Ein Überblick: Die Geschichte der Bundeswehr
Ein Überblick: Die Geschichte der Bundeswehr
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1949/50 begannen westdeutsche Politiker und ehemalige Soldaten erstmals, über neue Streitkräfte nachzudenken. Die Blockkonfrontation zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion war Anlass genug zu überlegen, wie sich die entstehende Bundesrepublik Deutschland schützen könnte.
Im Kloster Himmerod kamen im Oktober 1950 ehemalige Soldaten auf Weisung von Bundeskanzler Konrad Adenauer und mit Billigung der USA zusammen, um über einen deutschen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas zu diskutieren. Ihre Überlegungen fassten sie in einem Protokoll zusammen. Aber zuvor hatten schon andere ehemalige Soldaten und der Bundesbauminister (und Oberst a. D.außer Dienst) Eberhard Wildermuth dem ersten Bundeskanzler Adenauer ihre Gedanken dazu übermittelt. Es kam letztlich auf die künftigen Alliierten und hier vor allem die USA an, ob und wie eine Wiederbewaffnung erfolgen sollte.
Zwischen 1950 und 1954 verhandelten Delegationen der Bundesrepublik und der westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges über westdeutsche Streitkräfte. Der Deutschlandvertrag von 1952 ebnete den Weg, sollte aber zu einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft führen, die letztlich 1954 scheiterte: Frankreich war nicht bereit, in dieser überstaatlichen Organisation seine Truppen einem gemeinsamen Oberbefehl unterzuordnen. Die Bundesrepublik Deutschland wurde deswegen in die NATONorth Atlantic Treaty Organization „eingeladen“. Der Beitritt erfolgte am 9. Mai 1955.
Die Aufstellung der Bundeswehr
Die Aufstellung der Bundeswehr war ein Kraftakt. Am 12. November 1955 erhielten die ersten 101 freiwilligen Soldaten, überwiegend ehemalige Offiziere, ihre Ernennungsurkunden. Ab Januar 1956 begannen die Streitkräfte mit der schrittweisen Aufstellung ihrer Ausbildungsverbände und Truppenschulen. Das Ziel, innerhalb von fünf Jahren der NATONorth Atlantic Treaty Organization 500.000 Soldaten bereitzustellen, ließ sich nicht einhalten. Trotz alliierter Ausbildungs- und vor allem Materialhilfe, einem gestreckten Aufstellungsplan und der seit 1957 bestehenden allgemeinen Wehrpflicht gelang es erst Ende der 1960er-Jahre, die versprochene Truppenstärke annähernd zu erreichen.
Zwölf Divisionen galten dabei seit Himmerod als „Rechengröße“. Tatsächlich hat das Heer bis 1961 diese Divisionen, aber erst in den 1980er-Jahren die damit verbundenen 36 Brigaden des Feldheeres aufgestellt. Um 1985 hatte die Bundeswehr dann – teilstreitkraftübergreifend – ihre größte Kampfkraft erreicht: Sie verfügte über rund 70 aktive Panzer- und 85 Artilleriebataillone, 13 fliegende Kampfverbände und 200 Boote und Schiffe in der Marine bei nominell 495.000 Soldaten im Frieden und über 1,2 Millionen im Verteidigungsfall.
Staatsbürger in Uniform und Innere Führung
Die parlamentarischen Vorbereitungen für die Aufstellung der Bundeswehr leisteten vor allem der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages und seine Vorläufer. Dort war man sich schnell einig, dass die künftigen Streitkräfte, anders als in der Geschichte zuvor, in den demokratischen Staat einzubinden und dem Primat der Politik eindeutig unterzuordnen seien. Daraus resultierten zahlreiche Gesetze, nicht zuletzt das „Gesetz über die Rechtsstellung des Soldaten“, das Soldatengesetz. Es legt bis heute fest, dass der Soldat die gleichen Rechte und Pflichten wie jeder andere Bundesbürger besitzt – mit wenigen, berufsbedingten Ausnahmen.
