Über Stock und Stein
Über Stock und Stein
- Datum:
- Ort:
- Viereck-Stallberg
- Lesedauer:
- 7 MIN
Kommunikation ist die Grundlage für ein erfolgreiches Gefecht. Wenn alle elektronischen Kanäle versagen, schlägt die Stunde der Melder auf dem Motorrad. Y hat zwei von ihnen in Viereck besucht.
Die Sonne knallt. Das Thermometer zeigt schon jetzt 27 Grad Celsius. Es ist ungewöhnlich heiß an diesem Septembermorgen. In der Kürassierkaserne im mecklenburg-vorpommerischen Viereck wird die idyllische Ruhe jäh durch knatternde Geräusche gestört. Die Quelle des Lärms sind Korporal Daniel Uhlbrand und Oberstabsgefreiter Jordan Engmann. Sie sind Kradmelder in der 1. Kompanie des Panzergrenadierbataillons 411.
Beide fahren zwar eine BMW F 850 GSGelände/Straße, doch die Soldaten und ihre Maschinen sehen unterschiedlich aus. Der 26-jährige Engmann fällt durch seinen weißen Helm direkt ins Auge und auch sein Motorrad ist im Gegensatz zum anderen besser sichtbar, was unter anderem am Licht und den Kofferboxen liegt.
„Für mehr Sicherheit soll auf der Straße der weiße Helm getragen werden. Damit sind wir weithin sichtbar“, erklärt Engmann. Im Gelände müssen die Kradmelder aber unsichtbar sein, weshalb Uhlbrand für den heutigen Auftrag bereits die Geländemodifizierung trägt, also einen schwarzen Motocross-Helm. Zudem hat er seine Maschine bereits getarnt.
Heute werden Uhlbrand und Engmann das Fahren in unwegsamem Gelände sowie das Auffinden eines Postkastens und das Übermitteln einer Nachricht trainieren. „Es ist wichtig, dass wir regelmäßig üben. Wenn es zu einem scharfen Einsatz kommen sollte, muss alles reibungslos funktionieren, denn im schlimmsten Fall hängen Menschenleben davon ab“, verdeutlicht Korporal Uhlbrand die Wichtigkeit eines Kradmelders. Er ist bereits seit 2010 im Fernmeldezug der Kompanie eingesetzt.
„Informationen, die wir bringen oder abholen, dürfen keinesfalls zu spät ankommen.”
Wenn im Gefecht digitale Kommunikationskanäle nicht mehr zur Verfügung stehen oder genutzt werden können, weil Funkunterbrechung, -störung oder -verbot herrschen, sind Kradmelder das letzte und einzige Verbindungselement zwischen Bataillons- und Kompanieebene. „Informationen, die wir zum Postkasten bringen oder abholen, dürfen keinesfalls zu spät ankommen“, so Uhlbrand. „Die Verantwortung, die wir haben, ist auch ein Punkt, der die Verwendung besonders und mich auch stolz macht. So viel Verantwortung und Vertrauen sind gerade für einen Mannschaftsdienstgrad nicht selbstverständlich.“ Die derzeit vier ausgebildeten Kradmelder der Kompanie sind alles Mannschaftssoldaten.
Kradmelder gibt es bereits seit dem Ersten Weltkrieg. Auch damals waren sie eine schnelle und zuverlässige Methode, um Nachrichten zu übermitteln und als Verbindungsglied zwischen Front und Kompanie zu wirken. Da es früher die digitalen Möglichkeiten, wie wir sie heutzutage kennen, noch nicht gab, waren Kradmelder noch wichtiger und angesehener als heute. Doch selbst wenn es mittlerweile nur eine Nebenfunktion ist, ist der Kradmelder auch heute noch unverzichtbar.
In der Hauptfunktion sind Uhlbrand und Engmann Fernmelder. Sie stellen mit ihren Fähigkeiten die informationstechnisch gestützte Kommunikation des Heeres im Einsatz und auf Übungen sicher. „Dazu gehört, Lastwagen von A nach B zu fahren, alle Zelte für den Gefechtsstand des Bataillonskommandeurs aufzublasen und Einsatzbereitschaft herzustellen. Außerdem haben wir noch zwei Boxer und zwei Schützenpanzer Marder in unserem Zug, die bewegt werden müssen“, zählt Uhlbrand auf. Aber auch als Kradmelder hat man neben der Hauptaufgabe, Meldungen zu übermitteln, noch zusätzliche Aufgaben. So unterstützen sie bei Absperraufgaben, erkunden geeignete Orte für den Gefechtsstand und können bei Kolonnenfahrten und Einweisungen helfen.
