Angriff aus dem Hinterhalt

Angriff aus dem Hinterhalt

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
7 MIN

200 Soldatinnen und Soldaten, ein Ziel: gemeinsam als Team funktionieren. Die Spezialkräfte der Marine und der Luftwaffe haben sich in Grafenwöhr auf ihren Einsatz in Niger vorbereitet. In verschiedenen Szenarien mussten Kampfschwimmer, die Besatzungen der LUH SOFLight Utility Helicopter – Special Operation Forces und EGBErweiterte Grundbefähigung-Fallschirmjäger beweisen, was sie draufhaben.

Drei Militärfahrzeuge vom Typ Eagle stehen hintereinander im Gelände, daneben ein Soldat auf einem Quad

In Grafenwöhr bereiten sich Kampfschwimmer, die Besatzungen der LUH SOFLight Utility Helicopter – Special Operation Forces und EGBErweiterte Grundbefähigung-Fallschirmjäger auf den gemeinsamen Einsatz in Niger vor

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Das Dorf ist abgeriegelt. Einige Männer im Ort sind mit Maschinengewehren und Raketenwerfern bewaffnet. Drei leichte Unterstützungshubschrauber der Spezialkräfte der Luftwaffe (LUH SOFLight Utility Helicopter – Special Operation Forces) vom Typ H145M kreisen am Himmel. Ihre Crews geben die Erkenntnisse an Kapitänleutnant Thomas Albrecht* weiter. Seine Patrouille fährt gerade auf eine der Straßensperren zu. Albrecht soll das Dorf in der Nähe des deutschen Camps aufklären. Das Risiko, dass die Einwohner feindselig reagieren, erscheint ihm hoch. Im letzten Moment drehen die Eagle-Einsatzfahrzeuge ab und die LUH SOFLight Utility Helicopter – Special Operation Forces fliegen zurück ins Camp. Für einen Vorstoß sind mehr Kräfte erforderlich, entscheidet Albrecht.

Das Szenario ist Teil einer Übung: Drei Wochen lang trainiert das 2. Kampfschwimmereinsatzteam (KSET) auf dem Truppenübungsplatz im bayerischen Grafenwöhr. In wenigen Wochen gehen die rund ein Dutzend Männer in den Niger, um die einheimischen Spezialkräfte auszubilden. Doch das Kommando Spezialkräfte der Marine (KSMKommando Spezialkräfte der Marine) geht nicht allein in den Einsatz. Zum Kontingent gehören auch Angehörige der 4. Fliegenden Staffel des Hubschraubergeschwaders 64 und Fallschirmjäger mit Erweiterter Grundbefähigung (EGBErweiterte Grundbefähigung) vom Fallschirmjägerregiment 31 aus Seedorf.

Das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Kräfte ist die größte Herausforderung bei der Einsatzvorbereitung. Jede Einheit hat andere Verfahren und Taktiken. Rund 200 Soldatinnen und Soldaten mit 50 Fahrzeugen sind in Grafenwöhr, um sich aufeinander einzustellen.

Ein Soldat mit Sturmhaube und Helm im Porträt
Kapitänleutnant Thomas Albrecht*, Teamführer 2. Kampfschwimmereinsatzteam Bundeswehr/Sebastian Wilke
„Wir wissen nicht, was uns in den Übungen erwartet. Aber das ist unser Job, wir müssen auf alles gefasst sein.“

Ungewohntes Terrain

„Wir wissen nicht, was uns in den Übungen erwartet. Aber das ist unser Job, wir müssen auf alles gefasst sein“, erzählt Albrecht im Camp Normandy, wo die Kampfschwimmer untergebracht sind. Der 30-Jährige spricht ganz sachlich über seine Aufgabe, dabei lastet auf ihm großer Druck. Er ist Führer des KSET und zugleich des Mobile Education and Training Teams (METT). Das METT bildet die nigrischen Spezialkräfte aus und wird dafür auch außerhalb des Camps unterwegs sein.

