Bündnisverteidigung

Streitkräftebasis stemmt strategischen Seetransport

Wie kommen rund 100 Fahrzeuge und 60 Container der Gebirgsjägerbrigade 23 aus Mittenwald in Bayern nach Sørreisa in Norwegen? Den Schiffsweg zur Übung Nordic Response organisieren die Möglichmacher: Von der Transportanforderung über die Disposition bis hin zur Verladung – die Logistikprofis der Streitkräftebasis bringen die Truppe nach vorn.

Militärfahrzeuge und Container warten auf die Verladung.

Die Möglichmacher für Quadriga

Bei der Übung Nordic Response in Norwegen wird die Gebirgsjägerbrigade 23 gemeinsam mit Bündnispartnern die Einsatzbereitschaft der NATONorth Atlantic Treaty Organization an ihrer Nordgrenze beweisen. Dieser Teil der deutschen Großübung Quadriga trägt den Namen Grand North. Hierbei trainieren die Truppen in unwegsamem Gelände im hohen Norden bei arktischer Kälte am Polarkreis. 

Deshalb kommt auch das kleine Kettenfahrzeug Hägglunds zum Einsatz, das genau dafür gemacht ist. Der Weg dorthin ist bereits Teil des Manövers: Es wird die strategische Verlegung von Fahrzeugen und Nachschubmaterial auf dem Seeweg geprobt. Das Logistikzentrum bringt mit Unterstützung des Logistikbataillons 163 RSOMReception, Staging, Onward Movement aus Delmenhorst, das die Hafenumschlagkompanie stellt, die Hägglunds und weitere Fahrzeuge sowie Container des bayerischen Heeresverbandes im Hafen Emden von der Schiene aufs Schiff.

Die Ladung des strategischen Seetransportes dargestellt in einer Grafik

Die Ladung des strategischen Seetransports auf einen Blick - die Streitkräftebasis macht's möglich

Bundeswehr

Doch bevor die rund 1.400 Tonnen im Frachtraum der Finlandia Seaways festgezurrt sind, hat das Team um Korvettenkapitän Florian N.* bereits den Großteil seiner Arbeit gemacht. Das Dezernat See- und Binnenwassertransport des Logistikzentrums der Bundeswehr koordiniert die knapp 2.000 Kilometer lange Reise von der Nordsee ins Europäische Nordmeer. Deshalb begann ihr Einsatz bereits vier Monate vorher – Logistik braucht Zeit, wenn alles klappen soll.

*Namen zum Schutz der Personen abgekürzt.

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  • Die Finlandia Seaways im Hafen Emden mit halb ausgefahrener Rampe.
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    Antrag

    Wie in Behörden üblich, beginnt ein Vorgang mit einem Antrag. So ist es auch, wenn die Bundeswehr ein Übungsvorhaben wie die Übungsserie Quadriga plant. Die Gebirgsjägerbrigade 23 richtet eine Transportanforderung an das Logistikzentrum. 

    Als Teil der Streitkräftebasis gehört die Logistik zum zentralen Unterstützungsbereich der deutschen Streitkräfte. Hier wird in einem ersten Schritt ausgewertet, welche Verkehrsträger für das Transportgut am effizientesten sind. Da Fahrzeuge und Container sehr schwer und groß sind, legen sie den größten Teil ihrer Reise durch Deutschland mit der Eisenbahn zurück. Den Landweg organisieren die Gebirgsjäger in Eigenregie. 

    Anschließend kommt die Mannschaft von Korvettenkapitän Florian N. zum Einsatz. Denn im Hinblick auf Gewicht, Größe des Transportguts, kommt als Verkehrsträger nur ein Schiff in Frage.

