Geburt im Panzer: „Schneebaby” Anica kommt im Winter 1979 im M113 zur Welt

Geburt im Panzer: „Schneebaby” Anica kommt im Winter 1979 im M113 zur Welt

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
3 MIN

Winter 1979: Die Schneekatastrophe schneidet ganze Orte von der Außenwelt ab. Die Menschen verweilen in ihren Häusern und warten auf einen Wetterumschwung – auch die hochschwangere Gisela Ehlers. Dann setzen die Wehen ein – der Beginn einer außergewöhnlichen Geburt: „Schneebaby” Anica kommt in einem Bundeswehr-Panzer zur Welt.

Eltern stehen neben dem Soldaten, der ihr Baby hält.

Bekannt als „Schneebaby”: Anica Ehlers lebt wieder in ihrem Heimatort Hellingst. Dort kennt sie jeder als das „Schneebaby”

privat

Die Oma fragte noch, ob meine Mutter nicht langsam mal ins Krankenhaus wolle in Anbetracht der fortgeschrittenen Schwangerschaft und der Wetterverhältnisse. Doch sie lehnte ab”, berichtet Anica Ehlers von den Erzählungen ihrer Eltern. Diese Entscheidung sollte Anica später als „Schneebaby” überregional bekannt werden lassen.

Ein Durchkommen auf den zugeschneiten Straßen war unmöglich: Schneeverwehungen ließen kaum Sicht zu. Auch Rettungsfahrzeuge und Hubschrauber hatten keine Chance, durch das Schneechaos zu gelangen. Die letzte Hoffnung für die in den Wehen liegende Gisela Ehlers: die Bundeswehr. „Die Rettungsleitstelle informierte die Bundeswehr und forderte einen Panzer an”, berichtet die heute 41-jährige Anica Ehlers.

25 Kilometer bis zum Krankenhaus

Aus der Lützow-Kaserne in Schwanewede setzte sich daraufhin ein Transportpanzer vom Typ M113 in Bewegung. Er konnte jedoch nur sehr langsam durch die Schneemassen fahren. Eine gefühlte Ewigkeit verging für die Familie, bis das Kettenfahrzeug endlich vor der Haustür in dem 400-Seelen-Ort Hellingst stand. „Eine Hausgeburt war damals keine Option. Deswegen musste meine Mutter auf jeden Fall ins Krankenhaus”, erläutert Anica Ehlers.

Transportpanzer M113 fährt auf eienr Straße

Transportpanzer M113: In so einem Panzer kam Anica Ehlers am 15. Februar 1979 zur Welt

Bundeswehr/Matthias Zins

Gisela und Ehemann Carl-Heinz zwangen sich in den engen, kalten Panzer. 25 Kilometer Wegstrecke lagen bis zum Krankenhaus vor ihnen. „Da der Fahrer nichts sehen konnte, musste einer der Soldaten immer herausschauen. Es wurde also noch kälter im Panzer. Geheizt wurde nicht.”

Eine Weiterfahrt war zwecklos

Mit an Bord: ein Arzt der Bundeswehr. „Er kannte sich aber nicht mit Geburten aus und war überfordert.” Der Hausarzt der Familie Ehlers sollte auf der Hälfte des Weges einsteigen. Doch so viel Zeit hatte die werdende Mutter nicht mehr. Die Fruchtblase platzte. Schnell war klar: Eine Weiterfahrt war zwecklos, das Mädchen wollte an Ort und Stelle auf die Welt kommen.

Carl-Heinz stand seiner Frau nicht nur bei, sondern wurde kurzerhand zum Geburtshelfer. In dem kalten Panzer, mitten auf einer Landstraße, kam so am 15. Februar 1979 „Schneebaby” Anica gesund und munter auf die Welt. „Meine Eltern hatten zu keiner Zeit Sorge, dass etwas schiefgehen könnte. Meine Mutter fühlte sich zu jeder Zeit in guten Händen und gut umsorgt.” Erleichtert und froh über die gelungene Geburt – trotz der widrigen Umstände – setzte der Panzer die Fahrt zum Krankenhaus fort. Ein unvergessliches Erlebnis für die Familie und die beteiligten Soldaten.

Frau mit ihrem Baby in einem Krankenhausbett

Im Krankenhaus: Mutter Gisela und "Schneebaby" Anica sind wohlauf

privat

Soldaten als Taufpaten

Anica Ehlers kann sich natürlich nicht an die Ereignisse erinnern, doch sie prägen ihr ganzes Leben. „Auf Geburtstags- und Familienfeiern ist es immer wieder Thema. In meinem Umfeld kennt jeder die Geschichte. Wer neu hinzukommt, der bekommt sie schnell zu hören”, sagt Ehlers mit einem Lachen. Auch TV-Shows und Medien haben Interesse daran. „Ich werde angefragt für Sendungen oder Berichte. Ich schaue mir dann aber genau an, worum es sich handelt.” Zudem ist sie Mitglied einer Facebook-Gruppe für Menschen mit außergewöhnlichen Geburtsorten. „Von denen gibt es mehr, als man denkt. Sie kamen beispielsweise in Flugzeugen und Taxen zur Welt. Eine Geburt im Panzer ist aber sehr ungewöhnlich.”

Die Bundeswehr begleitete Anica Ehlers ebenfalls viele Jahre ihres Lebens. „Es waren immer Soldaten zu meinen Geburtstagen da. Sie sind auch meine Paten.” Genau genommen sei die Lützow-Kaserne als Taufpate eingetragen. Zu Familienfeiern sei immer eine Abordnung gekommen. „Und wir wurden zu Ereignissen in die Kaserne eingeladen.” Der Standort wurde jedoch im Jahr 2015 aufgelöst. „Seither ist der Kontakt leider etwas verloren gegangen”, bedauert die 41-Jährige.

Sie habe sogar mal in Erwägung gezogen, selbst Soldatin zu werden. „Damals waren Frauen an der Waffe aber noch nicht erlaubt.” So entschied sie sich zu einer Ausbildung als Erzieherin. Ihre besondere Bindung zur Bundeswehr werde sie aber nie verlieren.

von Amina Vieth