Draußen trägt Albrecht die Verantwortung. Er muss bei größtem Stress ruhig bleiben und dafür sorgen, dass die Kräfte zusammenarbeiten. Das wird in Grafenwöhr trainiert, nach jedem Durchgang werden seine Entscheidungen ausgewertet. Albrecht koordiniert nicht nur die Kampfschwimmer und einen mobilen Arzttrupp des KSMKommando Spezialkräfte der Marine, sondern auch die Kräfte zur Unterstützung, die Immediate Reaction Force (IRF). Die Spezialkräfte der Luftwaffe und die EGBErweiterte Grundbefähigung-Kräfte kommen seinem Team zur Hilfe, wenn es brenzlig wird. In Grafenwöhr treffen alle zum ersten Mal aufeinander.

Ein Soldat im Porträt
Fregattenkapitän Ingo Mathe, Leiter Ausbildung KSMKommando Spezialkräfte der Marine Bundeswehr/Sebastian Wilke
„Kampfschwimmer sind Allrounder und können überall eingesetzt werden.“

Der Truppenübungsplatz gehört der USUnited States-Armee. Auf dem mehr als 200 Quadratkilometer großen Gelände befinden sich Wälder und Wiesen. Trotz Unterschieden zur Savannen- und Wüstenlandschaft in Niger bietet es aufgrund der Bodenbeschaffenheit die bestmögliche Vorbereitung. Die Kampfschwimmer sind hier nicht gerade in ihrem „Element“, schließlich sind sie ausgebildet für den Kampf im maritimen Umfeld. Fregattenkapitän Ingo Mathe sieht darin keinen Widerspruch: „Wir gelangen meistens im oder über das Wasser zum Einsatzort, aber 70 Prozent unserer Aufgaben finden an Land statt. Kampfschwimmer sind Allrounder, die überall eingesetzt werden können.“

Mathe ist seit 2005 bei den Spezialkräften der Marine, seit 2020 leitet er die Ausbildung. Er hat die Übungsszenarien mit seinem Team entwickelt. Jeden Tag müssen sich die Kampfschwimmer neu bewähren. „Wir setzen das METT stetig unter Druck und halten das Stresslevel hoch. Es geht darum, komplexe und unübersichtliche Aufträge zu erfüllen und wenn nötig im Verbund mit der IRF zu kämpfen.“

  • Ein Militärfahrzeug vom Typ Eagle fährt auf einer unbefestigten Straße im Gelände

    Auftrag Aufklären: Bei einer Patrouille im Einsatz kann viel passieren. In einer Übung soll das Team ein Dorf aufklären, wo bewaffnete Männer beobachtet wurden.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Zwei bewaffnete Soldaten suchen Deckung hinter einem liegengebliebenen Militärfahrzeug vom Typ Eagle

    Bestehen im Gefecht: In einem liegengebliebenen Fahrzeug dürfen die Soldaten keine Zeit verlieren. Denn es lenkt das gegnerische Feuer auf sich.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Ein Hubschrauber fliegt über Baumkronen

    Rettung aus der Luft: Die Hubschrauber der 4./HSGHubschraubergeschwader 64 kommen der Patrouille zur Hilfe. Die Spezialkräfte der Luftwaffe begleiten das KSMKommando Spezialkräfte der Marine in den Niger.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Ein Panzer vom Typ Fuchs schleppt ein Militärfahrzeug vom Typ Eagle ab, weißer Rauch im Gelände

    Aus der Schusslinie: Nachdem die feindlichen Kämpfer zurückgeschlagen wurden, birgt ein Fuchs-Panzer den fahrunfähigen Eagle aus der Gefahrenzone. Die EGBErweiterte Grundbefähigung-Fallschirmjäger haben in der Gefechtsübung das Blatt gewendet. Das Zusammenwirken im Verbund …

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Ein Soldat sitzt in einem Fahrzeug vom Typ Eagle und bedient eine Steuerung

