Vor 20 Jahren: Anschlag auf die Bundeswehr in Kabul
Vor 20 Jahren: Anschlag auf die Bundeswehr in Kabul
- Datum:
- Ort:
- Kabul
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Es war der erste Sprengstoffanschlag auf deutsche Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz: Am 7. Juni 2003 attackierte ein Selbstmordattentäter einen Konvoi der Bundeswehr in Afghanistan. Wie der Busanschlag von Kabul Deutschland und seine Streitkräfte veränderte, schildert Militärhistoriker Oberstleutnant Dr. Helmut Hammerich im Gastbeitrag.
Der leitenden Notärztin bot sich ein schrecklicher Anblick, als sie kurz nach dem Alarmspruch „Blaulicht Charly“ an jenem Samstagvormittag vor Pfingsten 2003 auf die Dschalalabad Road in Kabul einbog. Schnell war ihr klar, dass hier kein Verkehrsunfall, sondern ein Anschlag stattgefunden hatte.
Ein völlig zerstörter Bundeswehrbus stand abseits der Straße in einem Feld. Um ihn herum lagen tote und schwer verletzte Soldaten. Verwundete irrten zwischen den Trümmerteilen umher. Sicherungskräfte, Sanitätspersonal und Feuerwehrleute verschiedener Nationen waren bereits in Aktion. Ihre Rufe mischten sich mit den Schreien der Verletzten, übertönt vom Lärm der Rettungsfahrzeuge und Helikopter. Hitze und Staub erschwerten die Bergungsarbeiten zusätzlich.
100 Kilogramm Sprengstoff zerstörten den Bus
In ihrem Buch „Ein schöner Tag zum Sterben“ beschreibt Heike Groos ihren Einsatz an jenem 7. Juni 2003. Damals verloren vier deutsche Soldaten ihr Leben. 31 ihrer Kameraden wurden teils schwer verletzt. Die Gefallenen waren Feldwebel Helmi Jimenez-Paradies und Oberfeldwebel Carsten Kühlmorgen vom Fernmelderegiment 320 sowie Stabsunteroffizier Jörg Baasch und Oberfähnrich Andrejas Beljo vom Fernmeldeaufklärungsregiment 940.
Die Bundeswehrangehörigen waren nach dem Ende ihres Einsatzes auf dem Weg zum Flughafen. Von dort sollte es zurück in die Heimat gehen. Ein Selbstmordattentäter hatte sein Auto neben den Bus gelenkt und über 100 Kilogramm Sprengstoff gezündet. Es war der erste Anschlag auf einen deutschen Militärkonvoi seit Beginn des Einsatzes in Afghanistan.
Allerdings hatte es schon vorher gefallene deutsche Soldaten gegeben: bei der Kampfmittelbeseitigung, bei einem Hubschrauberabsturz oder durch Minen. Auch Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen waren getötet worden.
Es ging um Sicherheit für Afghanistan – und für die Welt
Die Bundesregierung hatte mit der Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan ihre Bündnissolidarität bewiesen, nachdem die NATONorth Atlantic Treaty Organization am 4. Oktober 2001 wegen der islamistischen Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon in den USA den Bündnisfall beschlossen hatte. Der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck prägte später den Satz, dass die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde.
Der Auftrag der Bundeswehr lautete, die afghanische Interimsverwaltung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in der Hauptstadt Kabul und ihrer Umgebung zu unterstützen und so zu einem sicheren Umfeld beizutragen. Dieser wurde mit der Zeit ausgeweitet, um gemeinsam mit den afghanischen Sicherheitskräften das neue politische System landesweit zu etablieren. Doch ab 2006 verstärkte sich der Widerstand der Taliban und anderer Gruppen gegen die afghanische Zentralregierung und die ausländischen Streitkräfte.
Es folgten kampf- und verlustreiche Jahre, die auch für die afghanische Zivilbevölkerung viel Leid brachten. Mit dem Abzug der USUnited States-amerikanischen Streitkräfte 2020 endete das internationale militärische Engagement. Unmittelbar danach übernahmen die Taliban in Afghanistan erneut die Macht. Den Schlusspunkt des Afghanistaneinsatzes markierten die chaotischen Tage am Flughafen Kabul im August 2021, als Tausende Menschen versuchten, das Land zu verlassen. Der Bundeswehr gelang es mit einer militärischen Evakuierungsoperation unter Führung von Brigadegeneral Jens Arlt, binnen elf Tagen rund 5.300 Menschen aus 45 Ländern zu retten.
Ein Tag, der vieles änderte
Doch zurück in das Jahr 2003. Spätestens nach dem Anschlag auf den Bundeswehrbus im Juni wurde der Öffentlichkeit klar, dass der Einsatz in Afghanistan kein Stabilisierungseinsatz wie jener auf dem Balkan war. Dass er weitere 18 Jahre dauern und insgesamt 59 Gefallene und viele Hunderte Verletzte und Traumatisierte in den Reihen der Bundeswehr fordern sollte, war damals nicht absehbar.
Die Bundeswehr verbesserte nach dem Anschlag vor Ort ihre Sicherheitsmaßnahmen für die Soldatinnen und Soldaten. So wurden zum Beispiel sämtliche Personentransporte zwischen dem Bundeswehrfeldlager Camp Warehouse und dem Flughafen Kabul nach dem Anschlag nur noch mit geschützten Fahrzeugen durchgeführt. Zudem musste jede Soldatin und jeder Soldat im Fahrzeug eine Splitterschutzweste anlegen und den Gefechtshelm griffbereit halten. Fahrtrouten und Fahrtzeiten wurden variiert und erst unmittelbar vor der Abfahrt festgelegt.
Auch die Betreuungsmaßnahmen der Bundeswehr wurden deutlich erweitert, um Betroffene zu unterstützen. Der Bundestag beschloss so zum Beispiel 2004 das Einsatzversorgungsgesetz und drei Jahre später das Einsatzweiterverwendungsgesetz, um Versorgung und soziale Absicherung von Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien zu verbessern.
Nicht zuletzt entwickelte sich auch mit der Hilfe von Privatinitiativen in kurzer Zeit eine angemessene Erinnerungskultur. Auszeichnungen für Tapferkeit wurden gestiftet, am Verteidigungsministerium in Berlin entstand ein zentrales Ehrenmal für die im Dienst gestorbenen Bundeswehrangehörigen. Beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Schwielowsee bei Potsdam erinnert ein Ehrenhain an die im Einsatz getöteten Soldatinnen und Soldaten: der Wald der Erinnerung.
Es ist ein Trost, wenn auch nur ein schwacher, für die Hinterbliebenen und die Veteranen des Anschlags vom 7. Juni 2003 in Kabul. Deutschland schuldet den Gefallenen, Verwundeten und Traumatisierten sowie allen Veteranen des Afghanistaneinsatzes Respekt, Anerkennung und ein ehrendes Andenken.