  • Ein Soldat in Warnweste und Schutzhelm hakt Positionen auf einer Liste ab.
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    Mengengerüst

    Damit das Dezernat See- und Binnenwassertransport den passenden Transportraum für die Ladung finden kann, wertet es das sogenannte Mengengerüst aus. Dieser Begriff bezeichnet, was und wie viel davon transportiert werden soll. „Das Mengengerüst wird in enger Abstimmung mit der Truppe erstellt“, berichtet Hauptmann Ralf G*. „Hierbei wird auch erfasst, ob Gefahrgut unter dem zu transportierenden Material ist. Alles, was später verladen wird, ist in Ladelisten erfasst, die bei der Verladung überprüft werden.“ 

    Als Verkehrsoffizier und Leiter der Umschlagleitgruppe in Emden bearbeitet er den Vorgang, wenn er aus dem Bereich Planung und Disposition zur Durchführung übergeht. Das passiert, wenn das richtige Schiff identifiziert wurde. Doch wie findet man das?

  • Das Schiff Finlandia Seaways mit zwei Rampen: Links zum Oberdeck und rechts zum Unterdeck.
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    Transportraum

    Dazu wird zuerst ermittelt, wie viel Transportraum die Ladung braucht. Das ist der Platz, den die rund 100 Fahrzeuge und 60 Container benötigen, um abgestellt und sicher „angelascht“ zu werden. Mit Verlaschen ist das seetüchtige Befestigen am Boden des Schiffes gemeint. Denn bei einem Seeweg von knapp 2.000 Kilometern kann das Wetter wechseln und auch bei starkem Wellengang darf sich die Fracht nicht aus der Verankerung lösen. 

    Die Finlandia Seaways gehört zur dänischen Rederei DFDS und ist ein sogenanntes Ro-ro-Schiff (Roll-on-roll-off-Schiff). Das bedeutet, sie kann bewegliche Fracht wie Fahrzeuge transportieren. Diese gelangen über eine Rampe auf die befahrbaren Decks des 163 Meter langen Schiffes.

     „Es gibt drei Möglichkeiten, Transportraum für einen Seetransport der Bundeswehr zu generieren“, berichtet Korvettenkapitän Florian N. „Erstens, wie in diesem Fall, über einen Vollchartertransport. Das heißt, wir chartern ein ganzes Schiff und bieten selbsttätig eventuell übrig gebliebene Beladungskapazitäten anderen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partnern an, die Material zum gleichen Ort verlegen. Zweitens, wir suchen Transportraum bei multinationalen Partnern über das Movement Coordination Centre Europe, kurz MCCE. Oder drittens, wir streben eine zivilgewerbliche Nutzung über ein Ausschreibungsverfahren an.“

  • Verschiedene Fahrzeuge in Tarnfarbe stehen in Reihen nebeneinander.
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    Disposition

    Nachdem alle Transportdokumente vollzählig sind und ein Schiff mit passendem Transportraum gefunden ist, übernimmt die Umschlagleitgruppe. Hauptmann Ralf G. und sein Team mieten die notwendige Hafenfläche. Dabei werden teilweise Umschlagmittel bei der Hafengesellschaft mitgebucht wie zum Beispiel Container- oder Gabelstapler sowie Personal. 

    In Deutschland gibt es nur wenige Häfen, die über eine Ro-ro-Rampe verfügen. Die Bundeswehr verschifft über Emden und Rostock. „Somit haben wir einen Zugang zur Nord- sowie zur Ostsee, können gemäß der geplanten Route den Hafen auswählen und sogar zwei Verlandungen parallel durchführen“, erklärt Hauptmann Ralf G. 

    Die Überfahrt nach Norwegen startet in Emden. Der Hafen in Ostfriesland hat den Vorteil, dass hier militärische Logistik angeboten wird. Die für Norwegen vorgeschriebene Tierseuchenprophylaxe ist im Rahmenvertrag mit drin und wird von einer zivilen Firma übernommen.