    Feuerkraft: Der Bordschütze des Eagle steuert ein Maschinengewehr mit Kaliber 12,7 Millimeter. Das allradgetriebene Führungs- und Funktionsfahrzeug schützt seine Insassen vor Sprengfallen, Minen und direktem Beschuss.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Ein Militärfahrzeug vom Typ Eagle und gelber Rauch im Gelände

    Farbcode: Mit Signalkörpern gibt das angegriffene Team Informationen an die Unterstützungskräfte weiter. Jede Farbe hat eine Bedeutung, die nur die Einsatzkräfte kennen.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Soldaten transportieren einen Verwundeten auf einer Trage in ein Militärfahrzeug vom Typ Eagle

    Transport der Verwundeten: Die verwundeten Soldaten werden versorgt und ins Camp gebracht. Dieses Mal wurde nur harmlose Übungsmunition verschossen. Im Einsatz hingegen muss die Truppe mit allem rechnen.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke

Im Einsatz kann alles passieren

Die Kampfschwimmer haben drei Kernaufgaben: Direct Action, Special Reconnaissance und Military Assistance. Sie können also kämpfen, aufklären oder – wie in Niger – andere Spezialkräfte ausbilden. Military Assistance wird immer wichtiger für das KSMKommando Spezialkräfte der Marine. Die Ausbildung läuft seit 2018 und soll die nigrischen Streitkräfte befähigen, für Sicherheit im eigenen Land zu sorgen.

Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt. Er liegt wie sein Nachbar Mali in der für Europa strategisch wichtigen Sahelregion und leidet unter gesellschaftlichen Konflikten und Terrorismus. Afrika rückt immer mehr ins Zentrum der Bundeswehreinsätze: Instabile und gefährdete Staaten sollen ertüchtigt werden, sich selbst zu helfen.

Albrecht wird zum dritten Mal in den Niger gehen, um Zugführer der dortigen Spezialkräfte auszubilden. Der Berufssoldat ist seit 2015 beim KSMKommando Spezialkräfte der Marine und wird bald wieder für Monate von zu Hause weg sein. „Das ist für keinen von uns leicht“, sagt Albrecht. „Meine Frau unterstützt mich und meine Arbeit sehr. Ohne Verständnis und Vertrauen würde es nicht gehen.“ Albrecht ist stolz, beim KSMKommando Spezialkräfte der Marine zu sein. Es gebe nur wenige Einheiten, die so schlagkräftig und eingespielt seien. Er will Kompaniechef werden, sagt er selbstbewusst.

Während der Einsatzvorbereitung gab es einen Anschlag auf die deutschen Kräfte in Mali. Zwölf Soldaten wurden verwundet, drei davon schwer. Der Angriff hat Albrecht und seine Kameraden erneut in Erinnerung gerufen, wie schnell etwas passieren kann. „Wir müssen wachsam sein. Unser Camp liegt in einer Region, in der terroristische Gruppierungen aktiv sind. Wir führen keine eigenständigen Operationen durch, aber müssen uns selbst schützen können.“

Kurze Zeit später ist sein Team wieder unterwegs. Die Operationszentrale der Joint Special Operations Task Force Gazelle hat den Auftrag erteilt, das Dorf näher aufzuklären. In einem der Eagle-Fahrzeug sitzt Bootsmann Martin Berg*. Der Bordschütze beobachtet über seinen Monitor die Umgebung.

Plötzlich fallen Schüsse. Die Patrouille gerät auf einem Feldweg in einen Hinterhalt. Wie viele Feinde es sind, kann keiner sagen. Sie sind im hohen Gras kaum zu erkennen. Berg richtet die Bordwaffe, ein großkalibriges Maschinengewehr, auf eine Anhöhe vor der Patrouille und erwidert das Feuer. Ein Eagle wird im Gefecht schwer getroffen und bleibt liegen. Beim Versuch, das gepanzerte Fahrzeug zu bergen, werden die abgesetzten Soldaten auch von der Flanke angegriffen. Zwei Soldaten werden verwundet. Das Team sitzt in der Falle. Albrecht fordert sofortige Unterstützung an. Im Camp steigen die LUH SOFLight Utility Helicopter – Special Operation Forces auf, die Fallschirmjäger sind nicht weit entfernt.

