Der Schirm ist gepackt, die Ausrüstung wird angelegt. Die Anspannung steigt. Nicht mehr lange und der Einsatz geht los. Der Auftrag: Einen vermutlich verlassenen Flugplatz weit hinter gegnerischer Linie besetzen und so einrichten, dass Verstärkung nachgezogen werden kann. Für diese anspruchsvolle Aufgabe ist der Fallschirmspezialzug ausgebildet. Im Zug hat jede Gruppe ihre Aufgabe. Das bedeutet, dass die Gruppen unterschiedliche Ausrüstung mit sich tragen. Manche Sachen müssen auf mehrere Soldaten aufgeteilt werden, so wie die Ausrüstung des Combat Control Teams oder des Maschinengewehrtrupps. Geht etwa verloren, kann der ganze Auftrag gefährdet sein. Daher überprüfen sich alle Soldaten gegenseitig, ob das Gurtzeug richtig angelegt ist. Keine Schlinge soll verdreht, jeder Verschluss muss geschlossen sein. Seinen Schirm packt dagegen jeder selbst. Den Soldaten ist jeder Handgriff dabei ins Blut übergegangen, trotzdem müssen sie jedes Mal konzentriert bei der Sache sein. Ihr Leben hängt davon ab.
Springen in das Einsatzziel
Der Sprung aus dem Flugzeug gehört zu ihrem Selbstverständnis so wie für die Luftwaffe das Fliegen. Nur wenige in der Bundeswehr können wie sie in den Einsatz gebracht werden.
Der Fallschirmspezialzug der Bundeswehr
Freifaller werden jene Frauen und Männer genannt, die aus Flugzeugen springen und sich punktgenau in das Einsatzziel lenken können. Das unterscheidet sie von den anderen Fallschirmjägern, die im Automatensprung mit Rundkappenschirmen aus niedriger Höhe abspringen. Freifaller gibt es bei den spezialisierten und den Spezialkräften.
Die Redaktion der Bundeswehr hat eine Woche lang den Fallschirmspezialzug aus dem Fallschirmregiment 31 aus Seedorf begleitet. Die Niedersachsen haben uns auf einem kleinen Flugplatz an der Ostsee in ihr rasantes Tagesgeschäft Einblick gewährt.
Fragen rund um den Fallschirmspezialzug
Gleitend in den Einsatz: Wer sind die Freifaller der Bundeswehr und was können sie leisten?
Der Fallschirmspezialzug wird den eigenen Kräften voraus auf sich allein gestellt eingesetzt. Dafür sind seine Soldatinnen und Soldaten im Sprung mit einem Flächenfallschirm ausgebildet. Dazu kommen Ausrüstung und schweres Gepäck. Der Zug soll Landezonen für Flugzeuge oder Absprungzonen für Fallschirmjäger erkunden. Das bedeutet, er sammelt so viele Informationen wie möglich vor Ort – von Wetterdaten bis hin zu Informationen über Infrastruktur und Gegner im Gebiet. Der Zug kann auch zur Unterstützung von Spezialkräften wie dem KSKKommando Spezialkräfte oder den Kampfschwimmern eingesetzt werden.
Der Fallschirmspezialzug ist ähnlich ausgerüstet wie ein normaler Infanteriezug. Zur Grundausstattung, die für den jeweiligen Auftrag noch ergänzt wird, gehören unter anderem: Das G36K A4 als Standardgewehr. Es ist das G36 mit kürzerem Lauf und Schulterstütze – optimiert für den Kampf im urbanen Gelände. Dazu kommt das MG 5 mit dem Kaliber 7,62 x 51 Millimeter als Schwerpunktwaffe. Zum Waffenmix gehören noch das G27P, das G28 und das MG 4. Außerdem kann der Zug mit der Panzerfaust 3 und Richtminen gepanzerte Fahrzeuge bekämpfen.
Neben herkömmlichen Funkgeräten verfügt der Fallschirmspezialzug auch über Geräte zur Satellitenkommunikation sowie Hochfrequenzfunkgeräte. Damit kann vor allem das Combat Control Team (CCT) als Einsatzleitgruppe Bewegungen im Luftraum koordinieren und über weite Entfernungen kommunizieren. Zur im Fallschirmjägerregiment einzigartigen Ausrüstung des CCT gehören außerdem ein Wetterballon, eine mobile Wetterstation, Feldmessgerät und Markierungsmittel für Landebahnen.
