Interview: Armee der Einheit ist beispielgebend für den Einigungsprozess

Interview: Armee der Einheit ist beispielgebend für den Einigungsprozess

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30 Jahre Deutsche Einheit – aus diesem Anlass hat die Redaktion der Bundeswehr ein Interview mit Oberst Thomas Milster geführt. Er stammt aus Ostdeutschland. Milster leistet derzeit Reservistendienst im Bundesministerium der Verteidigung ab.

Oberst Thomas Milster nimmt an der EinheitsEXPO „30 Jahre – 30 Tage – 30x Deutschlandin Potsdam teil. Er ist einer von 30 Bürgerinnen und Bürgern, die in einer Videoinstallation unter dem Titel „Geteilte Geschichte(n)“ zu Wort kommen. Die Collage zeigt Beispiele für Biografien und Wünsche zur Deutschen Einheit auf, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner bisherigen Amtszeit begegnet sind.

Porträt von Oberst Milster

Oberst der Reserve Thomas Milster leistet gerade Reservistendienst im BMVgBundesministerium der Verteidigung

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Sie stammen aus Ostdeutschland. Wie ist – kurz skizziert – Ihre Biografie?

Kurz ist für einen lebensälteren Menschen nicht ganz einfach. Geboren bin ich 1962 in Schwerin. Nach Abschluss der 10. Klasse habe ich den Beruf eines Agrotechniker-Mechanisators mit Abitur erlernt. Von dort aus ging es direkt zum Studium an die Offiziershochschule nach Zittau – Truppengattung Artillerie der Landstreitkräfte.

1985 wurde ich zum Offizier ernannt und nach Dabel ins Artillerieregiment 5 versetzt. Dort war ich zur Zeit des Mauerfalls als Oberleutnant und Chef einer Artilleriebatterie tätig. Nach kurzer Phase der Orientierung, dann schon unter Führung von Vorgesetzten aus der „alten„ Bundeswehr, habe ich den Entschluss gefasst, den Antrag zur Übernahme als Berufssoldat zu stellen.

Wie ging es dann weiter?

Nach Übernahme habe ich die Verwendungen Batteriechef, S4-Offizier und S3-Stabsoffizier des Panzerartilleriebataillons 405, Inspektionschef an der Nachschubschule des Heeres, Kommandeur des Panzerartilleriebataillons 2, Abteilungsleiter 1 am Logistischen Übungszentrum der Logistikschule der Bundeswehr, Hörsaalleiter und Tutor für Offizierslehrgänge an der Führungsakademie der Bundeswehr und schließlich Protokolloffizier im Bundesministerium der Verteidigung durchlaufen. Einsatzerfahrung konnte ich 2001 und 2005 sammeln. Privat bin ich seit 1984 verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder.

Welche Wünsche haben Sie zur Deutschen Einheit?

Wir leben wohlbehütet in einem tollen Land – ohne tiefgreifende existenzielle Sorgen. Die sozialen Systeme unserer Gesellschaft sind mit Sicherheit nicht perfekt, suchen aber weltweit ihresgleichen. Mein Wunsch ist, dass alle Bewohner unseres Landes sich dies öfter vor Augen führen und erkennen, dass Extremismus, Missmut und Missgunst nicht zielführend für eine gemeinsame Zukunft in diesem unserem Land sind. Speziell zur Einheit Deutschlands würde ich mich über etwas mehr Geduld und Optimismus freuen. Wir sollten eigentlich eher stolz auf das Erreichte sein, als alles nur kleinzureden beziehungsweise zu kritisieren. Ich habe die sogenannte „Diktatur des Proletariats“ erlebt. Das System können wir wirklich nicht wiederhaben wollen.

Wir dürfen in diesem Jahr 30 Jahre Deutsche Einheit feiern – damit ist untrennbar verbunden die Armee der Einheit. Was sind Ihre persönlichen Erinnerungen an diesen Prozess des Zusammenwachsens?

