Volkstrauertag: Freiheit, Recht und Demokratie haben einen hohen Preis
Volkstrauertag: Freiheit, Recht und Demokratie haben einen hohen Preis
- Datum:
- Ort:
- Berlin
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Die Welt ist in Aufruhr: Der diesjährige Volkstrauertag wurde unter dem Eindruck der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten begangen. Beim Gedenken an die toten deutschen Soldaten jüdischen Glaubens auf dem Friedhof Weißensee wurde auch an die zivilen Opfer der islamistischen Terroranschläge vom 7. Oktober auf Israel und der Kämpfe im Gazastreifen erinnert.
Es scheint, als ob auch der Himmel weint. Wassermassen ergießen sich aus grauen Wolken auf die Grabsteine des Jüdischen Friedhofes in Weißensee, wo das Gedenken zum diesjährigen Volkstrauertag am frühen Sonntagmorgen beginnt. Schweigen senkt sich über die Trauergemeinde, die sich um den Gedenkstein für die gefallenen deutschen Soldaten jüdischen Glaubens versammelt hat. Die Gedanken der Anwesenden sind nicht nur bei den mehr als 400 Toten des Ersten Weltkrieges, die hier begraben liegen, sondern auch bei den Opfern aktueller kriegerischer Auseinandersetzungen und Gewaltherrschaft.
Einst war der Volkstrauertag ins Leben gerufen worden, um an das Schicksal der vielen Millionen Toten des Ersten Weltkrieges und ihrer Hinterbliebenen zu gedenken. Doch längst wird an dem Gedenktag an alle Menschen erinnert, die Krieg und Terror zum Opfer gefallen sind. Denn Tod, Leid und Gewalt beherrschen auch mehr als hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nach wie vor das Weltgeschehen: Seit anderthalb Jahren führt Russland einen Angriffskrieg in der Ukraine, vor kaum sechs Wochen fielen in Israel mehr als 1.400 Menschen dem Terror der islamistischen Hamas zum Opfer.
Gemeinsames Gedenken auf dem Jüdischen Friedhof Berlin
„Nicht nur quält uns der nicht enden wollende Aggressionskrieg Putin-Russlands gegen die Ukraine. Wir sind auch tief bestürzt über die Mordtaten der Hamas in Israel“, sagt der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der die Gedenkrede spricht. Man sei traurig über die Mordopfer in Israel und in Gaza und entsetzt über den „hierzulande auf grelle Weise sichtbar und laut gewordenen Antisemitismus“, so Thierse. Unter den Gedenkenden ist auch Verteidigungsminister Boris Pistorius und der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer. An ihrer Seite steht Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Zusammen mit weiteren hochrangigen Vertretern der Streitkräfte und des Landes Berlin sowie der Jüdischen Gemeinde zu Berlin legen sie zwölf Gedenkkränze nieder.
Insgesamt 12.000 Soldaten jüdischen Glaubens sind im Ersten Weltkrieg für Deutschland gestorben. Militärbundesrabbiner Zsolt Balla singt für sie und alle anderen Opfer jüdischen Glaubens Psalm 23, einer der bekanntesten Psalmen des Alten Testamentes. Darin geht es um Gott, der sich wie ein Hirte um die ihm anvertrauten Schafe kümmert. Haben sich die Ereignisse des 7. Oktober auf Ballas Schützlinge, die jüdischen Kameradinnen und Kameraden in der Truppe, ausgewirkt? „Nein. Es fühlt sich zumindest gleich an“, so Balla. „Da ist eine große Solidarität der Soldatinnen und Soldaten für die israelischen Einsätze, um Zivilisten zu schützen.“
In der Bundeswehr stehen jüdische, muslimische und christliche Kameradinnen und Kameraden Seite an Seite. Balla spricht von einer Multireligiösität, in der alle zusammen seien mit ihren einzelnen Identitäten. Das bedeute Zusammenhalt in Vielfalt: „Ich bin, der ich bin. Wir stehen zusammen.“
„Dieser Tag ist wie ein Brennglas“, fasst General Breuer die Bedeutung des diesjährigen Volkstrauertages zusammen. Das Gedenken an diesem Tag sei „sehr kondensiert, weil wir der Gefallenen, der Toten aus den Weltkriegen, aber auch der aktuellen Opfer gedenken.“
Trauer und Trost im Bendlerblock
Auch im Bendlerblock wurde der Toten gedacht: Verteidigungsminister Boris Pistorius empfing rund 80 Hinterbliebene gefallener oder infolge ihres Dienstes verstorbener Bundeswehrangehöriger am Sitz des Verteidigungsministeriums in Berlin. Gemeinsam wurde um die Menschen getrauert, die bei der Erfüllung ihrer Dienstpflicht ihr Leben verloren haben. Mehr als 3.400 Namen sind im Ehrenmal der Bundeswehr verewigt. Der Volkstrauertag sei ein Tag der Mahnung, Frieden nicht für selbstverständlich zu nehmen.