Abhängig vom Auftrag können die Soldaten des Fallschirmspezialzuges aus einer Höhe von bis zu 10.000 Metern (33.000 Fuß) abspringen. Für den Sprung aus dieser Höhe benötigt jeder Soldat ein Sauerstoffgerät.
Der Gleitflug am Schirm ist eine Möglichkeit, unerkannt weit und lautlos hinter die gegnerischen Linien zu kommen. Besonders dafür geeignet sind die Dämmerung und die Nacht. Abhängig von der Schirmöffnungshöhe, der Thermik sowie Windgeschwindigkeit und -richtung ist eine Gleitdauer von bis zu 45 Minuten über Strecken von 40 bis 60 Kilometern möglich. Eine Punktlandung in einem vorbestimmten Gebiet von bis zu 300 mal 300 Metern ist stets das Ziel des taktischen Gleitschirmsprungs. Das wird umso schwieriger, je weiter der Landepunkt entfernt ist und je ungenauer die zur Verfügung stehenden Daten sind.
Das hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise Luftwiderstand, der Fläche, die der Springer durch seine Körperhaltung anbietet, oder der Falldauer. Geschwindigkeiten von 250 bis 300 Kilometern pro Stunde sind schon gemessen worden.
Persönliche Ausrüstung direkt am Soldaten: circa 25 Kilogramm
Waffe (ohne Munition): 4 bis 8 Kilogramm
Taktisches Gepäck: circa 50 Kilogramm
Schirm: circa 23 Kilogramm
Absprunggewicht (Gesamtgewicht inklusive Körpergewicht): bis zu 260 Kilogramm
Berichte zum Fallschirmspezialzug
Die Redaktion der Bundeswehr war eine Woche bei einer Übung der Fallschirmexperten dabei.
Die Menschen hinter den Freifallern
Sie sorgen für den reibungslosen Ablauf eines Einsatzes des Fallschirmspezialzuges. Die Redaktion der Bundeswehr stellt sie vor:
Im Podcast: Der jüngste Freifalltruppführer der Bundeswehr
Sie nennen ihn „Katze“. Er ist 29 Jahre alt, Oberstabsgefreiter und Freifalltruppführer bei den Fallschirmjägern. Das heißt: Er macht etwas, das andere Menschen schaudern ließe: „Katze“ springt aus intakten Flugzeugen in die Tiefe.
Am Schirm hinter die feindlichen Linien: So läuft ein Einsatz ab
Was passiert beim taktischen Freifallsprungeinsatz? Die Männer des Fallschirmspezialzuges aus dem Fallschirmjägerregiment 31 aus Seedorf zeigen es. Eigentlich springen sie nachts oder in der der Dämmerung, damit sie unbemerkt weit hinter die gegnerischen Linien gelangen können. Für die Redaktion der Bundeswehr sind sie am Tag gesprungen und zeigen den Ablauf eines möglichen Einsatzszenarios.
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Die Vorbereitung
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Das Briefing
Alle sitzen auf gepackten Sachen. Die Vorbereitung ist abgeschlossen. Der Einsatzoffizier hat die aktuellen Wetterdaten. Mit einem Software-Programm berechnet er den optimalen Absetzpunkt aus dem Flugzeug. Diese Info geht an den Piloten und an den Truppführer. Beim Sprung gibt es einen ausgebildeten Experten, der in dieser Phase verantwortlich ist: Den Freifalltruppführer. Das ist in der Regel ein erfahrener Unteroffizier, aber seit kurzem können auch Mannschaften die Ausbildung dazu absolvieren. Er gibt die letzte Einweisung vor dem Besteigen des Flugzeugs. Nach dem Sprung orientieren sich alle an ihm – er gleitet voran. Trotzdem muss jeder Einzelne genau wissen, wo das Ziel ist. Daher hat jeder einen Navigationsträger vor sich befestigt mit Kreiselkompass, GPSGlobal Positioning System-Gerät und einem Höhenmesser am Arm. Für den Fall, dass man die anderen verliert. Für jeden geplanten Landepunkt wird ein Alternativpunkt bestimmt. Anhand von Satellitenbildern prägen sich die Soldaten prägnante Geländemarken ein, wie Eisenbahnlinien, Waldstücke oder Ortschaften. Manchmal hilft auch eine Skizze. Die wichtigsten Koordinaten und Daten notiert sich jeder.
