Pilot in zwei Armeen: Fliegen und fliegen lassen
Pilot in zwei Armeen: Fliegen und fliegen lassen
- Datum:
- Ort:
- Bückeburg
- Lesedauer:
- 3 MIN
Oberstleutnant Steffen Kaschel ist seit 40 Jahren Soldat. Die meiste Zeit hat er als Hubschrauberpilot gedient – in der NVANationale Volksarmee und bei der Bundeswehr. Heute bildet er in Bückeburg den fliegerischen Nachwuchs der Bundeswehr und befreundeter Nationen aus – Männer und Frauen, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung zumeist noch nicht mal geboren waren.
Klack, klack, klack. Mit routinierten Handgriffen legt Oberstleutnant Steffen Kaschel im Cockpit einen Kippschalter nach dem anderen um. Das Heulen der Triebwerke verstummt und der Rotor der EC 135 kommt langsam zum Stehen. Steffen Kaschel, Nickname Steve, haut seinem Flugschüler auf die Schulter. „Gut gemacht.„ Nach den fälligen Checks an der Maschine gehen die Männer über die Flight zurück. Noch immer gestikulierend, den Flug auswertend.
Drahtiger Endfünfziger mit über 5.000 Flugstunden
Kaschel ist Leiter des Simulatorzentrums am Internationalen Hubschrauberausbildungszentrum der Bundeswehr in Bückeburg. Ein drahtiger Endfünfziger mit Halbglatze und wachen Augen. Ein Fluglehrer mit über 5.000 Flugstunden. Die Wände seines winzigen Büros sind mit Urkunden und Erinnerungsbildern ehemaliger Flugschüler tapeziert. Ein gemeinsames Foto mit der Kanzlerin ist auch dabei. Und ein Bild mit persönlicher Widmung des ehemaligen Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan. „Dank für viele sichere Starts und Landungen“ ist dort zu lesen.
Dienstantritt 1980 bei der NVANationale Volksarmee
Er hat sie alle geflogen, damals, bei der Flugbereitschaft in Berlin. Das ist nicht so selbstverständlich, wie man glauben könnte. Der spätere Viersterne-General Schneiderhan war eben erst Major geworden, als der junge Kaschel 1980 seinen Dienst antrat – bei der NVANationale Volksarmee, der Nationalen Volksarmee der DDR. „Ausgerechnet am 13. August 1980 bin ich eingetreten. Dem Jahrestag des Mauerbaus“, erinnert sich Kaschel. Eigentlich hatte er Ende der Siebzigerjahre im sächsischen Königsbrück eine Lehre zum Autoschlosser absolviert – nur ein paar hundert Meter vom damaligen Institut für Luftfahrtmedizin der NVANationale Volksarmee entfernt.
Schwieriger Weg ins Cockpit
„Und dann wurde ich eher zufällig zu verschiedenen Eignungstest dorthin eingeladen.“ Kaschel, der Ex-Leistungssportler, besteht die umfangreichen Tests ohne Probleme. Sein persönliches Ziel ist bald klar. Er will fliegen und das geht in der DDR nur bei der Armee. Der Weg ins Cockpit ist auch bei der NVANationale Volksarmee kein Zuckerschlecken. Doch Kaschel beißt sich durch. Zwischenzeitlich gerät er ins Visier der Staatssicherheit, wird von einem Kameraden bespitzelt. Aber mit der Unterstützung von Vorgesetzten kann er schließlich doch Flieger werden.
Als politischer Unsicherheitsfaktor im Transporthubschrauber
„Eigentlich wollte ich den Kampfhubschrauber Mil Mi-24 fliegen.“ Dazu kam es aber nicht, weil er bei der Staatssicherheit als „politischer Unsicherheitsfaktor“ galt. Leutnant Kaschel wird zum Transporthubschraubergeschwader 34 nach Brandenburg-Briest versetzt und fliegt auf der Mi-8. Neben Transportaufträgen und Seenotrettung in Peenemünde gehörte auch das Verbringen von Luftlandetruppen zum Auftragsprofil. Tief, schnell und dreckig lautet die Maxime der Piloten.
Komisches Gefühl beim Einholen der Truppenfahne
Mit der Wende bricht für den jungen Familienvater eine herausfordernde Phase an. „Wirre Zeit“, sagt er über den Sommer 1990. „Wir wussten nichts Genaues und dachten, wir kommen erstmal in Gefangenschaft. Es war ein komisches Gefühl, als die Truppenfahne eingeholt wurde.“ Kaschel gehört zu den NVANationale Volksarmee-Soldaten, die am 3. Oktober 1990 vorläufig in die Bundeswehr übernommen werden. Er wird im Dienstgrad zurückgestuft und fliegt mit seiner Mi-8 im Luftrettungsdienst auf dem Gebiet der neuen Bundesländer.
Berufssoldat auf den letzten Drücker
Nach zwei Jahren ist er aufgrund eines Behördenfehlers im Grunde schon raus. „Am letzten Tag kam mein damaliger Chef mit den Papieren für die Verpflichtung als Berufssoldat nach Holzdorf und hat sie eigenhändig mit dem Hubschrauber nach Strausberg geflogen.“ Kurz darauf wechselt Kaschel zur Flugbereitschaft des BMVgBundesministerium der Verteidigung in Berlin. Als Hubschrauberpilot fliegt er dort Muster wie die Mi-8 und die Bell UH-1, später auch die AS 332 Cougar. Seine Passagiere sind Generäle und Staatssekretäre, Kanzler, Bundesminister und deren Gäste.
Luftwaffenoffizier bei den Heeresfliegern
Seit 2006 dient Kaschel in Bückeburg und hat hier mit dazu beigetragen, etliche nationale und internationale Jahrgänge zu Hubschrauberpiloten auszubilden. „Als Luftwaffenoffizier bei den Heeresfliegern“, sagt er und klopft lachend auf seine blaue Fliegerkombi. „Die gebe ich nicht mehr her.“ Nach 40 Jahren in Uniform, drei Viertel der Zeit bei der Bundeswehr, gehört er zu den letzten ehemaligen NVANationale Volksarmee-Offizieren in der Truppe. Und sein Rückblick mit noch etwa zwei Jahren Restdienstzeit? „Ich wollte immer fliegen. Und das hat mir die Bundeswehr ermöglicht. Dafür bin ich sehr dankbar.“