„Kriegsähnliche Zustände“
Das Jahr 2010 in Afghanistan
Der Einsatz in Afghanistan hat die Bundeswehr für immer verändert. Im Land am Hindukusch leistete die Truppe 18 Jahre lang – bis 2021 – ihren Dienst. Keines aber hat sie so nachhaltig geprägt wie das Jahr 2010.
Krieg in Afghanistan
Zum zehnten Mal jährte sich am 2. April das Karfreitagsgefecht von Isa Khel. Dabei fielen drei deutsche Soldaten, weitere wurden teils schwer verwundet. Doch damit nicht genug: In einem weiteren Gefecht am 15. April und durch ein Attentat am 7. Oktober wurden wieder vier Soldaten getötet. 28 weitere wurden teils schwer verwundet. Die Bundeswehr erlitt 2010 die bislang schwersten Verluste ihrer Geschichte.
Nie zuvor wurden deutsche Soldatinnen und Soldaten in so kurzer Zeit mit so vielen Gefechten und komplexen Bedrohungen konfrontiert. Der ISAFInternational Security Assistance Force-Einsatz in Afghanistan und besonders das Jahr 2010 waren von Angriffen, Sprengfallen, Hinterhalten oder Selbstmordanschlägen geprägt. Nicht immer waren Feind, Freund oder Zivilbevölkerung klar voneinander zu unterscheiden. Mit insgesamt circa 120 Feindkontakten war 2010 das gefechtsintensivste Jahr in der Bundeswehr-Geschichte. Es steht exemplarisch für die „kriegsähnlichen Zustände“ in Afghanistan, die der damalige Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg schon Ende 2009 beschrieben hatte. Die Truppe dagegen sprach schlichtweg von „Krieg“.
Trauer und Leid im Alltag
Das alles wirkt in Bundeswehr und Gesellschaft auch heute noch nach. Trauer und Leid gehörten plötzlich zum Alltag von Soldaten und Soldatinnen, Familienangehörigen und Freunden. Soldaten und Soldatinnen, aber auch Veteranen und Reservisten, die von Einsatzerfahrungen gezeichnet nach Deutschland zurückkehrten, gaben ihr Erlebtes weiter. Die Ereignisse von 2010, aber auch der Jahre zuvor und danach, veränderten das Bewusstsein der Bundeswehr.
Veränderungen in Truppe und Gesellschaft
Was im Gefechtsjahr 2010 genau geschah, und welche Folgen die Ereignisse hatten, wird hier aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Schwerpunkt sind die Auswirkungen auf die Bundeswehr und die Gesellschaft. Manche Veränderungen sind auf den ersten Blick zu erkennen – beispielsweise bei der Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr. Andere Veränderungen gingen tiefer: Wie hat sich das Selbstverständnis der Truppe, aber auch die Wahrnehmung der Bundeswehr aus Sicht der Gesellschaft gewandelt? Wie gehen heute deutsche Soldaten und Soldatinnen mit Tod und Verwundung um? Wie hilft die Bundeswehr heute im Fall X den Betroffenen und ihren Angehörigen? Und wie denken die, die damals politische oder militärische Verantwortung trugen, heute über die Ereignisse? Denn diese Ereignisse wirken auch heute noch nach.
Hintergrund: Der ISAFInternational Security Assistance Force-Einsatz
Die Bundeswehr leistete in Afghanistan einen wertvollen Beitrag – zahlte dafür aber einen hohen Preis. 57 Bundeswehrsoldaten kamen bei der ISAFInternational Security Assistance Force ums Leben, 35 von ihnen fielen bei Gefechten. Viele andere Kameraden wurden an Körper und Seele verletzt.
Afghanistan 2010: „Umgangssprachlich Krieg“
Das Jahr 2010 werden die Angehörigen der Bundeswehr nie vergessen. Der Konflikt in Afghanistan eskaliert. Immer häufiger werden die deutschen ISAFInternational Security Assistance Force-Soldaten Ziel von Anschlägen und Angriffen. Es wird das blutigste Jahr der Bundeswehr seit ihrem Bestehen. Trauriger Höhepunkt: das Karfreitagsgefecht.
Ein Leben nach dem Einsatz
„Auf einmal ging es wieder um die Parkplatzordnung.” Die Gefechte hinterließen bei den Soldaten Spuren. Auch für die Bundeswehr bis dahin eine unbekannte Herausforderung. Die Einrichtung einer PTBSPosttraumatische Belastungsstörung-Beauftragten im Ministerium, der Aufbau eines Psychotraumazentrums am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin und umfassende sozialwissenschaftliche Studien waren die Folgen für die Bundeswehr.
Zeitzeugen im Interview
2010 in Afghanistan: Die Ereignisse in diesem Jahr beeinflussen bis heute Bundeswehr, Politik und Gesellschaft. Zehn Jahre nach dem „Gefechtsjahr 2010“ sprachen Politiker und Soldaten über ihre Erlebnisse von damals.