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03
Der Flug
Die Motoren laufen, die C-160 Transall steht zum Abflug bereit. Der Truppführer hat seine Männer und Frauen beim Koordinator am Boden, dem Manifest, abgemeldet. In zwei Reihen warten die Soldatinnen und Soldaten, bis der Bordwartfeldwebel das Signal zum Aufsitzen gibt. Erst dann laufen alle los. Die Reihenfolge ist genau festgelegt. Im Flugzeug hat jetzt der Absetzer die Verantwortung. Er prüft nochmal die Bordliste und gleicht die Namen ab. Die letzten Wetterdaten vom Einsatzoffizier hat er auch per Funk bekommen. Ein kurzes Nicken zum Bordwartfeldwebel und er schließt die Laderampe. Das Tageslicht dringt nur noch über kleine Fenster in den vollen Transportraum der Transall. Die schummrig-warme Beleuchtung aus Leuchtstoffröhren springt an. Der Pilot bringt die Triebwerke auf volle Leistung und startet. Mit lautem Dröhnen hebt die voll beladene Maschine steil ab – alle halten sich fest.
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04
Der Sprung
Die vom Einsatzoffizier berechnete Zielkoordinate ist erreicht. Minuten zuvor hat der Pilot die Soldaten im Laderaum mit einem Lichtsignal informiert. Die letzten Gepäckstücke sind angezurrt und befestigt. Der in Kürze springende Trupp kann sich kaum mehr bewegen. Es ist unbequem. Wieder in zwei Reihen angetreten, stehen die Soldaten vor dem Absetzer. Der Bordwartfeldwebel hat die Laderampe schon geöffnet. Kalte Luft strömt in die Kabine. Jeder ist wach und konzentriert. Auf das Kommando des Absetzers springt einer nach dem anderen in die Tiefe. Die Abstände sind genau festgelegt. Wer hier zögert, verliert den Anschluss. Fast alle haben neben ihrer persönlichen Ausrüstung knapp 60 Kilogramm Zusatzgepäck dabei. Pro Freifaller verlassen bis zu 260 Kilogramm das Flugzeug. Mit etwas mehr als 250 Kilometer die Stunde rasen sie Richtung Erde. Doch der freie Fall dauert nur kurz. Das Sprungziel ist noch nicht erreicht – erst muss noch geglitten werden. Mit einem kurzen Ruck öffnet sich der Gleitschirm. Kurze Orientierung, Blick nach oben. Der Schirm hat sich komplett geöffnet. Ein Griff nach den Steuerleinen. Dann Stille.
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05
Das Gleiten
Wie ein Lindwurm ziehen sich die Freifaller lautlos am Himmel entlang. Grundsätzlich springen sie in der Dämmerung oder im Schutze der Dunkelheit. Der Truppführer ist als Erster gesprungen. Bis zu 22 Männer und Frauen folgen ihm jetzt. Er trägt die Verantwortung für sie. Sein Blick geht stetig von den Instrumenten seines Navigationsträgers in das Gelände. Er muss die Orientierung behalten und sehr genau nach vorgegebenen Koordinaten fliegen. Dabei muss er die Höhe und Geschwindigkeit ständig im Blick haben. Sein Ziel ist es, so lange wie möglich mit dem Wind zu gleiten. Sonst ist die Gefahr groß, dass die Springer zu früh landen. Ist der Wind jedoch stärker als angenommen, fliegen sie zu weit. Dann muss der Truppführer Wendemanöver durchführen. Am gefährlichsten sind für ihn Scherwinde. Das sind unterschiedlich starke Winde aus gegensätzlichen Richtungen. Diese sind besonders schwer einzuschätzen und führen dazu, dass ein ganzer Trupp vom Kurs abgetrieben werden kann. Mit Steuerleinen können die Soldaten aber ihren Kurs korrigieren. Die Leinen verstellen den Anstellwinkel des Flächenfallschirms. So können sie den Schirm lenken und auch seine Geschwindigkeit beeinflussen.