Über diese Einordnung der künftigen Staatsbürger in Uniform gab es in den frühen Jahren der Bundeswehr immer wieder Konflikte: Älteren Soldaten ging die Unterordnung des Militärs unter die Politik zu weit, andere Soldaten empfanden die politische Kontrolle als Einmischung und jüngere Soldaten, die „Leutnante 70“ beispielsweise, empfanden das Berufsverständnis der älteren Soldaten als unzeitgemäß. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, 1956 als Hilfsorgan des Bundestages und Ombudsman der Soldaten etabliert, bemängelte in den jungen Jahren der Bundeswehr zahlreiche Verstöße gegen die Menschenwürde und übertrieben harte Ausbildung. Dabei steht die Innere Führung nicht im Widerspruch zu einer harten und fordernden Ausbildung, wenn diese notwendig ist.
Landesverteidigung, Bündnisverteidigung, Out-of-area-Einsatz
Von Anfang an für die Verteidigung im Bündnis an der innerdeutschen Grenze aufgebaut und strukturiert, stand und steht die Bundeswehr immer an der Seite der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partner. Die friedliche Revolution in einigen osteuropäischen Staaten 1989 und der Fall der Berlin Mauer eröffnete für die beiden deutschen Staaten den Weg zur Vereinigung. Seit dem 3. Oktober 1990 ist Deutschland in Frieden vereint und ein vollkommen souveräner Staat. Viele glaubten, Deutschland sei fortan „von Freunden umzingelt“ und die Bündnisverteidigung scheine überflüssig. Die Streitkräfte in Europa wurden reduziert, wie es internationale Vereinbarungen zur Abrüstung vorsahen.
Da das souveräne Deutschland auch mehr Verantwortung in der Welt wahrnehmen musste – auch, weil es andere Staaten von Deutschland erwarteten –, musste die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik neue Wege suchen: Am Zweiten Golfkrieg 1991 beteiligte sich Deutschland nicht, leistete aber Materialhilfe für die Koalition der Vereinten Nation gegen den Irak im Umfang von circa 17 Milliarden D-Mark. 1992 entsandte Deutschland Sanitäter nach Kambodscha, ursprünglich zur Versorgung der UNUnited Nations-Blauhelme, die den Transformationsprozess des vom Krieg gebeutelten Staates begleiteten. Kurz nach ihrer Ankunft kümmerten sich die Sanitäter auch um die medizinische Versorgung der örtlichen Bevölkerung. 1993 stellte die Bundeswehr ein gemischtes logistisches Bataillon für den Einsatz der Vereinten Nation im failed state Somalia. Da aber die indische Brigade, die die Bundeswehr unterstützen sollte, nicht kam, leisteten die Soldaten Aufbau- und Entwicklungshilfe.
Der Zerfall Jugoslawiens ab 1990 war dann der Lackmustest: Wie weit würde Deutschland mit seiner Mitwirkung bei Friedensmissionen gehen können? Den Blauhelmeinsatz UNPROFORUnited Nations Protection Force im ehemaligen Jugoslawien unterstützte die Bundeswehr mit Aufklärungstornados und mit Transportflugzeugen, die Hilfslieferungen in die eingeschlossene Stadt Sarajewo flogen. Als der Konflikt in Bosnien-Herzegowina 1994 eskalierte, stellte die Bundesrepublik Deutschland der internationalen Koalition wieder Logistik und Sanitäter zur Verfügung, aber keine Kampftruppen oder Jagdbomber. Erst 1999, als der Konflikt zwischen Albanern und Serben im Kosovo entbrannte, entsandte die Bundesregierung mit der Billigung des Bundestages auch Kampftruppen. Die Verfassungslage hatte sich dabei nicht gewandelt, wohl aber ihre Interpretation: Das Bundesverfassungsgericht entschied im Juli 1994, dass das Grundgesetz den Einsatz deutscher Streitkräfte auch außerhalb des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gebietes unter gewissen Bedingungen eindeutig zulasse.
Nach dem Terroranschlag gegen die USA am 11. September 2001 (9/11) rief die NATONorth Atlantic Treaty Organization erstmals in ihrer Geschichte den Bündnisfall aus und Deutschland war bereit, sich an einem Einsatz in Afghanistan und zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu beteiligen.
Die Ergebnisse der bisherigen Einsätze sind differenziert zu betrachten: Somalia ist immer noch ein failed state. Kambodscha erholt sich langsam von den Jahrzehnten des Krieges. Auf dem Balkan gelang mit langem Atem, großem internationalem Engagement und maßgeblichem Einsatz der Bundeswehr die Stabilisierung der Region. Der internationale Einsatz in Afghanistan konnte das Land jedoch bislang nicht vollständig und dauerhaft befrieden.