Verstehen ohne Worte
Engmann schraubt jetzt das Nummernschild seines Motorrads ab. Über das Armaturenbrett stülpt er einen grünen Jutesack. Bevor es ins Gelände geht, muss er sein Motorrad noch geländetauglich machen – also tarnen. Uhlbrand hilft, indem er die Seitenkoffer und den Tankrucksack abnimmt sowie die Spiegel abschraubt. Auch das Tarnnetz befestigen sie gemeinsam. „Eine Tarnung an sich gibt es ja für die Motorräder nicht. Daher nutzen wir das, was für uns zweckmäßig ist – von Tarnnetzen über Jutereste bis hin zu Kabelbindern und Panzertape“, erklärt Engmann. Der Kreativität seien dabei keine Grenzen gesetzt.
Das Modifizieren der BMW läuft ohne viel Kommunikation. Man merkt: Die zwei verstehen sich. „Dass wir kaum Worte benötigen, liegt daran, dass wir oft im Team agieren und uns mittlerweile sehr gut kennen“, so Uhlbrand. Früher hat der Kradmelder allein agiert, heute steht die Sicherheit im Vordergrund, deshalb sind sie meist zu zweit unterwegs. „Gerade nachts wäre es fatal, wenn einer stürzt, allein irgendwo liegen bleibt und man ihn nicht findet, da es kein GPSGlobal Positioning System gibt“, sagt Engmann.
Der Oberstabsgefreite befestigt das Tarnnetz mit Kabelbindern über dem Scheinwerfer. Die dichte Tarnung bietet kaum noch eine Möglichkeit, Licht durchzulassen. „Im Gelände fahren wir sowieso auf null, also komplett ohne Licht“, erklärt er. Anders als bei den meisten militärischen Landfahrzeugen haben die genutzten handelsüblichen Motorräder keine Tarnstufen. Das heißt, es gibt keine Möglichkeit, etwa nur mit vorderen Tarnscheinwerfern zu fahren oder die Bremsleuchten abzuschalten. „Das Fahren bei Nacht ist sehr schwierig, da es auch keine speziellen Helme oder Nachtsichtgeräte gibt“, erklärt Uhlbrand die Herausforderung. „Wenn wir mit dem Gefechtshelm fahren würden, könnte man dort Nachtsichtbrillen anbauen, das dürfen wir jedoch aus Sicherheitsgründen nicht.“
Dass Schutz und Sicherheit großgeschrieben werden, sieht man auch an der Motocrossausrüstung, die beide anlegen müssen, bevor es losgehen kann. Von Stiefeln über diverse Protektoren an Knien, Ellenbogen und auch in den Handschuhen bis hin zum Motocrosshelm aus Vollkarbon sowie einem Nackenschutz ist alles dabei. Außerdem tragen beide jeweils eine MP7 sowie einen Plattenträger. Da sie noch nicht mit den neuen Westen ausgestattet sind, nutzen sie ihre eigenen. „Spätestens nächstes Jahr sollen wir mit den neuen Westen ausgestattet werden“, sagt Uhlbrand hoffnungsvoll, bevor er seinen Helm über den Kopf zieht, den Zündschlüssel umdreht und mit einem Blick zu Engmann das Zeichen zum Losfahren gibt.
Herausforderndes Gelände
Mittlerweile zeigt das Thermometer 34 Grad. Die Sonne brennt erbarmungslos. Uhlbrand und Engmann fahren mit ihren 95 PS starken Maschinen über sandige Wege, Felder und durch den Wald. Immer wieder tauchen Hindernisse wie Löcher, Äste oder gefährliche Untergründe auf. Engmann fährt die meiste Zeit hinter Uhlbrand und versucht, durch dessen Fahrverhalten zu erkennen, wo Schwierigkeiten auftreten. Durch Worte darauf hinzuweisen, ist nicht möglich. „Für die Kommunikation untereinander haben wir zwar Intercom, aber das auch erst seit Kurzem. Wir konnten die Technik daher noch nicht zu 100 Prozent im Gelände testen“, sagt Engmann.