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06
Die Landung
Auf den letzten Metern geht der Blick durch die Beine in Richtung Boden. Gibt es Windmarker, die eine Windrichtung anzeigen? Ist ein Lande-T ausgelegt, das eine Landerichtung vorgibt? Stören Hindernisse auf der Landefläche? Im besten Fall gleitet man gegen den Wind langsam zum Boden. Mit einem Zug der Steuerleine auf Beckenhöhe geht der schnelle Fall in ein leichtes Abfangen über – den Flare. Die Springer landen auf beiden Beinen und laufen dann noch ein paar Schritte. Doch zuerst kommt das Gepäck an. An einer Leine befestigt, baumelt es seit der Auslöung im Flug ein paar Meter unter jedem Soldaten zwischen dessen Beinen. Ist die Landung geglückt, muss der Schirm eingefangen werden, ehe er vom Wind erfasst wird und den Springer mitreißt. Diese Phase ist für die Soldaten am gefährlichsten. Die Koordinierung der eigenen Kräfte ist für den Truppführer jetzt eine besondere Herausforderung. Erste Sicherung auslegen, prüfen, ob alle heil gelandet sind und dann erstmal sammeln. Der Schirm wird verpackt und verstaut. Er hat seinen Auftrag erfüllt – für die Soldatinnen und Soldaten beginnt er erst. Hinter der gegnerischen Linie ist der Fallschirmspezialzug komplett auf sich gestellt.
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07
Der Auftrag
Am Boden sind die Fallschirmspezialsoldaten Infanteristen, Fußsoldaten. Mit bis zu 60 Kilogramm Gepäck pro Mann oder Frau marschiert der Zug los. Der gefährlichste Abschnitt beginnt. Im Zug gibt es eine Gruppe, die in der Lage ist, einen behelfsmäßigen Flugplatz zu betreiben. Das Combat Control Team – kurz CCT. Es führt Hilfsmittel mit, um die Bodenbeschaffenheit für eine Landebahn zu prüfen, Messgeräte, um Wetterdaten zu ermitteln und Funkgeräte, um mit Flugzeugen und anderen Leitstellen kommunizieren zu können. Diese Gruppe ist ein wandelnder Flugplatz. Inklusive einer mobilen Wetterstation und einem „Flugtower auf zwei Beinen“, denn der Gruppenführer ist ein lizenzierter Fluglotse. Er koordiniert die Bewegungen im Luftraum, wenn Verstärkung nachgezogen wird. Dieser Soldat ist jetzt der wichtigste Mann im Fallschirmspezialzug. Der gesamte Zug schützt ihn und sichert das CCT bei seiner Arbeit. Scheitert diese Gruppe, ist der ganze Zug auf sich gestellt hinter gegnerischer Linie. 72 Stunden können die Soldaten durchhalten, so lange reichen Verpflegung und Munition. Doch zunächst müssen sie den zuvor aufgeklärten verlassenen Flugplatz finden. Bisher hat sie niemand bemerkt.
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08
Die Verstärkung
Der Fallschirmspezialzug hat den verlassenen Flugplatz besetzt. Es sind keine Gegner da. Die Truppe sicher die Gegend. Das CCT hat sich an die Arbeit gemacht und den Flugplatz geprüft. Die Landebahn ist markiert, die Kommunikation steht. Mit dem Feldmessgerät, einem Penetrologger, hat die Gruppe systematisch geprüft, wie dicht der Untergrund der Landebahn ist. Ihr Gerät zeigt an, dass sogar eine C-160 Transall landen kann. Das sind gute Nachrichten: Mit ihr kann schnell Verstärkung nachgezogen werden. Die Wetterdaten, übertragen von einem Wetterballon und einer mobilen Station, sind optimal. Das CCT überträgt alle Informationen verschlüsselt per Satelittenkommunikation an die eigenen Kräfte. Der Einsatzleiter gibt eine Startfreigabe. Die Verstärkung startet. Frische Soldaten kommen mit schwerem Gerät an und richten eine kampfstarke Sicherung ein. Die erschöpften Soldaten des Fallschirmspezialzuges werden abgelöst. Sie können sich ausruhen und auf den nächsten Auftrag vorbereiten.