    Ein Soldat vor einem Bürocontainer

    Hauptmann Ralf G. in seinem Element vor dem Bürocontainer im Hafen Emden

    Bundeswehr/Susanne Hähnel

    Für die Verladung wird im Vorfeld ein genauer Ablaufplan erstellt. Bei einem Volumen von 100 oder mehr Fahrzeugen, können diese beim Eintreffen auf dem Hafengelände nicht wild geparkt werden. Denn es gibt für jedes Fahrzeug einen von vornherein definierten Platz im Frachtraum. Dieser ist festgelegt im sogenannten Stauplan und orientiert sich an der Größe und Breite des Fahrzeugs sowie an der Art der Anlaschung. Damit unnötiges Umrangieren nicht Zeit und Geld kostet, werden die Fahrzeuge der Ladeliste nach sortenrein vor der Verladerampe in Kolonnen abgestellt und in exakt dieser Reihenfolge in den Bauch des Schiffes gefahren. Aber wer verfügt über die Fahrerlaubnis für einen Lkw und darf gleichzeitig auch das Kettenfahrzeug Hägglunds fahren?

  • Ein Soldat in Warnweste sitzt am Steuer eines Hägglunds mit geöffneter Seitentür.
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    Umschlagkompanie

    Ein weiterer Teil der Disposition ist das Anfordern von Unterstützungskräften, denn das Team von Korvettenkapitän Florian N. kann die umfangreiche Verladung sowie die Vor- und Nacharbeiten nicht alleine durchführen. Deshalb fordert er bei der Streitkräftebasis sogenannte Umschlagkräfte an. Diese sind ihm während des gesamten Prozesses fachlich unterstellt. Das heißt, er teilt die Soldatinnen und Soldaten ein und weist sie in ihre Aufgaben vor Ort ein. Angefordert werden auch Sanitätskräfte, die während der Verladung anwesend sind und im Falle einer Verletzung Erste Hilfe leisten können.

    Beim Transfer Emden–Sørreisa kommt das Logistikbataillon 163 RSOMReception, Staging, Onward Movement aus Delmenhorst zum Einsatz. Als Teil der Hafenumschlagkompanie sind die Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer in der Lage, die unterschiedlichen Fahrzeuge sicher auf das Schiff zu fahren und dort zu parken. Dazu verfügen sie über mehr als einen Führerschein. Stabsunteroffizier Pascal M.* hat die militärische Fahrerlaubnis für Lkw mit Anhänger und Kettenfahrzeuge. Er darf nach einer entsprechenden Einweisung auf dem Hafengelände sämtliche Fahrzeuge der Bundeswehr fahren wie den Panzermörser M113. Und das ist bei dieser Verladung gar nicht so einfach, denn jedes Fahrzeug hat einen individuellen Wendekreis, der eines Hägglunds' beträgt 15 Meter. 

    Aufgrund der Breite der Finlandia Seaways von 21 Metern und des Umstandes, dass im Unterdeck bereits mehrere Container gelagert wurden, konnten die Kameradinnen und Kameraden der Umschlagkompanie das Kettenfahrzeug oft nicht wenden. Das war insbesondere mit zwei Anhängern nicht durchführbar. Deshalb mussten die Kraftfahrenden die langen Gefährte rückwärts ins Schiff fahren. Kein leichtes Unterfangen, aber dank guter Einweisung trotzdem möglich. 

    Von der Leistungsfähigkeit ihrer Frauen und Männer überzeugte sich vor Ort zum ersten Mal die neue Kompaniechefin der 2. Umschlagkompanie Land/See des Logistikbataillons 163 RSOMReception, Staging, Onward Movement, Frau Kapitänleutnant Josephine V.*: „Es ist der erste Hafenumschlag in meiner neuen Funktion. Wir haben tolle Soldatinnen und Soldaten hier in Emden, die absolute Experten in ihrem Bereich sind und die Verladung professionell durchführen.“

  • Drei Männer in gelben Warnwesten im Gespräch
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    Supercargo

    Für spontan auftretende Probleme – wie beispielsweise die Rangierschwierigkeiten beim Hägglunds – und die Sicherheit sowie ständige Kontrolle der Ladung an Bord während der gesamten Überfahrt ist der sogenannte Supercargo verantwortlich. Er bespricht mit dem Kapitän der Fähre die Routen und kontrolliert, ob alles richtig verlascht ist. Das ist eine besonders wichtige Aufgabe, die in der Bundeswehr von derzeit zwei Reservisten übernommen wird – beide für sich ein Unikum in der Bundeswehr. In Emden war Fregattenkapitän Markus B.* in dieser Funktion tätig. 