„Gleichzeitig ist es ein Tag, innezuhalten und unserer Toten zu gedenken. Denjenigen, die ihr Leben für das Recht und die Freiheit unseres Landes gegeben haben,“ sagte der Verteidigungsminister vor den Hinterbliebenen und vielen Ehrengästen. „Wer in der Bundeswehr dient, verteidigt unsere Freiheit und unsere Demokratie. Und im schlimmsten Fall mit dem Einsatz des eigenen Lebens.“ Hinterher verlas der Minister die Namen der acht Angehörigen der Bundeswehr, die in den vergangenen zwölf Monaten neu hinzugekommen sind.
Wir sind uns des hohen Preises, den Freiheit, Recht und Demokratie für ihre Verteidigung fordern, sehr bewusst.
Nach einer tiefen Verbeugung vor den Toten der Bundeswehr im Ehrenmal zog sich der Minister mit den Hinterbliebenen zurück, um mit ihnen zu sprechen und ihnen persönlich Trost zu spenden. Das Erinnern an die toten Kameradinnen und Kameraden und die Solidarität mit ihren Hinterbliebenen ist ein fester Teil der Gedenkkultur der Streitkräfte.
Kranzniederlegung in der Neuen Wache
Gegen Mittag ging es für den Minister weiter zur Neuen Wache nach Berlin-Mitte, die seit 1993 die zentrale Gedenkstätte Deutschlands für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ist. Vertreter der Bundesregierung, des Landes Berlin und seiner Verwaltung legten ihre Gedenkkränze vor der Skulptur „Mutter und toter Sohn“ der Berliner Künstlerin Käthe Kollwitz (1867-1945) nieder, Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr hielten die Ehrenwache. Nach einem stillen Gedenken schloss sich der Höhepunkt des offiziellen Gedenkens zum Volkstrauertag an: die zentrale Feierstunde im Deutschen Bundestag.
Schwedische Kronprinzessin spricht im Bundestag
Diese Feierstunde wird traditionell vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ausgerichtet. Dessen Präsident und frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, General a. D.außer Dienst Wolfgang Schneiderhan, hieß die Gäste im Plenarsaal willkommen. Als Ehrengast und Gedenkrednerin war Kronprinzessin Victoria von Schweden eingeladen worden. „Die Menschheit steht vor Herausforderungen, die immer schwieriger und dringlicher werden. Die Stimmung in der Welt ist so eisig wie seit langem nicht mehr“, sagte Kronprinzessin Victoria. Es sei eine Quelle der Hoffnung, dass Regierungen und Völker im demokratischen Europa in einer schweren Zeit zusammenhielten.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach das Totengedenken, danach wurde die Zeremonie im Bundestag mit einer Schweigeminute für die Toten beendet. Das Stabsmusikkorps der Bundeswehr schloss die Gedenkveranstaltungen zum Volkstrauertag mit einem Konzert im Berliner Dom.