Prägend für mich war und ist die gelebte Kameradschaft der Soldaten untereinander. Das war, glaube ich, auch das Rezept für ein schnelles und reibungsloses Zusammenwachsen in der „neuen“ Bundeswehr. Wenn ich versuche, mich in die Köpfe der Soldaten der „alten“ Bundeswehr hineinzuversetzen, habe ich heute noch immer größten Respekt vor der wohltuenden Offenheit im Umgang miteinander. Sicher hatten Einzelne starke Vorbehalte und Vorurteile. Die, und das durfte ich persönlich erfahren, wurden aber im täglichen Dienst schnell zur Nebensache. Meiner Überzeugung nach verlief der Prozess des Zusammenwachsens in der Bundeswehr deutlich schneller und intensiver als in vielen anderen Teilen der Gesellschaft. Heute ist das Thema Soldaten aus Ost und West aus meiner Sicht so gut wie nicht mehr existent.

Hatten Sie persönliche Nachteile bei der Übernahme in die Armee der Einheit?

Schauen Sie sich meine Biografie an. Kenner des Personalgeschäftes in der Bundeswehr können hier keine Nachteile erkennen. Mein persönlicher Einsatz in all meinen Verwendungen, wenn auch leider oft zum Nachteil eines geordneten Familienlebens, hat sich hinsichtlich meiner Entwicklung als Soldat immer ausgezahlt.

Welchen Beitrag hat die Armee der Einheit zum Einigungsprozess insgesamt geleistet?

Der geräuschlose und schnelle Prozess des Zusammenwachsens war sicher für andere Teile unserer Gesellschaft beispielgebend und hat gezeigt, dass und wie es gut klappen kann.

Wie haben sich Lebenserfahrungen von ehemaligen NVANationale Volksarmee-Angehörigen und Lebenserfahrungen von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gegenseitig beeinflusst? Hat sich das möglicherweise auch positiv auf die Bundeswehr insgesamt ausgewirkt?

Die schulische und berufliche Ausbildung in der ehemaligen DDR war meiner Meinung nach sehr gut. Wenn wir mal den ständigen Versuch der politischen Einflussnahme des Staates weglassen, brauchte sich auch ein ehemaliger Angehöriger der NVANationale Volksarmee mit seinen fachlichen Kenntnissen und seinem Allgemeinwissen nicht zu verstecken. Der Wechsel in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten der Bundeswehr war aus fachlicher Sicht sowie auch in der Funktion des Vorgesetzten damit eher unproblematisch für mich. Generell gesagt ist für einen Soldaten das Führen und geführt werden ja Bestandteil seines beruflichen Selbstverständnisses. Die Sprache der Soldaten der ehemaligen NVANationale Volksarmee und der Bundeswehr war somit gar nicht so arg unterschiedlich. Das Lernen voneinander war also mehr der Persönlichkeit des jeweiligen Soldaten geschuldet als der Herkunft.

Sie stärken mit Ihrer Übung im BMVgBundesministerium der Verteidigung derzeit die Reserve. Welchen Stellenwert messen Sie im nunmehr 30. Jahr der Wiedervereinigung der Reserve für unser Land zu – etwa unter dem Aspekt Landes- und Bündnisverteidigung?

Neuerdings sagen wir Reservistendienstleistung. Also übe ich nicht, sondern leiste Reservedienst. Aus meiner Sicht ist die Reserve nicht nur für den aktiven Führer im Gefecht unverzichtbar. Die Landes- und Bündnisverteidigung ist ein wesentlicher und wichtiger Aspekt. Eine starke Reserve muss zwingend vorgehalten werden, um aktive Soldaten zu verstärken oder Personallücken schließen zu können. Zudem sehe ich zusätzlich eine starke Bindung an den zivilgesellschaftlichen Bereich. Diese Kräfte gilt es zu erhalten, auszubilden und schließlich für die Sache nutzbar zu machen.

von Jörg Fleischer

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