das KSKKommando Spezialkräfte kämpft um seinen Ruf.
Auch in anderen Ländern stehen Spezialkräfte in den Schlagzeilen. In den USA standen mehrfach Kommandosoldaten wegen Kriegsverbrechen vor Gericht. In Australien wurde 2020 eine Einheit aufgelöst, nachdem ihr die Misshandlung und Tötung afghanischer Gefangener nachgewiesen wurde. Wie kommt es zu solchen Missständen?
„Anders als die Deutschen werden USUnited States-Einheiten regelmäßig zu sogenannten Kill Operations eingesetzt. Das macht etwas aus den Menschen“, erklärt der Militärhistoriker Sönke Neitzel. Ein grundlegendes Problem oder ein allgemeines Demokratiedefizit sieht der Professor von der Universität Potsdam aber nicht: „Es gibt keinen Grund, Spezialkräfte unter Generalverdacht zu stellen.“ Man müsse sich aber mit ihrer speziellen Kultur – ihren Traditionen, Werten und Grundsätzen – auseinandersetzen. Neitzel ist überzeugt: „Ich habe keine Zweifel an der Loyalität der deutschen Kräfte, aber es fehlte bisher an Offenheit und Transparenz. Warum gibt es keine ‚Geschichte des KSKKommando Spezialkräfte‘, wo Einsätze und auch Fehlentwicklungen dokumentiert sind. Das würde den Umgang mit ihnen erleichtern.“
„Es gibt keinen Grund, Spezialkräfte unter Generalverdacht zu stellen.“
Der Staat verlangt den Spezialkräften vieles ab. Im Ernstfall setzen sie ihr Leben aufs Spiel. Anerkennung bekommen sie dafür häufig nicht, weil ihre Aufträge geheim bleiben. Die Soldaten sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, das muss jedem bewusst sein. „Die deutschen Spezialkräfte haben keine historischen Vorbilder. Sie orientieren sich wie die meisten westlichen Einheiten an den Special Operations Forces von Großbritannien und den USA“, erklärt Neitzel. Die dort gelebte „Kämpferkultur“ habe auch die deutschen Kräfte geprägt: „Spezialeinheiten haben eine besondere Mentalität. Sie werden zu Kriegern ausgebildet, die immer bereitstehen müssen, um zu kämpfen. Sie leben in einer sozialen Realität, die die meisten Menschen nicht kennen.“
Elite oder herausgehobener Status?
Spezialkräfte gelten als verschworene Haufen, die sich mit ihrer Einheit und ihrem Auftrag sehr identifizieren. Werte wie Treue, Disziplin und Kameradschaft spielen eine große Rolle. Sie werden von den Soldaten als Lebensversicherung betrachtet. Im Gefecht müssen sie sich bedingungslos aufeinander verlassen können. Das kann über Erfolg oder Misserfolg, Leben oder Tod entscheiden. „Wenn man auf ihre harte Auswahl und ihre besonderen Fähigkeiten blickt, kann man von einer militärischen Elite sprechen“, sagt Neitzel.
Der Begriff ist in Deutschland aus historischen Gründen umstritten. Der Experte rät zu einer sachlichen, pragmatischen Debatte. Dazu gehört auch, dass sich Politik und Gesellschaft mit den Einsatzrealitäten der Spezialkräfte stärker auseinandersetzen. Bei den Spezialkräften stößt die Bezeichnung militärische Elite auf Widerspruch. „Im KSKKommando Spezialkräfte nutzen wir den Begriff nicht“, erklärt Ruge. „Natürlich gibt es Unterschiede. Die Intensität der Ausbildung und die Ausrüstung sind anders als bei konventionellen Kräften.“
Kommandosoldaten wollen zur Spitze gehören, nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch im internationalen Vergleich. Daraus zögen viele ihre Motivation, sagt der Chef des Stabes. „Aber das heißt nicht, dass sich das KSKKommando Spezialkräfte als etwas Besseres betrachtet.“
Das wird auch bei den Kampfschwimmern so gesehen. Der Ausbildungsleiter des KSMKommando Spezialkräfte der Marine (Kommando Spezialkräfte der Marine), Fregattenkapitän Ingo Mathe, hält wenig von Begriffen wie Speerspitze oder Elitekräfte. Sie seien nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen spricht Mathe lieber von Leistungswillen und Teamfähigkeit. Seine Männer seien normale Soldaten, die wie alle Einheiten einen spezifischen Auftrag haben. „Natürlich kann man sagen, dass Kampfschwimmer besonders gut ausgebildet sind, aber wir haben keinen Sonderstatus.“
Bessere Integration in die Truppe
Das KSMKommando Spezialkräfte der Marine steht selten in den Schlagzeilen. Wieso gibt es bei den Marine-Spezialkräften keine ähnlichen Vorfälle wie beim KSKKommando Spezialkräfte? Militärhistoriker Neitzel meint dazu: „Kampfschwimmer haben eine andere Identität. Das maritime Umfeld und das Tauchen erfordern andere Fähigkeiten als von einem typischen Krieger auf dem Schlachtfeld.“ Er vergleicht sie mit Extremsportlern. Sie seien anders geprägt und hätten gewissermaßen einen sportlichen Ehrgeiz, immer besser in ihren Fähigkeiten zu werden.
Das KSMKommando Spezialkräfte der Marine ist mit rund 300 Angehörigen viel kleiner und erfährt weniger öffentliches Interesse. Die Kampfschwimmer sind die älteste Spezialeinheit der Bundeswehr und gut in die Marine integriert. „Der Austausch mit anderen Einheiten ist traditionell eng“, erklärt Mathe. Anwärter durchlaufen viele Stationen in ihrer Ausbildung. „Einige davon sind nicht in Eckernförde, sondern an anderen Standorten“, stellt er heraus. Sie lernen von Anfang an die gesamte Marine kennen, nicht nur die eigene Einheit.
„Das KSKKommando Spezialkräfte muss Vertrauen wiederherstellen, das ist jedem klar.”
Beim KSKKommando Spezialkräfte wird es zukünftig ähnlich sein: Die Ausbildung wird der Infanterieschule des Heeres in Hammelburg unterstellt. Kommandosoldaten müssen in anderen Truppenteilen dienen, um andere Perspektiven und Erfahrungen zu machen. Außerdem soll das Schlüsselpersonal regelmäßig rotieren. Es geht um Offenheit, Durchlässigkeit und Kontrolle – und darum, den Verband langfristig zu erhalten. Denn eins ist sicher: Vorfälle wie in den vergangenen Jahren dürfen sich nicht wiederholen.
„Das KSKKommando Spezialkräfte muss Vertrauen wiederherstellen, das ist jedem klar“, sagt der Chef des Stabes beim KSKKommando Spezialkräfte. „Viele Soldaten wünschen sich aber auch mehr Verständnis: Die Belastung der Spezialkräfte ist sehr hoch. Sie sind von ihrer Arbeit überzeugt und würden gerne mehr Zuspruch für das erhalten, was sie leisten.“ Ruge verlässt das KSKKommando Spezialkräfte im Oktober. Er ist sich sicher, dass das Kommando aus der Krise gestärkt hervorgeht. Neue Strukturen entstehen, dringend benötigtes Personal kommt. „Ich hoffe, dass wir bald einen ehrlichen Schlussstrich ziehen können.“ Dass es dazu kommt, liegt vor allem in den Händen der Kommandosoldaten selbst.
*Name zum Schutz des Soldaten abgekürzt.