Paul Schäfer: „Ich habe sämtliche Afghanistan-Mandate abgelehnt"
Paul Schäfer: „Ich habe sämtliche Afghanistan-Mandate abgelehnt"
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Wie hat das Gefechtsjahr 2010 in Afghanistan die Bundeswehr verändert?
Gravierend. Die Bundeswehr hat seitdem Gefechtserfahrungen gesammelt, ist für Kriege „niedriger Intensität“ ausgestattet. Insgesamt wurde sie durch den sogenannten „comprehensive approach“ mit vielfältigen neuen Anforderungen an Ausbildung, Fähigkeitsprofil und das Leitbild des Soldaten konfrontiert, musste sich der Entwicklung neuer Erinnerungskultur („Veteranen“) zuwenden. Das Prinzip der Inneren Führung wurde bewahrt – keine Selbstverständlichkeit. Die offenen Fragen haben seitdem eher zugenommen: Wie steht es künftig um den Auftrag der Truppe? Lassen sich die Auslandseinsätze nach den Erfahrungen ausreichend legitimieren? Wie kann der Grundsatz des „Staatsbürgers in Uniform“ entbürokratisiert und mit Leben erfüllt werden?
Hat sich Ihre Haltung gegenüber der Mandatierung des damaligen Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan geändert, als die ersten deutschen Soldaten in Särgen zurückkamen?
Eher Nein. Ich konnte nach meinem Einzug in den Bundestag ab Ende 2005 in kurzer Zeit feststellen, dass sich die Lage in Afghanistan dramatisch verschlechterte und die Gewalt allenthalben, auch im Norden des Landes, eskalierte. Insoweit festigte sich meine Meinung, dass dieser Einsatz nicht zu einem guten Ende geführt werden könne. Allerdings konnte ich mir Szenarien wie die von einem Bundeswehr-Kommandanten befohlene Bombardierung von Tanklastwagen mit zivilen Opfern im September 2009 oder das Gefecht am Karfreitag 2010 mit zwei toten und mehreren verwundeten Bundeswehr-Angehörigen nicht wirklich vorstellen.
Wie hatten Sie ursprünglich bei Mandatierung des Einsatzes abgestimmt – und aus welchen Gründen?
Ich habe sämtliche Afghanistan-Mandate abgelehnt, weil ich der festen Überzeugung war, dass man auf diesem Wege weder den Globalterrorismus wirkungsvoll bekämpfen noch die Entwicklung des Landes zu einem modernen Sozial- und Rechtsstaat nachhaltig fördern kann.
Ist es auch heute noch notwendig, Deutschlands Sicherheit am Hindukusch zu verteidigen?
Ich war damals der Auffassung, dass Deutschlands Sicherheit nicht am Hindukusch zu verteidigen ist, schon gar nicht mit militärischen Mitteln. Das gilt bis heute. Hat die von den USA nach Nine Eleven verfolgte Regime-Change-Politik in Afghanistan und später im Irak die Welt friedlicher gemacht? Im Gegenteil: Mit den katastrophalen Folgen dieser Politik haben wir noch heute – fast zwanzig Jahre später zu tun! Es hätte stattdessen eines quasi weltpolizeilichen Vorgehens unter UNUnited Nations-Regie gegen die Terrornetzwerke um al-Qaida – notfalls auch mit gezielten militärischen Aktionen – bedurft, um dem Problem adäquat zu begegnen. Und dieses Vorgehen hätte eng verzahnt sein müssen mit enormen entwicklungspolitischen Anstrengungen im Weltmaßstab, die in der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Oktober 2001 vollmundig angekündigt, aber nie konsequent umgesetzt wurden. Das Militär wurde als Hilfsinstrument missbraucht und mit Aufgaben betraut, die es „naturgemäß“ nicht bewältigen konnte. Statt weiterzumachen wie bisher, siehe aktuell Mali, müssen daraus endlich Lehren gezogen werden. Spätestens nach dem wahrscheinlichen Abzug der Truppe aus Afghanistan im nächsten Jahr werden die Fragen nach Zielen, Kosten und Erfolgen des Einsatzes unabweisbar auf der Tagesordnung stehen - im Parlament, in der Öffentlichkeit und in den Streitkräften.
Die Fragen stellte Barbara Gantenbein.