Davon abgesehen dürften sie die Headsets heute sowieso nicht nutzen, denn es herrscht Funkverbot. Uhlbrand und Engmann müssen auf andere Kommunikations- und Orientierungsmittel zurückgreifen. Sie haben ihre Maschinen abgestellt und sich einen versteckten Platz im Wald gesucht, um herauszufinden, wo der Postkasten steht, aus dem sie die Meldung holen sollen. „Sich mit Karte und Kompass orientieren zu können, ist wichtig und gerade als Kradmelder eine grundlegende Fähigkeit“, so Engmann.
Litauen wartet schon
Schnell ist klar, wo der Postkasten versteckt ist. Die beiden Soldaten stellen ihre Motorräder in sicherer Entfernung verdeckt ab. Den Rest des Weges legen sie zu Fuß zurück. „Mit den Motorrädern wären wir zu laut und der Standort des Postkastens könnte möglicherweise durch den Feind aufgeklärt werden“, so Engmann.
Nach ein paar Metern durch den Wald und durch hohes Gras entdecken sie den olivgrünen Kasten in einer kleinen Grube. Engmann läuft vor und sichert das Umfeld. Auf ein Handzeichen folgt Uhlbrand. Noch weiß er nicht, was er heute holen und zum Bataillonsgefechtsstand bringen soll. „Das kann ganz unterschiedlich sein. Oft sind es Meldeblockzettel, auf denen Informationen stehen, Karten oder auch Datensticks“, so Uhlbrand. „Es sind die Meldungen, die sonst über Funk kommen würden“, ergänzt Engmann.
Aber Informationen müssen nicht nur geholt, sondern auch hinterlegt werden. Dafür hat der Postkasten aus Holz einzelne beschriftete Fächer, in die die Nachrichten einsortiert werden. In der Nacht ist oft ein Knicklicht am Kasten, damit die Kradmelder ihn finden. Nachdem Uhlbrand den Meldezettel und die Karten bei Engmann in den Rucksack gepackt hat, geht es auf kürzestem Weg zurück zu den Motorrädern. „Jetzt muss es schnell gehen, denn im realen Fall wäre es wichtig, dass die Nachricht schnellstmöglich beim Empfänger ankommt“, macht Uhlbrand deutlich.
„Sich mit Karte und Kompass orientieren zu können, ist wichtig.”
Wieder geht es mit den Motorrädern durch unwegsames Gelände, zwischen Bäumen und durch teilweise tiefe Löcher zurück. Das ein oder andere Mal kommen die beiden ins Straucheln. Gerade bei schwierigem Gelände ist das Gewicht der BMW von knapp 230 Kilogramm eine große Herausforderung. Das weiß auch Major Robert Messner. Er ist seit anderthalb Jahren Chef der 1. Kompanie und damit auch von Uhlbrand und Engmann. „Die Maschinen sind sehr schwer, sodass es gerade im unwegsamen Gelände passieren kann, dass sie kippen und selbst für geübte, starke Männer kaum haltbar sind“, erklärt Messner.
Er hofft, dass es zukünftig leichtere Maschinen oder anderweitige Alternativen geben wird. Der heutige Auftrag wurde hervorragend erfüllt. Der Major ist stolz auf seine Männer: „Die Kradmelder sind eine Art Multitool, die ich überall einsetzen kann. Ob es Kommunikation oder Aufklärung ist, ich kann sie tatsächlich für alles, zu jeder Jahres- und Tageszeit verwenden – und die Jungs sind verdammt gut!“
Im August 2025 soll es für den Fernmeldezug geschlossen nach Litauen gehen. Uhlbrand war schon einmal dort, als Schützenpanzerfahrer. Nun sollen Engmann und er erstmals im Ausland als Kradmelder eingesetzt werden. Engmann ist gespannt: „Dann werden wir erfahren, ob das, was wir hier in Deutschland geübt haben, ausreicht, um dort bestehen zu können.“