    In seiner zivilen Verwendung ist er Schiffskapitän und Lotse in Brunsbüttel und damit bestens gerüstet als Supercargo. Diesen Job macht er bereits seit 40 Jahren und feiert in diesem Jahr nicht nur sein Dienstjubiläum, sondern geht auch in den verdienten Ruhestand. Die Verladung in Emden ist sein 1.000ster Reservistendienstleistungstag und auch sein letzter Einsatz. 

    Auch wenn sich der passionierte „Seebär“, Sporttaucher und Hobbyflieger in der neu gewonnenen Freizeit auf viele interessante Unternehmungen freuen kann, geht er doch mit einem weinenden Auge: „Mein Beruf kommt wirklich von Berufung, ich habe jeden Tag der vergangenen über 40 Jahre gerne gearbeitet und die vielen Reisen durch die ganze Welt genossen.“ 

  • Drei Soldaten in gelben Warnwesten gehen über ein leeres Schiffsdeck.
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    Zoll

    Doch bevor das Schiff den Hafen verlässt, kontrolliert der Zoll die Unterlagen. Diese stellt der Absender zusammen, in diesem Fall die Gebirgsjäger. Ist die Ladung samt Fähre freigegeben, steht dem Auslaufen nichts mehr im Wege. Als Letzter geht der Supercargo an Bord. Als Verantwortlicher für die Ladung ist seine Arbeit erst nach der Überfahrt beendet. 

    Das Gleiche gilt für Hauptmann Ralf G.* Der Leiter Umschlagleitgruppe fährt ebenfalls mit an den Polarkreis und sorgt im Hafen Sørreisa für eine geordnete Entladung. Er übergibt in Norwegen die Fahrzeuge und Container an die Gebirgsjäger. Sind Personal und Material ,,miteinander verheiratet“, wie es in Bundeswehr-Deutsch heißt, ist sein Auftrag beendet.

    Ein Soldat steht vor Kettenfahrzeugen der Bundeswehr

    Korvettenkapitän Florian N. vor der Kolonne der sortenrein aufgestellten Kettenfahrzeuge, die von den Kraftfahrenden der Umschlagkompanie verladen werden

    Bundeswehr/Susanne Hähnel

    Unregelmäßige Arbeitszeiten ist das Team von Korvettenkapitän Florian N. gewohnt. Unabhängig von Wochenenden und Feiertagen ist das Dezernat See- und Binnenwassertransport des Logistikzentrums der Bundeswehr im Einsatz. „Uns wird definitiv nie langweilig“, erklärt Hauptmann Ralf G. „Über 20 Hafenumschläge planen wir pro Jahr und durch die lange Vorlaufzeit, sind wir gedanklich bereits in 2025.“ 

    Die Mannschaft ist intrinsisch hochmotiviert und versteht sich als Servicedienstleister der Bundeswehr. Entsprechend hoch ist der Anspruch, den die Frauen und Männer an sich stellen. „Es ist unser Ziel, die Seetransporte optimal und zugleich so einfach und schonend wie möglich für den auftraggebenden Verband zu erfüllen“, versichert Korvettenkapitän Florian N. Als Möglichmacher der Streitkräftebasis bringen sie mit größtmöglicher Einsatzkraft Mensch und Material in den Einsatzraum.

    von Anja Ticheloven  E-Mail schreiben

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