Armee der Einheit
Nach der Wiedervereinigung hatte die Bundeswehr das Personal der Nationalen Volksarmee (NVANationale Volksarmee), also der nunmehr aufgelösten Streitkräfte der nicht mehr bestehenden DDR, aufzunehmen. Ebenso übernahm die Bundeswehr sämtliche Liegenschaften der NVANationale Volksarmee und ihr komplettes Material. Die meisten Kasernen wurden geschlossen, weil es für sie keinen militärischen Bedarf mehr gab. Das Material wurde weitgehend vernichtet oder an andere Staaten weitergegeben. Nur wenig hat die Bundeswehr zeitweilig genutzt: Transportflugzeuge, Schützenpanzer BMP-1 und 24 moderne Jagdflugzeuge vom Typ MiGMikoyan-Gurewitsch-29.
70.000 Soldaten der ehemaligen NVANationale Volksarmee wurden in die Bundeswehr eingestellt. Darunter waren kein General und kein Politoffizier. Letztlich übernahm die Bundeswehr weniger als 10.000 als Berufssoldaten. Die Vermischung der Soldaten West mit den Soldaten Ost gelang, auch durch die Versetzungen zwischen Ost und West und die vielen Wehrpflichtigen aus beiden Teilen Deutschlands, die im jeweils anderen ihren Wehrdienst leisteten.
Ausrüstung kostet!
Anfänglich erhielt die Bundeswehr ihre Ausrüstung teilweise geschenkt oder zu Vorzugspreisen von ihren Alliierten. Die dazu zu beschaffende Ausrüstung (Fahrzeug, Waffen, Uniformen und vieles mehr) konnte aus dem Geld bezahlt werden, das bereits seit 1949/50 von der Bundesregierung zurückgelegt worden war. In Anlehnung an den Lagerort des preußischen Staatschatzes sprach man vom Juliusturm.
In den ersten Jahren erhielt die Bundeswehr zudem umfassend neues Material: ab 1960 den Starfighter als Mehrzweckkampfflugzeug, 1965 den Leopard 1 und vieles mehr. Die Wirtschaftskrise Ende der 1960er-Jahre bremste den weiteren Ausbau der Bundeswehr, bevor Mitte der 1970er-Jahre eine zweite Modernisierungswelle begann: Leopard 2, das Mehrzweckkampflugzug (MRCAMulti-Role Combat Aircraft) Tornado, Fregatte 122, neue Lkw und vieles mehr erhielt die Truppe.
Danach aber, ab Mitte der 1980er-Jahre, setzte die Stagnation ein: Der Auftrag der Truppe und der dazu notwendige Streitkräfteumfang waren mit den zur Verfügung stehenden Finanzen sowie den zunehmend weniger werdenden Wehrpflichtigen nicht mehr in Deckung zu bringen. Schon Mitte der 1980er-Jahre plante das Verteidigungsministerium eine Bundeswehr aus, die ab Anfang der 1990er-Jahre nur noch 440.000 Soldaten haben sollte. Die Wiedervereinigung hat diesen Prozess beschleunigt: Die Bundeswehr wurde bis Mitte der 1990er-Jahre auf rund 340.000 Soldaten und deutlich weniger Material reduziert. „Friedensdividende“ war das Stichwort dazu.
Bis circa 2012 hatte die Bundeswehr stetig mit zu wenig Geld für ihre Rüstungsprojekte zu kämpfen. Weil große Projekte sich verzögerten und im Umfang reduziert wurden, erhielt die Truppe später als geplant deutlich teurere Geräte. Die Bundeswehr war über rund zwei Jahrzehnte chronisch unterfinanziert und musste mit zunehmend weniger Menschen und Material viel komplexere Aufgaben schultern.
Dennoch spiegeln Bevölkerungsbefragungen eine hohe Zustimmung und Anerkennung für die Bundeswehr wider. Doch darüber, was die Bundeswehr im Rahmen einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik können soll und darf, gibt es unterschiedlichste Auffassungen. Eine gesellschaftliche Debatte über die Bundeswehr und ihre Aufgaben in einer zunehmend globalisierten Welt kommt allerdings nicht in Gang. Der Ost-West-Konflikt vor 1990 war dagegen vergleichsweise einfach zu verstehen: Freund und Feind waren klar erkennbar und die Aufgaben der Bundeswehr in Europa eindeutig.