Ein Soldat sitzt in einem Fahrzeug vom Typ Eagle und bedient eine Steuerung
Bootsmann Martin Berg*, Bordschütze im Eagle Bundeswehr/Sebastian Wilke
„Es ist schon kräfteraubend, aber wir sind für Extremsituationen ausgebildet und wollen immer besser werden.“

Für Extremlagen ausgebildet

Berg ist einer der Jüngsten im KSMKommando Spezialkräfte der Marine. Der 23-Jährige hat die Ausbildung zum Kampfschwimmer im April abgeschlossen und ist gespannt auf seinen ersten Einsatz. Vorher muss er unter Beweis stellen, was er in der dreijährigen Ausbildung gelernt hat. „Es ist schon kräfteraubend“, sagt Berg. „Aber wir sind für Extremsituationen ausgebildet und wollen immer besser werden.“ Auch nach drei Wochen auf dem Übungsplatz ist Berg noch hoch motiviert. Für ihn könnte es in Grafenwöhr ruhig noch weitergehen. „Es gibt nichts Schöneres in der Bundeswehr, als Kampfschwimmer zu sein: Wir halten zusammen und sind füreinander da“, sagt er.

Zurück zur Übung: Die Soldaten werfen grüne, gelbe und weiße Signalkörper, um die Feinde abzulenken und die Verstärkung über ihren Status zu informieren. Wofür die Farben stehen, ist geheim. Niemand soll taktische Rückschlüsse ziehen können. Bordschütze Berg gibt seinen Kameraden Feuerschutz, damit sie die Verwundeten stabilisieren.

Die IRF trifft ein: Zwei LUH SOFLight Utility Helicopter – Special Operation Forces kreisen in der Luft und klären die feindlichen Stellungen auf. Die vorrückenden Fallschirmjäger teilen sich auf und nehmen die Stellungen unter Beschuss. Thomas Albrecht ist mittendrin. Aus seinem Eagle koordiniert er die Verteidigung. Sein Plan geht auf: Das METT kann sich vom Feind lösen. Im Tiefflug landet ein Hubschrauber, um die Verwundeten zu evakuieren. Die Kampfschwimmer können sich aus dem Hinterhalt befreien. Die Feinde werden abgedrängt und ziehen sich zurück.

Kritik wird offen formuliert

Fregattenkapitän Mathe hat die Übung aus nächster Nähe beobachtet. Was lief gut? Was lässt sich verbessern? „Das Einsatzteam musste mehrere Aufgaben gleichzeitig lösen und hat vieles richtig gemacht“, sagt der Ausbilder. „Das Zusammenwirken mit den Unterstützungskräften war gut. Aber die Besatzung hätte den Eagle schneller verlassen und eine besser geschützte Position suchen müssen.“

Liegen gebliebene Fahrzeuge werden von Terrorgruppen als Beute betrachtet und zur Zielscheibe. Mathe: „In einem beschädigten Fahrzeug darf keine Zeit verloren werden. Die Stärken der Kampfschwimmer sind Flexibilität und Entschlossenheit.“ Die Unterstützungskräfte haben bei der Übung den Unterschied gemacht. Im Eifer des Gefechts haben die Fallschirmjäger jedoch die Eigensicherung vernachlässigt. Mathe formuliert offen und deutlich Kritik. Sie hat nur ein Ziel: alle Beteiligten zu noch besseren Soldaten zu machen. Albrecht hört genau zu und sagt: „Wir machen einen Fehler nie zweimal.“

*Name geändert.

von Florian Stöhr

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