Freudentränen am Todestreifen: 30 Jahre Berliner Mauerfall

„Niemand“ hatte angeblich den Bau der Mauer geplant, wie der ehemalige Staatsratsvorsitzende der DDR Walter Ulbricht 1961 log, aber auch niemand ihren Fall 28 Jahre später. Ein Versehen und Mut zum Handeln brachte sie zum Einsturz. Welche Ereignisse in der deutsch-deutschen Schicksalsnacht führten zu den glücklichen Entwicklungen und Bedingungen, die wir heute als alltäglich erleben?

Männer mit NVA-Mützen umarmen sich

Die Pressekonferenz

Am Abend des 9. Novembers 1989 verkündete Günter Schabowski, Mitglied des SEDSozialistische Einheitspartei Deutschlands-Politbüros, auf einer Pressekonferenz des politischen Führungsgremiums der DDR in Berlin die neue Reiseregelung des DDR-Ministerrates: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. […] Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD beziehungsweise zu Berlin (West) erfolgen“.

Auf Nachfrage eines Journalisten zum Eintritt der Regelung sagte Schabowski stockend: „Nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“ Diese Antwort löste einen Ansturm der Ostberliner auf die Grenzstellen aus, denn viele interpretierten die Worte als Möglichkeit der sofortigen Ausreise in den Westen.

DDR-Bürger versammeln sich an Grenzübergängen

Ein Trabant wird am Grenzübergang von Menschen empfangen.

Fröhlicher Empfang: Innerhalb eines Tages überquerten etwas 68.000 Menschen und 10.000 Fahrzeuge die Grenze.

imago

Nach Ausstrahlung der Pressekonferenz im Fernsehen versammelten sich hunderte Menschen vor den Grenzübergangsstellen. Der Druck auf die bewaffneten Grenztruppen wuchs von Stunde zu Stunde.

Eine friedliche Reaktion der Soldaten war nicht sicher, denn sozialistische Regimes hatten in der Vergangenheit oft gewaltvoll auf Bürgerbewegungen geantwortet: In der DDR bereits 1953, während des Prager-Frühlings 1968, oder nur fünf Monate zuvor beim Tiananmen-Massaker in Peking.


Tanz auf der Mauerkrone

Die Grenzsoldaten erhielten weder Informationen, noch Befehle von ihrer Führung. Wegen des steigenden Andrangs öffnete der diensthabende Offizier an der Bornholmer Straße den Grenzübergang in eigener Verantwortung und löste damit eine Kettenreaktion aus. Grenzstelle für Grenzstelle folgte seinem Beispiel.

Erst zögernd, dann entschlossen, strömten die versammelten Bürger jubelnd über die Grenze. Viele DDR-Bürger klopften den verdutzten, aber friedlichen gebliebenen Grenzsoldaten auf die Schulter und umarmten sie.

In den Morgenstunden saßen Bürger aus West- und Ostberlin gemeinsam auf der Mauerkrone. Walter Momper, Westberlins regierender Bürgermeister, sagte: „Wir Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk auf der Welt.“

Bis zum nächsten Tag wechselten etwa 68.000 DDR-Bürger und 10.000 Fahrzeuge die Seiten.

Mauerbeton zu Erinnerungsstücken

DDR-Grenzsoldaten stehen neben einem Wachturm an der Berliner Mauer.

Jahrezehnte wurde der sogenannte Todesstreifen streng bewacht.

imago/Günter Schneider

Nur eine Nacht später, vom 10. auf den 11. November 1989, brachen so genannte Mauerspechte die ersten Teile aus dem Stahlbeton und verwandelten sie zu Erinnerungsstücken.

Zwei Tage zuvor war der Grenzbereich noch ein hochgesichertes Sperrgebiet mit über 300 Wachtürmen, Suchscheinwerfern und Schießscharten. Die rund vier Meter hohe Mauer umschloss Westberlin vollständig und sperrte alle Ostberliner aus. Straßen, Schienen und Wohngebiete waren durchschnitten, viele Familien für 28 Jahre zerrissen. Für die DDR-Bevölkerung existierte die Mauer nicht als „antifaschistischer Schutzwall“, wie von der Führung bezeichnet, sondern als Todesstreifen. Denn mindestens 140 Menschen hatten ihren Fluchtversuch mit dem Leben bezahlt.


Eine gefalle Mauer, eine vereinigte Armee

Im Jahr 1961 riegelte die DDR Ostberlin über Nacht ab und zog die Berliner Mauer hoch. Wenige Tage zuvor sagte Walter Ulbricht als Vorsitzender des Staatsrats noch: „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen.“

In den folgenden Jahren baute die DDR die Mauer immer weiter aus, bis kaum eine Lücke oder Schlupfloch mehr zu finden war. Ab 1975 bilden die L-förmigen Betonelemente mit Scheitelrohr und Panzersperren eine 155 Kilometer lange Grenze.

Über die Existenzdauer der Mauer sollte sich der einstige Staatsratsvorsitzende Erich Honecker irren, der noch im Januar 1989 überzeugt war: „Die Mauer … wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben.“

Am 3. Dezember 1989 traten sein Nachfolger, der DDR-Staatratsvorsitzende Egon Krenz, und das gesamte Politbüro zurück. Im selben Monat beschloss die neue DDR-Übergangsregierung den Abriss der Berliner Mauer und des Grenzsicherungssystems. Mit der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990 wurden die letzten Grenzkontrollen zwischen den beiden deutschen Staaten eingestellt.

Nach dem Mauerfall begann der Eiserne Vorhang Stück für Stück von der Stadtkarte Berlins zu verschwinden. Die letzten Elemente der Mauer wurden, bis auf wenige Überbleibsel als Gedenkstätte, im November 1990 entfernt – ein Jahr nach dem sie gefallen war und etwa einen Monat nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990. Die Nationale Volksarmee wurde aufgelöst und in die Bundeswehr integriert, in eine Armee der Einheit, in der ehemalige Feinde zu Kameraden wurden.

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